Berufsausbildung

Neues Gesetz, neue Fragen, alte Interessen

d'Lëtzebuerger Land du 21.12.2006

Der Entwurf zur Reform der Berufsausbildung (Nummer 5622) ist eher als eine Art Rahmengesetz zu verstehen, das die neue Ausrichtung und großen Leitlinien der Berufsausbildungspolitik künftig festlegen soll. Wichtige Details, etwa die inhaltliche Gestaltung der Kompetenzmodule oder die Modalitäten des Lehrvertrags, sollen in über 20 Ausführungsbestimmungen (règlements grands-ducaux) geregelt werden. Die Kernelemente des Vorschlags sind:

Lebenslanges Lernen als Grundprinzip (siehe Haupttext). Die Orientierung nach der neunten Klasse bleibt bestehen, das Orientierungsgutachten der Schule ist verbindlich. Die Elternorganisation Fapel lehnt dies ab. Den Arbeitgeberverbänden gehen die Bestimmungen nicht weit genug. Sie fordern Profi-„Orienteure“ mit stärkerem Bezug zur Betriebswelt und eine nachfragebezogene Orientierung. Schüler sollen Berufsbilder zudem nicht erst ab der neunten Klasse vorgestellt bekommen.

Die zehnte Klasse soll zur classe de plein exercice umgewandelt werden, in der Schüler eine erste praktische Einführung in ein Berufsfeld (domaine professionnel) erhalten. Unklar ist, wie diese Klassen, verlängerte Schulpflicht und die Vorschläge zum nouveau cadre de l’EST zusammenhängen. Das Reflexionspapier sieht die eigentliche berufliche Spezialisierung erst nach der Zehnten vor.

Die Berufsfelder sollen jene Berufe zusammenfassen, die auf ähnliches Grundwissen und Kompetenzen aufbauen. Da dies in Absprache mit den Berufskammern geschehen soll, gibt es bisher keine konkrete Ausgestaltung.

Die Berufsausbildung erfolgt abwechselnd in Schule und Betrieb (système d’alternance). Eine Ausbildung kann sowohl mittels Praktika (contrat de stage) als auch über die klassische Lehre (contrat d’apprentissage) geschehen. Ein ausreichendes Angebot von Praktika und Lehrstellen sei eine conditio sine qua non für die Reform, heißt es aus dem Bildungsministerium. Die Berufskammern der Arbeitgeber sind grundsätzlich einverstanden, zuvor müsse aber geprüft werden, „wo Praktika überhaupt Sinn machen“. Gewerkschafter, Eltern und auch Lehrer sorgen sich, Betriebe könnten nicht genügend Plätze bereitstellen.

Der Ausbildungsunterricht soll zukünftig in kompetenzbasiertenLerneinheiten, also in Modularform, stattfinden. Wie diese aussehen, welches Modul welche Kompetenzen und Fertigkeiten vermitteln soll, ist unklar. Die Berufskammern und das Ministerium wollen dies in einem zweiten Schritt bestimmen. Im Ausland (Deutschland, Schweiz) existieren erste Beispiele. Lehrer befürchten, lernschwache Schüler könnten sich im Modulsystem nicht zurechtfinden und der Klassenverband könnte entfallen. Um zielgerichtetes Lernen zu erleichtern, schlägt die Handwerkskammer vor, Schüler und Eltern anhand von Leitbeispielen durch das System zu führen. Die Kammer spricht sich überdies für regionale Kompetenzzentren aus, in denen sich, unabhängig vom Ausbildungsniveau, alle Verantwortlichen einer Berufsgruppe inhaltlich koordinieren sollen.

Die zweijährige Basisausbildung mit dem Abschluss CITP wendet sich an schwache Schüler und soll neben grundlegenden praktischen Kenntnissen vor allem auch soziale Kompetenzen vermitteln. Das Ministerium zählt das CITP zur beruflichen Ausbildung, für das sich Schule und Betriebe verantwortlich zeichnen. Die Arbeitgebervertreter argumentieren dagegen: Die Klientel sei zu schwierig, um einen Beruf zu lernen, zudem werde der CITP auf dem Arbeitsmarkt kaum nachgefragt. Sie schlagen stattdessen schulische Vorbereitungskurse vor.

Der Techniker wird in die berufliche Ausbildung integriert (siehe nebenstehenden Text).

Keine Neuerung, aber eine neue gesetzliche Grundlage sieht der Entwurf für das seit 1996 durch einen Ministerialerlass ins Leben gerufene Partenariat vor. Zuständig für Inhalt, Analyse und Bereitstellung der Berufsausbildung sind demnach Staat und die Arbeitgeber- sowie die Arbeitnehmerverbände. Schulen, Lehrer und Eltern sollen erst in einem zweiten Schritt, bei der Planung, Erprobung und Umsetzung, eingebunden werden. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch im Helsinki-Kommuniqué, das die europäischen Bildungsminister Anfang des Monats in der finnischen Hauptstadt verabschiedeten.

Ines Kurschat
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