Eis Schoul

Bewährungszeit

d'Lëtzebuerger Land du 01.05.2008

Der Ansturm ist riesig. 600 Bewerbungen bei 110 verfügbaren Plätzen haben die Verantwortlichen von Eis Schoul bisher gezählt, dabei existiert die Laborschule bis jetzt nur auf dem Papier. Am Mittwoch gab das Parlament dem 2,6 Millionen Euro teuren Vorhaben (davon 1,8 Millionen Personalkosten) grünes Licht. Eile war geboten, denn die Ganztagsschule soll noch im September an den Start gehen. Die Schüler werden von einer Kommission nach einem gewissen Schlüssel ausgewählt, um einen möglichst repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung zu erhalten. Die Glücklichen, die einen Platz ergattern konnten, sollen, so Projektinitiator Denis Scuto, „noch in der nächsten Woche“ Bescheid bekommen. Jetzt muss sich die Schule, die einen besonderen Akzent auf den Sprachenerwerb legen will, bloß noch im Alltag bewähren. 

Zumindest diese Feuertaufe hat die erste Ganztagsschule Luxemburgs, das Neie Lycée (NL), längst hinter sich. Von konservativen Kritikern als „öffentliche Waldorfschule“ verunglimpft, hat die 2005 gestartete Modellschule mittlerweile ihren Rhythmus gefunden. Das mag auch der Grund sein, warum das Medieninteresse ziemlich abgeflaut ist. Gute Nachrichten verkaufen sich schlechter. Zu Unrecht, denn es gibt auch drei Jahre nach dem Startschuss Neues zu berichten: Erstmalig verlassen Schüler der 9e technique das Lyzeum in Richtung weiterführende Regelschulen (das NL bietet bisher nur Klassen des unteren Zyklus an) und treten damit, nach Grundschule und Neie Lycée, die dritte Etappe ihrer schulischen Laufbahn an. 

Welche Schulstufe in Frage kommt, darüber befindet wie bei den Regelschulen der jeweilige Conseil de classe. Mit dem Unterschied, dass im Neie Lycée anstelle vom Notendurchschnitt eine unabhängige externe Jury die endgültige Entscheidung trifft. Die überprüft auf der Basis von Portfolio, Textzensuren und einem Avis der Eltern, ob die Lehrer mit ihrer Einschätzung richtig liegen. Die Jury-Mitglieder tagten an den vergange­nen zwei Wochenenden – und waren beeindruckt: Die Arbeiten hätten „ein beachtliches Niveau“ gezeigt, war aus den paritätisch aus Lehrern des technischen und des klassischen Sekun­darunterrichts zusammengesetzten Gremien zu hören.

Teilweise seien die Anforderungen sogar so anspruchsvoll gewesen, dass sich die Prüfer entgegen den Empfehlungen des Conseil de classe in einigen Fällen dafür entschieden, dem betreffenden Schüler oder der Schülerin doch noch eine Zulassung zu einer bestimmten 10e oder eine Klassenwiederholung zu genehmigen. Anders als bei der Regelschule dürfen Schüler des Neie Lycée nicht automatisch wiederholen. „Unsere Lehrer haben prophylaktisch wohl eher strengere Kriterien angelegt“, versucht Schulleiter Jeannot Medinger eine Erklärung. Interne Tutoren und externe Experten hätten jeden Fall „ernsthaft und angeregt“ diskutiert, die Empfehlung selbst sei einvernehmlich formuliert worden, so Medinger, der sich mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden zeigt. Es sei „weder zu viel Messung, noch zu viel Gefühl“ gewesen.

Die gleiche Prozedur gilt im Grunde auch für die erste Schülergeneration des klassischen Unterrichts. Weil der Regierungsrat am vergangenen Freitag aber Plänen zugestimmt hat, wonach die Ganztagsschule künftig auch auf das Abitur vorbreiten darf, entfällt sie möglicherweise. Die Abiturvorbereitung soll in Form von Basismodulen geschehen, die jeder Schüler absolvieren muss, und spezialisie­renden Zusatzkursen. Wer in einem Modul nicht die nötigen Leistungen bringt, soll aber nicht das ganze Jahr wiederholen müssen, sondern nur den jeweiligen Baustein. „Das ist sinnvoller“, sagt Medinger. 

Klassische Noten wird es auch beim Modularunterricht nicht geben, die Abiturienten werden durch Tutoren auf die Abschlussprüfung vorbereitet, die letztlich auch die externe Erfolgskontrolle darstellt. „Die Schüler des Neie Lycee stellen sich denselben Abitursanforderungen wie ihre Kollegen aus den Regelschulen“, lobt Marc Barthelemy, Sekundarschulkoordinator im Unterrichtsministerium. Ein kluger Schachzug, denn das dürfte dem Vorurteil, im Neie Lycée würden vor allem Zirkus und Theater gespielt, das Wasser abgraben. 

Ob damit jegliche Kritik verstummt, ist aber eher unwahrscheinlich, zumal sich das Unterrichtsministerium bei der externen Evaluation wieder einmal nicht ganz glücklich anstellt. Obwohl im Gesetz vorgesehen, gibt es bisher nur die provisorischen Ergebnisse aus dem für alle Schulen gültigen Bildungsmonitoring. Welche die Uni Luxemburg im Frühsommer 2007 vorgestellt hat. Demnach waren NL-Schüler mit dem Unterricht zufriedener (nicht mit der Schule) und fühlten sich von ihren Lehrern besser unterstützt. Das als eine Schlüsselkategorie für den späteren Lernerfolg geltende Selbstkonzept entwickelte sich zudem bei den Schülern des Préparatoire im Neie Lycée positiver als bei ihren Kollegen in den Regelschulen. Eltern und Lehrern reicht die Erhebung jedoch nicht, sie wünschen sich eine wissenschaftliche Evaluation, die „näher am besonderen Profil und Angebot unserer Schule“ ausgerichtet ist.

Dass das Neie Lycée bei dem nächsten Pisa-Test 2009 mit von der Partie sein wird, tröstet sie wenig, und auch die Reflexion durch internationale Professoren der Commission d’évaluation et d’innovation pédagogiques sei kein Ersatz: „Das sind eher amis critiques als unabhängige Beobachter“, so Medinger. Das Ministerium hat zwar versprochen, im Falle der an andere Schulen orientierten Jugendlichen, Rückmeldung über deren weiteren Entwiclung zu geben, eine dezidiert aufs Neie Lycée zugeschnittene Studie ist aber nicht geplant. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wäre sie schwierig zu realisieren, gibt Romain Martin, Forscher an der Uni Luxemburg, zu bedenken. 

Überhaupt scheint es trotz der ermutigenden Zwischenergebnisse eine gewisse Reserviertheit seitens der Politik zu geben, die Modellschule in laufende Reformdiskussionen aktiv einzubinden. Eine Plattform, in der die NL-Erfahrungen systematisch anderen Schulen zugängig gemacht würden, wie bei der Laborschule vorgesehen, gibt es nicht. Dabei arbeiten die NL-Lehrer, ähnlich wie ihre Kollegen der Proci-Schulen (Projet pilote cycle inférieur) bereits mit Kompetenzsockeln und Textzensuren; wertvolle Erfahrungen, die man bündeln und in die Debatte um Bildungsstandards einfließen lassen könnte, zumal Proci-Schüler beim Pisa-Test 2006 im Vergleich etwas besser abschnitten. Das Ministerium aber scheint daran nicht sonderlich interessiert zu sein und verweist lieber auf Programmkommissionen, Direktorenkollegium und Arbeitsgruppen im Rahmen des Sprachenaktionsplans: An ihnen könne sich das Neie Lycée „wie jede andere Schule auch“ beteiligen. 

Ines Kurschat
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