Arbeitslosenstatistiken

Zahlenzauber

d'Lëtzebuerger Land vom 04.09.2007

In den ersten Augusttagen veröffentlichte das statistische Amt derEuropäischen Union seine monatlichen Zahlen über die Arbeitslosigkeit in der EU. Diesen Angaben war unter anderem zu entnehmen, dass die Jugendarbeitslosigkeit im europäischenDurchschnitt bei 6,9 Prozent lag. In Luxemburg hatten dagegenlaut Eurostat 15,5 Prozent der Jugendlichen unter 25 Jahren keine Arbeit. 

EineWoche später stellte Arbeitsminister François Biltgen während einer Pressekonferenz eine Studie des statistischen Amts des Wirtschaftsministeriums über Les jeunes face au marché du travail vor. In dieser Publikation hat das Statec errechnet, dass drei Prozent der 15- bis 19-Jährigen und 6,1 Prozent der 20- bis 24-Jährigen arbeitslos sein. Den politisch nicht unwillkommenen Unterschiedmacht, dass das Statec nicht mehr den Anteil der beim ArbeitsamtArbeitsuchenden an den Erwerbsfähigen ihrer Altersklasseberechnete, wie die Arbeitslosenquote in der Regel ermittelt wird.Sondern es berief sich auf die jährlich mittels einer repräsentativenUmfrage veranstaltete Arbeitskräfteerhebung und errechnete denAnteil der Arbeitsuchenden an der gesamten Altersklasse.

Dabei sind die Umfragen über die  Arbeitskräfte in Europa meist nicht so gern gesehen. Denn sie erfassen nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation auch Arbeitsuchende, die noch nicht oder nicht mehr bei der Adem eingeschrieben sind. Dazu zählen Schulabgänger, die den Eltern weiter auf der Tasche liegen, Hausfrauen, die gerne wieder erwerbstätig wären, oder Langzeitarbeitslose, die nach und nach durch alle sozialen Netzegefallen sind. 

Trotz des jahrelangen Rufs nach einem Vollzeitarbeitsminister, einerRegierungsumbildung Anfang vergangenen Jahres, regelmäßigen externen Audits des Arbeitsamtes, immer neuen Beschäftigungsmaßnahmen, allerlei sozialpartnerschaftlichen Gremien und gefälligen Theorien über den atypischen Arbeitsmarktstieg die Arbeitslosigkeit seit Beginn der Neunzigerjahre undseit fünf Jahren besonders rapide. Was man auch als größte Blamageder seither verantwortlichen Arbeitsminister ansehen kann. 

Folglich muss es nicht überraschen, dass zu den vielen Versuchen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, auch jener gehört, die Arbeitslosenstatistiken zu schönen. Damit soll auch dem Effekt entgegengesteuert werden, dass durch die Reform der Invalidenrentevon 2002 aus potenziellen Invalidenrentnern Arbeitsuchendewurden, die darauf warten, vom Arbeitsamt extern reklassiert zu werden. Aus ähnlichen Gründen war es auch nach der Reform des gesetzlichen Mindesteinkommens und der Behindertenarbeit zueinem Anstieg der Arbeitslosenzahlen gekommen. 

Deshalb hatten die Tripartitepartner in ihrem Abkommen vom 28. April 2006 festgehalten, dass Arbeitsuchende, die einen Antrag auf ein Einkommen für Schwerbehinderte stellen, sich nicht mehr beim Arbeitsamt als Arbeitsuchende einschreiben müssen. Das sieht das Gesetz vom 29. September 2003 vor, um ein Statut behinderter Arbeitskräfte zu schaffen, das sie von Almosenempfängernunterscheiden soll. Die Antragsprozedur wurde inzwischen ohne Gesetzesänderung auf Verwaltungsebene geändert. Als Folge davon verschwinden diese Behinderten aus den Arbeitslosenstatistiken. Vergangenes Jahr waren 163 Anträge auf Schwerbehinderteneinkommen worden. Seit Januar 2006 werden auch die Arbeitsuchenden, die vom Service national d’action sociale (SNAS) provisorisch mittels einer Affectation temporaire indemnisée (ATI) beschäftigt werden und den garantierten Mindestlohn beziehen, nicht mehr als Arbeitsuchende geführt. Das Arbeitsamtrechnete daraufhin seine Arbeitslosenstatistiken ab dem Jahr 2000 neu und das Ergebnis lässt sich sehen. Meldete es zuvor für Dezember 2005 eine Arbeitslosenrate von fünf Prozent, so betrug laut neuem Rechenschaftsbericht die Arbeitslosenrate im Dezember 2005 nur noch 4,6 Prozent. Im Juli dieses Jahres waren 328 Arbeitsuchende einer ATI zugeteilt.

Doch schon im Januar 1997 erreichte die Zahl der Arbeitsuchendeneinen historischen Rekord und lag um 17,2 Prozent über dem Vergleichsmonat des Vorjahres. Also mussten das Arbeitsamt und das Statec eine neue Serie von Arbeitslosenstatistiken beginnen, aus denen sie sämtliche Arbeitsuchende herausrechneten, die zu einer Beschäftigungs- oder Fortbildungsmaßnahme verpflichtet waren.Die Folgen sind seither erheblich: Derzeit ist die Zahl der Arbeitsuchenden in Beschäftigungs- und Fortbildungsmaßnahmen fast halb so hoch wie die Zahl der eingeschriebenen Arbeitslosen. Rechnete man sie zusammen, wie es bis vor zehn Jahren, gängig war, lag die Arbeitslosenrate Ende Juli dieses Jahres nicht bei saisonal bereinigten 4,4 Prozent, sondern bei 6,1 Prozent. Das heißt dann im amtlichen Sprachgebrauch „Arbeitslosenrate im weiteren Sinn“ und erinnert etwas an den Unterschied zwischen nationaler und harmonisierter Berechnung der Inflationsrate oder des Bruttoinlandsprodukts. 

Und die Perspektiven sind vielversprechend: Sollte beispielsweise der im Mai 2003 deponierte Gesetzentwurf über die soziale Arbeitslosigkeit doch noch zum Gesetz werden, stellt sich die Frage, wie lang es dauern wird, bis jene Arbeitsuchende aus den Statistiken gestrichen werden, die als vom Arbeitsamt unvermittelbareSozialfälle abgetan werden. Damit wäre dann auch das seit drei Jahren beunruhigende Phänomen der Langzeitarbeitslosigkeitzumindest statistisch gelöst. 

 

Romain Hilgert
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