Kandidaten zu den Europawahlen

Zweitgardisten

d'Lëtzebuerger Land du 28.05.2009

Eigentlich findet derzeit auch ein Wahlkampf für die Europawahlen in acht Tagen statt. Bloß dass der Mann und die Frau von der Straße es nicht merken wollen. Dafür gibt es selbstverständlich die gute alte Erklärung: Entgegen dem, was die Parteien unmittelbar nach der kalten Dusche des Referendums über den Verfassungsvertrag versprochen hatten, finden Europawahlen noch immer im Schatten der nationalen Wahlen statt, wenn auch in kleinen, luxuriösen und sterilen Gettos für Europapolitiker. Auf diese Weise verhindert die Regierung wenigstens, dass die Europawahlen im Laufe einer Legislaturperiode zum enthemmten, weil folgenlosen Protestvotum gegen ihre Politik zweckentfremdet werden.

Doch weil die sechs Europaabgeordneten nicht nach Straßburg geschickt werden, um parteiische Politik zu machen, sondern um als kleine Tropfen in einem Ozean europäischer Parlamentarier die nationalen Interessen zu verteidigen, haben die Parteien ihre liebe Mühe, sich voneinander zu unterscheiden. Die mangelnden Meinungsverschiedenheiten dürften die tiefere Ursache dafür sein, dass kaum jemand den Europawahlkampf zur Kenntnis nimmt, wenn es ihn dann gibt. Die Wähler scheinen zudem sachkundig genug, um zu wissen, dass die wichtigsten europapolitischen Entscheidungen vom Ministerrat oder der Kommission getroffen werden, und halten das Europaparlament für eine ziemlich technokratische Veranstaltung. Die Abgeordneten geben ihnen nicht Unrecht, wenn sie mit leuchtenden Augen erzählen, wie sie nur haarscharf die Mehrheit für ihren Änderungsantrag zu einem Halbsatz in einem Ausschussbericht verpassten.

Dabei gibt es derzeit selbstverständlich ein großes europapolitisches Thema: Wie die Regierung in der Eurogruppe und beim Steuergeheimniss von ihren engsten europäischen Partnern platt gemacht wurde. Aber die Frage, wie lange das winzige Luxemburg noch als ziemlich gleichberechtigter Partner in der großen Union anerkannt wird, ist so lebenswichtig, dass sie schon im nationalen Wahlkampf auftaucht. Wenn auch verklausuliert, als Abrechnung mit dem diplomatischen Geschick der Regierung. Denn niemand will das Risiko eingehen, die rasch wieder eingeschlafenen Hunde zu wecken, die 2005 gegen die EU-Politik gebellt hatten. Verschlimmernd kommt hinzu, dass keine der Parteien eine überzeugende Antwort auf diese Fragen parat hält. Selbst wenn die eine oder andere Partei tollkühn ankündigt, in Brüssel oder Straßburg mit der Faust auf den Tisch hauen zu wollen, ist nicht sicher, ob es dort jemand hören würde.

Ganz so langweilig dürften die Europawahlen dennoch nicht ausfallen. Denn selbst wenn derzeit kaum etwas auf erdrutschartige Verschiebungen im Kräfteverhältnis zwischen den Parteien hindeutet, gibt es doch eine Unbekannte: Erstmals haben die größten Parteien auf Doppelkandidaturen verzichtet. Deshalb mussten sie die zweite Garnitur ins Straßburger Rennen schicken, um die Spitzenkräfte für die Nationalwahlen aufzuheben. Bei einem einzigen, nationalen Wahlbezirk heißt das, dass es auf vielen Listen an landesweit bekannter Prominenz mangelt. Profitieren davon die größten Parteien mit dem größten Kandidatenreservoir? Halten sich die Wähler dadurch lieber an die Parteien statt an unbekannte Kandidaten, oder panaschieren sie verzweifelt, um ihre sechs Stimmen los zu werden? Vielleicht machen sie auch einfach dieselben Kreuzchen wie bei den Landeswahlen – 2004 wichen die Ergebnisse von CSV, LSAP und DP bei den Europawahlen nur um ein Prozent von denjenigen bei den nationalen Wahlen ab. Was noch einmal bestätigen würde, dass der nationale Wahlkampf die Europawahlen mit bedienen würde. 

Romain Hilgert
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