Dreieinhalb Jahre nach der Veröffentlichung des Armbanduhrengesprächs ist der Geheimdienstskandal noch immer nicht ausgestanden

Immer Kummer mit Kemmer

d'Lëtzebuerger Land vom 15.04.2016

Fast dreieinhalb Jahre nachdem das mit der Uhr aufgezeichnete Gespräch zwischen dem früheren Geheimdienstchef Marco Mille und dem früheren Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV) öffentlich wurde, ist das Gespenst Geheimdienst zurück. Am Montag meldeten RTL und Luxemburger Wort, dass der Abgeordnete Xavier Bettel (DP) und Vize-Präsident des Untersuchungsausschusses zur Geheimdienstaffäre sich mit dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter André Kemmer getroffen hatte. So hat das André Kemmer vergangenen Herbst in einer Anhörung vor dem Untersuchungsrichter ausgesagt und wenig später Xavier Bettel vor dem gleichen Untersuchungsrichter bestätigt.

Als Bettel Kemmer bei sich zu Hause empfing, war gewusst, dass letzterer es war, der Marco Mille die Armbanduhr und die Anleitung zum Gebrauch gegeben hatte, Untersuchungsausschusspräsident Alex Bodry (LSAP) hatte den Abgeordneten die Mission ihres Gremiums erklärt, dass es über die gleichen Gewalten wie ein Untersuchungsrichter verfügte, und dass Kemmer zu den geladenen Zeugen gehörte. Erst Monate später und Wochen nach der ersten von zwei Anhörungen Kemmers vor dem Ausschuss, trat der Jurist Bettel ohne weiteren Erklärungen zurück und überließ Lydie Polfer (DP) seinen Platz. Polfer wusste ebenso wie Claude Meisch (DP) von dem Treffen. Den anderen Ausschussmitgliedern sagten die DP-Vertreter davon nichts.

Er habe nichts Illegales getan, verteidigte sich Xavier Bettel diese Woche. Da er bisher nichts mehr von den Justizbehörden gehört hat, kann man davon ausgehen, dass sie nach seiner Aussage nicht zum Schluss kamen, er habe versucht den Zeugen André Kemmer zu beeinflussen.

Trotzdem ist die Sache alles andere als schick. Denn wenn sich politische Beobachter beim Rücktritt Bettels aus der Untersuchungskommission vor drei Jahren dachten, er gehe, um sich die Hände nicht an Jean-Claude Juncker schmutzig machen und jungfräulich und unverbraucht bei den nächsten Wahlen antreten zu können, riskiert sein geheimes Treffen mit Kemmer Flecken auf seiner blütenreinen Weste zu hinterlassen. Weil Juncker über die Geheimdienstaffäre stolperte und die blau-rot-grüne Koalition mit dem Anspruch einer neuen Transparenz angetreten war, die nicht darauf beruht, dass man nur nichts Illegales getan hat, sondern auch nichts Unmoralisches oder Geheimes.

Dass es dem früheren Geheimdienstagenten André Kemmer gelingt, eine neue Regierungskrise auszulösen, ist aber unwahrscheinlich. Auch wenn Xavier Bettel diese Woche mit zittriger Stimme von Interview zu Interview stolperte und dabei jedes Mal mehr Reue zeigte oder Fehler eingestand. Denn Oppositionschef und CSV-Fraktionspräsident Claude Wiseler musste am Dienstag mehrmals von Journalisten ermutigt werden, bevor er ebenfalls mit nicht ganz fester Stimme sagte, wenn das alles stimme, müsse die Vertrauensfrage gestellt werden. Dabei reicht aber der Blick auf die Umfragewerte, um zu wissen, dass Xavier Bettel nach dem verlorenen Referendum und allerlei anderen Pannen der Regierung auch ohne Impeachment-Prozedur nicht der stärkste Premier aller Zeiten ist. Das obwohl ihm Alex Bodry und François Bausch (déi Gréng) seine damalige Heimlichtuerei offiziell verziehen haben.

In diesem neuen Kapitel der Srel-Affäre gibt es einige Parallelen zu den Geschehnissen von früher. Als der damalige Generalstaatsanwalt Robert Biever den ewigen aber nie zu fassenden Verdächtigen der Bombenleger-Affäre, Ben Geiben, in der Privatwohnung eines Ermittlers aufsuchte, um sich ein Bild zu machen, hatte das für ziemlich viel Aufruhr gesorgt.

Es war der Polizist, Dienstwagenfahrer und Vertrauensmann von Jean-Claude Juncker, Roger Mandé, der das Treffen zwischen Juncker und Kemmer arrangiert hatte, bei dem dieser die Aufnahme des Armbanduhrengesprächs überreichte und Mandé, der später ein gutes Wort einlegte, damit Kemmer ins Wirtschaftsministerium wechseln konnte, um sich in der neu geschaffenen Cellule de renseigement économique beruflich neu zu erfinden. Es war der Polizist und Dienstwagenfahrer (in der Vorgängerregierung für Octavie Modert und Jean-Claude Juncker) Mike Gira, der das Treffen zwischen Bettel und Kemmer einfädelte, der auch heute noch einer von drei Polizisten ist, dem Bettel seine persönliche Sicherheit anvertraut. Bettel ist der politische Ziehsohn von Lydie Polfer und Colette Felsch. Gira ist Fleschs Patensohn. Gira, so Xavier Bettel gegenüber dem Land, habe ihm eine SMS geschickt. Da wäre „ein Polizist, ein Freund, ein Srel-Agent, der wolle mit mir reden, der habe wichtige Informationen“, so Bettel. Er habe nachgefragt, um wen es sich handele. Das, habe Gira geantwortet, sei so delikat, dass er es nicht sagen könne. Bettel habe vorgeschlagen, sich in der Gemeinde zu treffen, was Gira abgelehnt habe, weil die Person nicht gesehen werden wolle. „Daraufhin bin ich nach Hause gegangen und kurz später hatte ich die beiden bei der Klingel stehen.“ Gira war bei dem Gespräch anwesend und auch er wurde, so Bettel, vom Untersuchungsrichter angehört.

Nach der ersten Anhörung Kemmers habe er das Gefühl gehabt, manipuliert zu werden, nannte Bettel diese Woche den Grund für seinen Rücktritt aus dem Untersuchungsausschuss. „Weil Herr Kemmer, als ich ihn gesehen habe, nicht die Rolle hatte, wie sie sich entwickelt hat. Am Anfang war da ja nur die Affäre mit der Uhr, danach haben sich ja noch andere Sachen entwickelt. Ich hatte das Gefühl, dass die Rolle, die Herr Kemmer beschrieben hat, nicht unbedingt die war, die der Realität entsprach. Als ich ihn sah, sagte er, er könne für nichts, er habe nur die Uhr beschafft, auf Anfrage, auf Befehl hin. Ich habe ihm gesagt, das soll er der Untersuchungskommission sagen. Das war das Fazit und ich habe ihm gesagt, er soll das der Kommission sagen, nicht mir.“

Als André Kemmer am 19. Februar 2013 von der Kommission von François Bausch und Alex Bodry zum genauen Vorgang mit der Armbanduhr befragt wurde, und Bausch Kemmer darauf aufmerksam machte, dass es doch ein ungeheuerlicher Vorgang sei, wenn man den Vorgesetzten und Staatsminister aufnehmen würde, warf Xavier Bettel dazwischen: „Sie haben sich keine Fragen gestellt?“. Worauf Kemmer „Nein, habe ich nicht“, antwortete.

Doch Bettels Zweifel an Kemmers Darstellung der Fakten reichte nicht aus, um ihn zum Rücktritt aus dem Ausschuss zu bewegen. Erst als ihm im März zugetragen wurde, Kemmer erzähle an den Bartresen der Hauptstadt, Bettel und die DP würden ihn schützen, „war Pilo“, wie Bettel sagt. Eigentlich trat er also zurück, damit der Srel-Skandal ein Problem der CSV bleibe, und nicht auch noch eines der DP werde.

Auch deshalb laviert der heutige Staatsminister ein wenig herum, wenn es darum geht, ob er Ende 2012 mit Kemmer in seinem Wohnzimmer über den damaligen Staatsminister geredet hat. Denn laut Luxemburger Wort, das aus den Vernehmungsprotokollen der beiden zitiert, soll Bettel gesagt haben: „Et geet nët méi mam Juncker.“ Das ist für Bettel problematischer als das Treffen an sich. Welcher Oppositionspolitiker hätte damals der Versuchung widerstehen können, sich exklusive Informationen und damit einen Wettbewerbsvorteil in den anstehenden öffentlichen Anhörungen im Parlament zu verschaffen? Um den Anschein aufrechtzuerhalten, dass es im Untersuchungsausschuss ausschließlich um die Aufklärung der Missstände im Geheimdienst und nicht auch um den Sturz von Jean-Claude Juncker ging, liefern die DP und Xavier Bettel deshalb nun „Kontext“ nach. Die DP mahnte die CSV, sie solle nicht vergessen, dass dies keine Bettel-Kemmer-, sondern immer noch eine Srel-Affäre sei. Xavier Bettel sagte gegenüber dem Land: „‚Et geet nët méi mam Juncker‘, die Frage wurde mir gestellt, ob ich das gesagt habe oder nicht. Der Kontext war der von Missständen in einem Betrieb, das heißt, den Missständen im Srel, der ja eines der wichtigsten Organe im Staat ist. In dem Kontext, dass ich da gesagt habe, dass es da keine Kontrolle mehr gibt durch dessen Chef, das war ja die Feststellung, aufgrund derer eine Untersuchungskommission eingerichtet wurde.“

Die DP und Xavier Bettel haben Recht, wenn sie sagen, dass der außer Kontrolle geratene Geheimdienst ein Problem des CSV und ihres Staatsministers Jean-Claude Juncker war. Doch die Schlagzeilen dieser Woche zeigen, dass es auch die neue Koalition sich damit schwertut, die Sache in den Griff zu bekommen.

André Kemmer ist seit seinem Wechsel aus dem Wirtschaftsministerium zurück zur Polizei im Juni 2013 suspendiert. Er bezieht ein Gehalt, während er abwartet, was die Untersuchungen gegen ihn ergeben und ob er gegebenenfalls wieder in den Dienst integriert wird oder definitiv ausscheidet. Dabei hatten Xavier Bettel und seine Regierungskollegen nach dem Regierungswechsel 2013 angefangen, alle Schränke zu öffnen, um diejenigen herauszuholen, die seit Jahren von der CSV kaltgestellt worden waren.

Vom Land kontaktiert, ließ André Kemmer über seinen Anwalt mitteilen, er wolle sich aus jedwedem politischen Unwetter heraushalten und keine Äußerungen zur laufenden juristischen Prozedur machen.

Weil sich fragt, wie die Vernehmungsprotokolle aus einer laufenden Untersuchung in die Hände von Journalisten gelangt sind, hat die Staatsanwaltschaft eine vorläufige Untersuchung eingeleitet, um festzustellen, ob das Untersuchungsgeheimnis verletzt wurde und gegebenenfalls durch wen, wobei für die beschuldigten Parteien selbst in einem Untersuchungsverfahren kein Geheimnis gilt.

Eine Entscheidung, ob Kemmer sowie seine früheren Vorgesetzten Frank Schneider und Marco Mille sich irgendwann vor Gericht verantworten müssen, steht noch aus, könnte aber bald fallen. Denn die Ermittlungsprozedur vor dem Untersuchungsrichter der bis dahin anhängigen Verfahren ist laut André Kemmers Rechtsbeistand seit Anfang März abgeschlossen, womit die Akten zurück bei der Staatsanwaltschaft sind. Darin geht es den Informationen des Landes zufolge in der Hauptsache um die nicht richterlich genehmigte Abhörung von Kemmers Familienfreund „M.“, der ihm erzählt hatte, auf einer verschlüsselten CD sei ein Gespräch zwischen dem Großherzog und dem Staatsminister aufgezeichnet. Die Aufzeichnung Jean-Claude Junckers mit der Armbanduhr – das hatte die Staatsanwaltschaft schon 2013 mitgeteilt und Alex Bodry hatte die entsprechende Erklärung zu Beginn von Kemmers Anhörung im Parlament vorgelesen – ist verjährt.

In der Zwischenzeit ist es der nach dem Srel-Skandal ins Amt gelangten Regierung noch nicht gelungen, vollständig aufzuräumen. Ihr Vorschlag, der Geheimdienstdirektor könne bei der Aufarbeitung der Srel-Archive mitreden, stieß selbst bei den ehemaligen Mitstreitern auf heftige Kritik und die vom Untersuchungsausschuss geforderte dringende Reform des Dienstes ist immer noch nicht durchs Parlament. Vor drei Wochen, so Xavier Bettel, sei er deshalb im zuständigen Parlamentsausschuss gewesen. Drei, vier Punkte seien noch zu klären, unter anderem wie der Geheimdienstchef zu bestrafen ist, wenn er der parlamentarischen Kontrollkommission nicht die ganze Wahrheit über die Aktivitäten des Geheimdienstes sagt. „Bis zu den Sommerferien“ sollen die Arbeiten abgeschlossen sein, sagt Xavier Bettel. Der verschlüsselten CD, die laut M. das Gespräch zwischen Großherzog und Jean-Claude Juncker enthalten soll und am Ursprung der Srel-Affäre war, konnten auch nach monatelanger Bearbeitung durch einen Algorithmus in der Schweiz bisher nicht die gewünschten Daten entlockt werden, so ein Sprecher des Staatsministeriums.

Michèle Sinner
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