Am Beispiel des Bibliotheks- und Archivwesens

Evaluierungsprozessbeitrag

d'Lëtzebuerger Land vom 21.02.2014

Transparenz, Dialog, Screening undsoweiter – Schlagwörter, eher Stichwörter, die die Tagesaktualität prägen. Mit einer neuen Regierung fangen Archivare und Bibliothekare an, unbeachtet von der Öffentlichkeit, diskret, von außen so leicht aussehend (ein Makel), für zukünftige Generationen das blau-rot-grüne-Wirken professionell einzuordnen. Tradition und Kontinui-tät zeichnen ein Archiv- und Bibliothekswesen aus. Doch leidet dieses in Luxemburg seit Jahrzehnten unter Fehlentwicklungen. Durch fachliche Unwissenheit bedingte Fehlinvestitionen gehören endlich auf den Prüfstand. Der Autor schlägt folgend ein paar Punkte für den angekündigten Evaluierungsprozess durch die neue Regierung vor.

1) Erkenntnis (I) Wenn jemand, salopp formuliert, die A... karte (man kann auch „Arch[iv]-karte“ lesen) gezogen hat, dann das Archivwesen unseres Landes, mit dem Nationalarchiv an seiner Spitze. Bei jedem Neubauprojekt wird diese wahrlich staatstragende Institution auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet. Für das Nationalarchiv gab es bisher kein pathetisches „Ee Land, dat eppes op sech hält, dat däerf seng Bicher, an domat ee Stéck vu senger Vergaangenheet, net vermuuschte loossen“ eines Staatsministers (Parlament, 05.05.2010). Randnotiz (I): Archive existierten vor Bibliotheken auf dieser Welt. Eine gewisse Reihenfolge bei politischer Fürsorge wäre also angebracht. Wer das nicht einsieht, sollte den Unterschied zwischen Primär- und Sekundärliteratur „googlen“. Das kann helfen, denn Einsicht ist bekanntlich das erste Loch im Wasserkopf. Randnotiz (II): Wenn eine Nationalbibliothek 200 Jahre alte Schulbücher verschimmeln lässt (200 000 Euro Schaden – Verschulden nie geklärt) und danach medienwirksam in die Presse geht (Luxemburger Wort, 26.01.2010), sollte ein Nationalarchiv dies auch fertigbringen. Fälle dieser Art gab es, nur waren die Archivare zu bescheiden-diskret. Ein gewaltiger Fehler! Politik benötigt Dramatik, bevor sie handelt. Ein Vorschlag dazu: das Nationalarchiv einmal einstürzen lassen! Nicht nur landes-, sondern weltweite Medienaufmerksamkeit wäre garantiert! Stadtarchiv Köln fragen.

2) Fehlende Gesetzgebung Ein Archivgesetz wird es wohl für längere Zeit nicht geben. Immerhin sind mit einem solchen Vorhaben eine Raum- und Personalaufstockung verbunden. Beides stellt Gift im Politikgeschäft dar. Gäbe es wenigstens eine Pflichtabgabe von Archivalien vorerst für Staats-, später (hoffentlich) für Gemeindebeamte und ein Großteil der Geschichte unserer Exekutive wäre gerettet. Noch sind wir nicht so weit. Dabei können verlorene Schriftstücke einen Staat je nachdem sehr teuer zu stehen kommen. Schnelles Wiederfinden spart immer Geld. Es wäre an der Zeit über ein dépôt légal fürs Archivwesen nachzudenken. Nur bitte mit besseren Sammelrichtlinien ausgestattet, als die Pflichtabgabegesetzgebung der Nationalbibliothek. Es muss ja nicht jeder Parziedel in Print- oder elektronischer Form (d'Land 2/2009) gesammelt werden. Die übliche Vorgehensweise: Nach uns die Sintflut, also weg mit dem alten Zeug! So kann eine zukünftige Besatzungsmacht beim nächsten Einmarsch keine die Existenz des Staates legitimierenden Dokumente manipulieren. Ätsch!

3) Verdoppelung (I) Macht es einen Sinn, wenn nationale Kulturinstitute wie Nationalarchiv und -bibliothek Direktoren, Personal, Experten, etc. in großem Stil an zwei Standorten unabhängig voneinander aufbauen (d'Land, 30/20131)? Solche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mögen positiv sein; wirtschaftlich sind sie nicht. Auch ein Archiv- und Bibliothekswesen kann effizient arbeiten – Beispiel Mikroverfilmung. „Ainsi tout double emploi est évité“, so Kulturministerin Frieden-Kinnen am 24.11.1971 im Parlament, als es darum ging, eine einzige Mikroverfilmungsanlage für den Luxemburger Staat zu erwerben. Man kam zu der nicht nur damals wahrhaft revolutionären Entscheidung, eine solche Anlage samt Personal nur einem Kulturinstitut zur Verfügung zu stellen. Das spare Geld. Das Nationalarchiv bekam den Zuschlag. Ersetzen Sie heute „Mikroverfilmung“ durch eine andere Vervielfältigungsart: „Digitalisierung“. Doch die luxemburgische Antwort wird laut aktuellem Stand lauten: Einstellen von Spezialisten für Langzeitarchivierung (d'Land, 12/20132), Informatik, Digitalisierung, Restaurierung und so weiter an allen Standorten! Man kann nie vorsichtig genug sein, nicht wahr? Geld spielt keine Rolle, denn geben wir es zu: Unsere Krise ist doch nur eine Scheinkrise.

4) Verdoppelung (II) Zwei Universitätsbibliotheken sollen derzeit in unserem Lande gebaut werden. Richtig gelesen: zwei! Das Kulturinstitutsgesetz vom 25.06.2004, Artikel 9, den zweiten Strich, den letzten Satz (Fusionsandeutung), gilt es zu ignorieren, denn er könnte Sinn machen und das passt hier gar nicht hin. Eine Universitätsbibliothek in Esch/Belval und eine in Luxemburg-Kirchberg (Bricherhaff) werden inzwischen gebaut, beziehungsweise geplant. Die Nationalbibliothek besteht zu drei Vierteln aus nicht-luxemburgischem Bestand. Ein Geburtsfehler, anno 1798, jedoch historisch erklärbar (d'Land 24/2010). Die Ausleihstatistiken der Nationalbibliothek belegen außerdem, dass 60 bis 70 Prozent der eingeschriebenen Nutzer einen wissenschaftlichen, unversitätsbibliotheksähnlichen Zweck verfolgen. Ebenfalls kann tagtäglich festgestellt werden, dass die Lesesaal- und Dokumenten-Vorortbenutzung mehrheitlich aus Studenten besteht. Eine Problemlösung wäre: Eine zweite Universität gründen, um den Bricherhaff-Bau doch noch zu rechtfertigen! Womit unsere Hauptstadt sich von dem 2004 erlittenen Unrecht des Verlustes einer Volluniversität wieder erholen könnte. Diese kostspielige Trauma-Bewältigung kann nur im Interesse des ganzen Landes sein.

5) Existierende schlechte Gesetzgebung Ein missratenes Bibliotheksgesetz, das neben einer ungerechtfertigten Überbürokratisierung totalitäre Ideologieelemente beinhaltet, wurde am 22.04.2010 im Parlament mit 60 von 60 Stimmen verabschiedet (d'Land, 13/2013). Dies mit der Schnelligkeit eines Stempelaktes in einer Bibliothek. Weitere Kommentare verbietet sich der zutiefst demokratisch veranlagte Verfasser dieses Artikels. Dass der Verband der Bibliothekare vor diesem Gesetz im Vorfeld noch gewarnt hatte, soll keine Beachtung finden. Was versteht die Mehrheit der qualifizierten Bibliothekare dieses Landes schon von Bibliotheken? Pfff! Die luxemburgische Gemütsart offenbart: Der Zweite Weltkrieg ist seit 65 Jahren wohl beendet, jedoch wurde in Luxemburg daraus offenbar nichts gelernt. Wozu auch? Geschichte wiederholt sich doch sowieso, oder?

6) Erkenntnis (II) Es klingt schmerzlich, aber öffentliche Bibliotheken sind eine ziemlich kommunale Angelegenheit. Der Staat kann fördern und fördert in der Regel, aber hält sich ansonsten heraus. So weltweit die Regel und das hat seine Gründe: die kommunale Autonomie gilt als Bollwerk gegen politisch extremistische Tendenzen, die von Staatsebene ausgehen könnten. So jedenfalls sehen es insbesondere die Franzosen. In Deutschland wird dies aus bibliothekarisch-fachlicher Perspektive als selbstverständlich angenommen. Dies heißt, dass Ministerialbeamte nicht bestimmen dürfen, was im Bibliotheksbestand vorhanden sein darf; dass ein staatlicher Bücherbus gemäß dieser Logik (unter anderem) fehl am Platze ist und eine staatliche Nationalbibliothek sich nicht in kommunale Angelegenheiten einzumischen hat. Doch das neue Luxemburger, international zu imitierende Modell wird garantiert Schule machen und folgendermaßen aussehen: A) Alle Bibliotheken verstaatlichen! Was in totalitären Regimen bereits erfolgreich ausprobiert wurde, kann nur ein Beweis einer erfolgreichen Kontrolle durch den Staat sein. Ein Bibliotheksgesetz (2010) nach Planwirtschaftsmethode existiert ja bereits. B) Eine Zweigstelle der Natio-nalbibliothek in jeder Stadt! Nicht, dass unsere Hauptstadt einen Vorteil daraus ziehen könnte, auf staatliche Kosten eine schmucke Stadtviertelbibliothek mit allem Drum und Dran zu besitzen. „Bibliothèque nationale de Luxembourg“ statt „du Luxembourg“ sagt ja schon vieles aus.

7) Qualitätssteigerung Es kann nicht oft genug betont werden, aber die Qualität eines Katalogs spiegelt die Qualität einer Bibliothek wider. In unserem Lande besteht ein nationaler Vorzeigeverbundkatalog, der jedoch immer öfter verwirrende Rechercheergebnisse erzeugt. Der Ursprungsgedanke dieses im Sommer 1986 gestarteten Verbundkatalogs bestand darin, dass nur wissenschaftliche Bibliotheken ihre Bestände dort aufnehmen. Das hat etwas mit Forschung zu tun. Das ergab und ergibt noch heute Sinn. Insbesondere weil es im Ausland auch so ist. Heute ist der so genannte bibnet.lu-Katalog ein Sammelsurium. Pikantes Detail: Der seit August 2003 existierende Verbundkatalog ist über internationale Metakataloge recherchierbar. Da auch öffentliche Bibliotheken teilnehmen (müssen), ist das Dokumentenangebot ein sehr „gemischtes“. Sinnfrage: Welcher Forscher aus Berlin oder Paris interessiert sich dafür, welcher Allerwelt-Roman in der Dorfbibliothek von Ulflingen vorhanden ist!? Wir vermuten: Luxemburg ist eine Insel und alle Kabel zur Außenwelt sind gekappt. Oder wir wissen wie immer alles besser.

Fazit Bei einigen dieser Punkte kann echtes Geld eingespart werden. Richtig gelesen: eingespart. Es gilt, konzeptuelle Fehlentwicklungen seit den 1970-er Jahren zu korrigieren, Investitionen sinnvoller einzusetzen. Dann bleibt Geld übrig, um öffentliche Bibliotheken zweckmäßig zu fördern oder Digitalisierungsinitiativen von Zeitungen und Zeitschriften durch die Nationalbibliothek in korrekter Art und Weise zu legalisieren.

Es stellt sich die finale Evaluierungsfrage: Werden längst überfällige Fehlerbereinigungen, Audits undsoweiter wirklich stattfinden oder ist alles nur Teil einer großen Gambia-Show?

1-3 http://www.land.lu/category/archiv/culture/bibliotheques/
Jean-Marie Reding
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