Niederlage für die LSAP

Klares Verdikt

d'Lëtzebuerger Land du 17.06.1999

Das Urteil der Wähler läßt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Die austretende Regierungsmannschaft wurde eindeutig desavouiert. Daß das Verdikt vernichtender für die LSAP als für die CSV ausfiel, gibt jetzt Anlaß zu Beschönigungsversuchen. Staatsminister Jean-Claude Juncker versteht die Welt nicht mehr, hadert mit sich selbst und der Politik, will nicht wahrhaben, was der Souverän entschieden hat. Es gibt zwei Sieger. Die DP legte ihr zweitbestes Wahlergebnis seit 1945 hin. Stimmenmäßig kommt sie mit einem Zugewinn von mehr als drei Prozentpunkten fast an das historische Ergebnis von Gaston Thorn von 1974 heran (22,3 Prozent gegenüber 23,3). Das ADR konnte sich von neun auf 11,3 Prozent steigern. Daß DP und ADR gleichzeitig derart spektakuläre Progressionen verzeichnen, ist eines der Rätsel dieser Wahlen. Bisher war es so, daß die Protestpartei, schlechtes Gewissen von CSV un DP, sich auf deren Kosten profilierte. Das ADR hat sich von seiner ursprünglichen Rolle als Sammelbecken der Unzufriedenen emanzipiert und sich zu einer der Parteien des Mittelstands und der bürgerlichen Mitte gemausert. Daß die DP diesmal nicht in ihrem Elan beeinträchtigt wurde, dürfte eine Bestätigung für ihre Strategie sein, alles auf die Karte der Staatsbeamten zu setzen. Zu den Verlierern gehören die Sozialisten, die mehr als drei Prozentpunkte einbüßten und ihren bisherigen Tiefstand von 1979 (24,3 Prozent) mit ihrem enttäuschenden Resultat von 22,3 Prozent Stimmenanteil gar noch unterschritten. Die Partei, die einen unverhältnismäßig hohen Preis für ihre fünfzehnjährige Regierungsbeteiligung bezahlen mußte, wurde ein Opfer ihrer gespaltenen Persönlichkeit und ihres Profilverlustes. Ihre Kehrtwendung in der Frage der strukturellen Rentenreform kurz vor dem Wahltermin war ein taktischer Fehler, der sie um den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit brachte. Die Stagnation von Déi Gréng zeigt wohl, daß ihre neue Respektabilität und ungewohnte staatsmännische Allüren die bürgerlichen Wählerschichten nicht überzeugen konnten. Déi Lénk konnten mit ihrem Sitzgewinn einen Achtungserfolg erzielen, der vor allem das in die Mitte und nach Rechts abgedriftete politische Spektrum um eine Dimension erweitert, die seit 1994 auf parlamentarischer Ebene nicht mehr vertreten war. Zu den Verlierern gehört aber auch die CSV. Sie verzeichnete stimmenmäßig zwar nur einen leichten Verlust, büßte aber zwei Sitze ein. Jean-Claude Juncker konnte, trotz einer persönlichen Glanzleistung, nicht verhindern, daß seine Partei ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit 1945 erzielte. Mit 30,1 Prozent liegt sie gefährlich nahe an ihrem bisherigen Tiefpunkt von 1974, wo sie auf 29,8 Prozent zurückfiel. Es gibt auch heute wieder gewichtige Stimmen in der CSV, die finden, daß eine erneute Oppositionskur der Partei gut zu Gesichte stehen würde. Sie gehen davon aus, daß nur das herausragende persönliche Resultat von Jean-Claude Juncker sie vor einem Debakel bewahrte, das ohne seinen Einstand wohl ähnlich dramatisch ausgefallen wäre wie dasjenige der Sozialisten. Die CSV wäre auf jeden Fall gut beraten, sich bereits jetzt auf die Zeit nach Juncker einzustellen. Sie kann nicht davon ausgehen, daß er in alle Ewigkeit zur Verfügung stehen oder seine Attraktivität als Zugpferd unverändert anhalten wird. Entlarvend war seine Äußerung gelegentlich der großen Politikerrunde am Sonntag auf RTL Télé Lëtzebuerg, er wisse ganz genau, wann für ihn die Schmerzensgrenze erreicht ist, wo es sich nicht mehr lohnt, in Luxemburg Politik zu machen. Daß diese Schmerzensgrenze bereits jetzt eingetreten sein soll, kann doch nicht wahr sein. Seine Lustlosigkeit ist natürlich vor allem darauf zurückzuführen, daß er keines seiner vier erklärten Wahlziele erreichte. Er war angetreten, um den Negativtrend der CSV zu stoppen und sie wieder deutlich über dreißig Prozent anzuheben. Er war bestrebt, die Koalition mit der LSAP weiterzuführen und deshalb zeigte er sich ungehalten darüber, daß die Sozialisten sehr früh den Marsch in die Opposition antraten. Daß er überhaupt mit dem Gedanken spielte, es noch einmal mit einer Koalition der Verlierer zu probieren, zeigt wohl deutlich, in welchem Maße er den Wählerwillen verkennt. Er wollte auch ein drittes Mandat für die CSV im Europa-Parlament zurückerobern. Die CSV hat zwar leicht bei den Europa-Wahlen zugelegt, dank Junckers Glanzleistung und dem durchaus respektablen Ergebnis von Jacques Santer, aber sie ist weit von den Performanzen entfernt, die ihr 1979,1984 und 1989 einen dritten Sitz sicherten. Schließlich hatte er sich vorgenommen, das ADR von der politischen Landkarte auszuradieren. Man kann nur hoffen, daß der alt-neue Staatsminister seine gewohnte Kontenance möglichst bald wiederfindet und endlich etwas mehr Respekt vor dem Wählerwillen bekundet, was natürlich eine gründliche Gewissenserforschung voraussetzt, die ihm sichtlich schwer fällt. Man sollte ihn beim Worte nehmen. Am Tag vor den Wahlen gab er sich gegenüber dem LW durchaus einsichtig: „In einer Demokratie ist ein Wechsel etwas Normales, keine Krisenerscheinung. Ein Wechsel kann jedoch weder herbeigeredet noch herbeigezwungen werden. Er muß herbeigewählt werden. Wenn die Luxemburger morgen den Wechsel wollen, dann findet dieser auch statt." Der Wechsel ist jetzt da. Die DP mag zwar nicht unbedingt der Wunschpartner und schon gar nicht der Traumpartner der CSV sein. Das eindeutige Wählerverdikt läßt ihr aber keine andere Wahl und es ist müßig, darüber zu sinnieren, daß angeblich Welten die beiden Parteien vor allem in sozialpolitischer Hinsicht trennen. Diesbezügliche Äußerungen, die vor allem aus dem LCGB-Flügel der CSV zu vernehmen sind, stehen übrigens im krassen Widerspruch zu den vor den Wahlen getroffenen Einschätzungen der DP, der Profillosigkeit und unverbindliche programmatische Positionen unterstellt wurden. CSV und DP verbindet wahrscheinlich sehr viel mehr als manche in der CSV und ihrem Gewerkschaftsflügel wahrhaben wollen. Ohnehin ist keine radikale politische Kurswende angesagt. Der Staatsminister sollte sich nicht länger zieren und zur Tat schreiten.

Mario Hirsch
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