Verbesserungen im Strafvollzug für Frauen

Ein Recht, kein Geschenk

d'Lëtzebuerger Land du 21.08.2008

Als die Menschenrechtskommission im Juli ihren Bericht über Minderjährige im Gefängnis vorstellte, ließ sie eine Gefangenengruppe bewusst außen vor: die Frauen. Dabei geben ihre Haftbedingungen fast ebenso häufig Anlass für Ermahnungen nationaler wie internationaler Menschenrechtsorganisationen. In ihrem Bericht vom Februar 2007 prangerten das Luxemburger Anti-Folter-Komitee und die Gefangenenhilfsorganisation Infoprison zum wiederholten Mal an, dass weibliche Häftlinge in Luxemburg schlechter behandelt werden als männliche. Aber nicht nur in Luxemburg werden Frauen im Strafvollzug systematisch benachteiligt; das Europaparlament appellierte im März eindringlich an alle Mitgliedstaaten, doch endlich die „Gender-Dimension“ in ihre Strafvollzugspolitiken zu integrieren. 

Dem Justizministerium ist die Misere also bekannt, wie es im dies­jährigen Tätigkeitsbericht auch einräumt: „Le fait que les femmes ne peuvent pas bénéficier des mêmes avantages que les hommes (...) comme la semi-liberté, les loirsirs, les chances de réinsertion sociale etc., répresente un manquement contre le principe de l’égalité des chances.“ Von den 62 Häftlingen, die 2007 vom halboffe­nen Strafvollzug profitierten, waren weiblich: genau null. Denn „semi-liberté“ wird fast ausschließlich in Rahmen der Männerhaftanstalt Givenich zugestanden, im Schrassiger Centre pénitentiaire du Luxembourg (CPL) ist ein teilweiser Ausgang schon aus Sicherheitsgründen kaum möglich. Lediglich drei Frauen von 53, so steht es im Bericht des Justizministeriums, hätten 2003/2004 in Schrassig von gelockerten Haftbedingungen profitiert. „Seitdem war wegen der chronischen Überbelegung und dem Personalmangel nicht mehr daran zu denken“, bedauert CPL-Direktor Vincent Theis.

Inzwischen ist die Gefangenenzahl leicht gesunken. Bei 600 Häftlingen in einem ursprünglich für 300 bis 400 Insassen konzipierten Gefängnis spricht der Direktor schon „fast von Normalität“. Und auch für die inhaftierten Frauen bestehen Aussichten, dass sich ihre Situation in nicht allzu langer Zeit verbessert. Justizminister Luc Frieden (CSV) hatte vergangenes Jahr angekündigt, den halboffenen Vollzug demnächst auch für sie zu ermöglichen, nachdem erste Pläne aus den 90-er Jahren wegen der Überbevölkerung zurückgestellt worden waren. Nun sollen auf Worten Taten folgen: in Givenich. „Wenn wir mit dem Bau fertig sind, werden Frauen dieselben Haftbedingungen haben wie die Männer“, versichert der Givenicher Gefängnisleiter Claude Lentz. Ein geeignetes Gebäude, die um die Ecke gelegene Maison Kasel mit angrenzenden Stal­lungen, hatte der Staat 1991 gekauft; seitdem rottete die Anlage vor sich hin, bis sich Lentz für die Nutzung einsetzte.

Heute sind die Bauarbeiten voll im Gange. Viel ist noch nicht zu sehen, aber wenn alles fertig ist, soll in dem lang gestreckten zweigeschossigem Gebäude der Frauentrakt mit unterkommen. Nach den Plänen des Architektenbüros Witry [&] Witry entstehen unterm Dach neun Einzelzimmer plus Toilette. Sie sind unterschiedlichen Haftregimes zugeordnet: In fünf Zimmern im rechten Flügel werden Frauen wie im normalen Vollzug auch nach der Arbeit und den Freizeitaktivitäten eingesperrt. Auch ein überwachter Innenhof sowie ein Mutter-und-Kind-Raum sind geplant. „Damit Mütter, die die Konditionen des halboffenen Vollzugs erfüllen, nicht von vornherein ausgeschlossen sind“, so Lentz. Im linken Flügel können vier Frauen, ähnlich wie es für die Männer der Fall ist, in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. Mit Hilfe von Sozialarbeitern werden sie sich in gemeinsamem Wohnzimmer und Küche in Alltags- und Konfliktbewältigung üben. Progressiver Vollzug nennt sich das: Wer gezeigt hat, dass er oder sie sich für die „semi-liberté“ eignet, kann in die offenere, wohnlichere WG-Struktur wechseln.

Wie viele von den derzeit rund 30 in Schrassig untergebrachten Frauen für den neuen Trakt in Frage kommen, ist noch unklar. Die rund 15 Untersuchungsgefangenen scheiden aus, denn nur wer rechtskräftig verurteilt ist, wo es das Strafmaß erlaubt, wo keine Fluchtgefahr besteht und ein entsprechender Antrag auf „semi-liberté“ von der Generalstaatsanwaltschaft positiv entschieden wurde, darf nach Givenich, um dort extra muros zu arbeiten. Zuvor muss sich die Antragstellerin bereit erklären, zu arbeiten oder sich in den dortigen Werkstätten auszubilden. „Wir werden wahrscheinlich mit ein, zwei Frauen beginnen, um erste Erfahrungen zu sammeln“, so Lentz.

Das ist wohl nicht die schlechteste Idee, denn mit dem Frauentrakt kommt ein weiteres Novum: Sowohl an den Werkateliers als auch an der Gärtnerei sowie an den Freizeitaktivitäten werden Frauen und Männer künftig gemeinsam teilnehmen. Die anfängliche Idee, eine Einrichtung nur für weibliche Häftlinge aufzubauen, war von den politisch Verantwortlichen vor allem aus Kosten- und Synergiegründen rasch verworfen worden. So schlage man „zwei Fliegen mit einer Klappe“, begrüßt Lentz die Entscheidung. Weil der Staat ohnehin im Besitz der Maison Kasel war, konnte die mühsame Suche nach einer Immobilie entfallen, mitsamt den üblichen Polemiken und Abwehrreflexen. Außerdem ist in dem kleinen Dorf bei Wasserbillig alles vorhanden. Infrastrukturen, wie neue Werkateliers und Sporthalle, müssen nicht für teures Geld gebaut werden; auch erfahrenes Personal ist da. Das zudem, im Rahmen des mit Geldern des Europäischen So­zialfonds unterstützten Equal-Projekt Reset, die Prozeduren der Reintegration von Gefangenen gänzlich überarbeitet hat (d’Land, 9.12.05). 

Anfängliche Bedenken gegen ein gemischtes Regime gab es trotzdem: Wenn Frauen und Männer zusammenarbeiten, wird das nicht Unruhe und Zwietracht bringen?, war eine der Sorgen, die in der aus dem internen Sozialdienst, der Gefängnisleitung und den Wärtern bestehenden Arbeitsgruppe angesprochen wur­de. 

Befürchtungen, die der Direktor versteht, aber nicht teilt. Man werde die Frauen und Männer nur unter strenger Aufsicht zusammenkommen lassen. Abends kehre jeder und jede in seinen Flügel zurück. „Kontrolliertes Zusammenleben“ nennt Lentz das und sieht darin eine Vorbereitung für die Zeit nach der Haft: „Auch außerhalb der Mauern müssen Frauen und Männer miteinander umgehen.“  Was die Frauen selbst davon halten, ist unsicher: Sie sind in die Vorbereitungen nicht eingebunden. 

Ob ein Frauentrakt in Givenich wirklich die beste Lösung ist, wird sich aber erst noch zeigen müssen. Nicht nur, dass Gefangenenstudien belegen, dass viele straffällig gewordene Frauen zuvor Opfer von sexueller – zumeist männlicher – Gewalt waren. Die Givenicher Leitung setzt daher auf ein umfassendes Sicherheitskonzept. Die von der Europäischen Kommission 2005 publizierte Untersuchung Women Integration [&] Prison über die Haftbedingungen von Frauen in den EU-Ländern Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Ungarn ergab zudem, dass weibliche Bedürfnisse in gemischten oder vornehmlich Männern vorbehaltenen Infrastrukturen häufig unter die Räder geraten. Oft scheitert eine angemessene Betreuung bereits im Vorfeld, weil es an weiblichem Wachpersonal fehlt, das die Frauen bei ihrem Gang in die Werkstätten oder Turnhallen begleitet. Auch in Schrassig verhinderte der Personal- und Platzmangel ein ums andere Mal, dass Frauen bestehende Infrastrukturen überhaupt nutzen konnten. Die Lage wurde erst besser, als der Gesetzgeber sich dazu durchrang, neben Härebierg-Absolventinnen auch ziviles Wachpersonal einzustellen. In Givenich sollen in einer ersten Phase acht Wärterinnen eingestellt werden, das Einstellungsverfahren läuft derzeit.

Ein verbesserter Personalschlüssel ist keine Garantie für bessere Haftbedingungen. In Schrassig sind die Arbeits- und Ausbildungsangebote für Frauen extrem einseitig und untermauern überkommene Rollenklischees. Frauen werden vorrangig in traditionell ihnen zugeschriebenen Arbeitsdomänen eingesetzt: im Bügel- und Nähatelier, in der Küche oder für den Putzdienst – obschon in der Arbeitswelt außerhalb der Gefängnismauern in diesen Bereichen selbst für qualifizierte Frauen kaum noch Jobs zu finden sind. Die Forderung des Europaparlaments ist unmissverständlich: „Equal access for male and female prisoners to employment, vocational training and leisure activities during their imprisonment“; auch eine gerechte Entlohnung zählt dazu. „Wir werden nach den Fähigkeiten gucken, die jede mitbringt und mit ihr besprechen, was realistisch ist“, verspricht Claude Lentz, der ansonsten die Gemeinsamkeiten von weiblichen und männlichen Gefangenen betont.

Viele kommen aus ärmlichen Verhältnissen, haben die Schule abgebrochen oder keine Ausbildung, waren drogenabhängig oder sind es noch. Nach der Haft stehen sie, wie viele ihre männlichen Kollegen auch, buchstäblich vor dem Nichts. Das wenige Geld, das sie während der Haft vielleicht verdient haben, reicht vorn und hinten nicht, um eine Wohnung zu bezahlen. Das Givenicher Personal bemüht sich zwar redlich, zusammen mit dem gemeinnützigen Verein Défi Job, für die Freigänger eine Arbeit und ein Dach über den Kopf zu beschaffen, doch die ebenfalls seit langer Zeit geforderten Auffangstrukturen für die Zeit unmittelbar nach der Haft mussten dem Frauentrakt weichen. Für beides hat der Luxemburger Staat kein Geld. Und selbst wenn die Unterbringung gesichert ist, halten viele den ungewohnten Arbeitsrhythmus nicht durch und brechen vorzeitig ab. Der Teufelskreis beginnt von vorn. 

Für Frauen mit Kindern stellt sich noch ein ganz anderes Problem: Laut EU-Bericht beginnt vor allem für Langzeitgefangene nach der Entlassung zunächst oftmals ein zäher,  nervenaufreibender Kampf mit den Behörden oder mit der Familie ums eigene Kind. An regulärer Arbeit ist unter diesen Umständen kaum zu denken, mühsam in der Haft aufgebaute Zukunftsperspektiven zerbrechen. Die Abgeschiedenheit Givenichs könnte da von Nachteil sein: Wenn es für ärmere Angehörige schwierig wird, die Besuchsfahrt ins Gefängnis zu bezahlen. Der französische Länderbericht schildert Fälle, in denen Frauen freiwillig auf bessere Haftbedingungen verzichteten und im lokalen Gefängnis blieben, um ja nicht den Kontakt zur Familie zu verlieren. Ausgeschlossen sei das nicht, gibt Lentz zu. Er glaubt dennoch fest daran, dass sich die Situa-tion der meisten Frauen entscheidend verbessern wird, wenn der neue Trakt, wie geplant, Ende 2009 in Betrieb genommen wird. Den Frauen ist es auf jeden Fall zu wünschen. Denen, die all die Jahre leer ausgingen, eigentlich auch. 

Ines Kurschat
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