Vom Energie- zum Wissenschaftsmusuem

Differdinger Geschichten

d'Lëtzebuerger Land vom 17.05.2013

Gäbe es hier nicht so viele Maschinenteile und wäre unter der Decke nicht ein 75-Tonnen-Brückenkran installiert, dann könnte man sich diese Halle auch anders vorstellen als eine Fabrikhalle. Mit ihrer gewölbten Decke und den Oberlichtern darin, mit den Säulen und Bögen an den Fenstern könnte sie auch einen Kopfbahnhof von Ende des 19. Jahrhunderts hergeben. Und der Fußboden mit den bunten Kacheln muss prächtig ausgesehen haben, als die Halle in Betrieb ging.

Ja, ein „Prunkbau“ sei das, sagt Nicolas Didier. Didier ist Präsident der Vereinigung Groussgasmaschinn. Die möchte den Prunkbau abtragen und an anderer Stelle renoviert wieder aufbauen lassen. Dort wäre die Halle dann Heimstatt für ein Projekt, das Musée de l’énergie industrielle heißt. Denn der Bau mit der raffinierten Innenarchitektur war seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 1900 und bis 1979 Energieproduktionsstätte: Hier, in der Gasmotorenzentrale II, trieb im Hüttenwerk Differdingen Hochofengas riesige Motoren an. Die Gasmotoren sorgten über Pumpen für die Luftzufuhr zu den Hochöfen und über Generatoren lieferten sie Strom.

Die Differdinger Gasmotorenzentrale war 1900 die weltweit erste ihrer Art. Der größte Motor wurde dort 1938 installiert: ein Koloss mit vier Zylindern von je 3 000 Litern Hubraum und einer Leistung von acht Megawatt oder 11 000 PS. So viel Leistung pro Zylinder brachte danach kein Gasmotor mehr auf. Für die Groussgasmaschinn Nr. 11 wurde damals die Motorenhalle erweitert, für die Montage der Maschine der Brückenkran unter der Hallendecke eingebaut. Die Investition kostete die Hauts-Fourneaux et Aciéries de Differdange, St. Ingbert et Rumelange (Hadir) seinerzeit ingesamt 20 Millionen Franken. Neun Millionen kostete der Motor von Ehrhardt & Sehmer aus Saarbrücken.

Die Idee, den weltgrößten Gasmotor mit der Motorenhalle und noch weiteren Maschinen zum Kern eines Energiemuseums zu machen, wurde schon bald geboren, nachdem die ASBL Groussgasmaschinn sich 2007 gegründet hatte. Motor und Halle waren ein paar Monate vorher zu nationalem Kulturerbe erklärt worden. Seit die Regierung 2009 zustimmte, das Museumsprojekt realisieren zu helfen, war zunächst daran gedacht worden, es bei Lasauvage anzusiedeln – in Nachbarschaft des Fond-de-Gras. Das wurde mittlerweile verworfen. Entstehen soll das Museum nun auf dem früheren Hochofenplateau in Differdingen. Vorangetrieben wird das Projekt von der ASBL. Man rechne, sagt Nicolas Didier, mit einem Museumsbau von 185 mal 35 Metern, Außenanlagen nicht inbegriffen.

Untergebracht werden soll dort aber nicht nur der größte Vierzylinder-Gasmotor der Technikgeschichte. Plus mehrere andere imposante Verbrennungsmotoren mit angeschlossenem Elektro-Riesendynamo, wie etwa die beiden Dieselmaschinen, die ab den Dreißigerjahren den Strom für die Sender von Radio Luxemburg in Junglinster erzeugten. Das Musée de l’énergie industrielle soll gerade nicht in erster Linie ausstellen, was staatlicherseits als Monument klassiert ist oder durch den Einsatz der ASBL vor der Verschrottung gerettet wurde. „Museen erzählen den Leuten oft, was sie glauben sollen“, meint Didier. „Das wollen wir auf keinen Fall.“ Gut möglich, dass das Museum, wenn es öffnet, gar nichts von „industrieller Energie“ im Namen trägt, sondern sich vielleicht „Science Center“ nennt.

Denn was angestrebt wird, ist ein Wissenschaftsmuseum, das Energie, Energiegewinnung und Energieverbrauch zum Gegenstand hat und über diese Themen größere Zusammenhänge aus Naturwissenschaft und Technik erklärt – spielerisch und interaktiv. Die Energiegewinnung in der Schwerindustrie, wie in der Luxemburger, wo ab den Neunzigerjahren des 19. Jahrhunderts unter dem damaligen Generaldirektor Paul Wurth in Differdingen die Nutzung von Hochofengas versucht wurde, weil es hierzulande keine Kohlevorkommen gab, soll ebenso eine Rolle spielen wie erneuerbare Energien, die „smarten“ Energiestrategien des 21. Jahrhunderts oder das große Thema Energiesparen. „Wir wollen auch die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen ansprechen“, gibt Didier die Richtung vor. Das sei das Publikumssegment, das von Museen oft aufgegeben werde in der Hoffnung, die über 25-Jährigen kämen als Eltern mit ihren Kindern zurück. Damit das in Differdingen anders wird, hat die ASBL sich mit dem Technorama im Schweizer Winterthur zusammengetan. Das dort 1947 als Industriemuseum der Region Zürich-Baden-Winterthur eröffnete Haus musste sich in den Neunzigerjahren neu erfinden, weil das Publikumsinteresse immer weiter nachließ. Zahlreiche Exponate für das Differdinger Museum werden gemeinsam mit dem Winterthurer entwickelt. „Daneben stehen wir im Kontakt mit vielen anderen Technik- und Wissenschaftsmuseen weltweit und lernen von ihnen“, erzählt Didier. Das Konzept für Differdingen habe die Chance, das jüngste und vielleicht modernste weltweit zu werden.

Wann das Museum auf dem Hochofenplateau öffnen könnte? Einen genauen Plan dafür gibt es noch nicht. In erster Linie ist das Vorhaben noch immer eine Privatinitiative – wenngleich unterstützt durch den Staat und Arcelor-Mittal, gesponsert von anderen Unternehmen und außerordentlich begrüßt von der Differdinger Gemeinde. Seit Februar 2012 werden die historischen Maschinen im Differdinger Stahlwerk demontiert, restauriert und zum Abtransport bereit gemacht; alles unter fachlicher Aufsicht eines Experten vom Deutschen Museum München. Nicolas Didier geht davon aus, dass der Museumsbau in fünf bis sechs Jahren geschafft sein könnte, zuzüglich eines Jahres für Planungen und Genehmigungsprozeduren.

Dass nicht nur seine Gemeinde, sondern der ganze Landessüden „bis Ende dieses Jahrzehnts“ um ein Highlight reicher sein wird, hofft der Differdinger Bürgermeister Claude Meisch. Die Gemeinde bemühe sich derzeit darum, mit Arcelor-Mittal die Terrain-Frage zu klären und bereite urbanistische Planungen vor. Meisch schwebt als Museumsvorplatz ein großer öffentlicher Platz vor, auf dem auch Veranstaltungen stattfinden könnten. Für den Fall, dass der Bau konkreter wird und die Regierung eine staatliche Finanzierung beschließt, könnte die Gemeinde den Rest übernehmen.

Peter Feist
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