Rassismus und Nationalismus bei Rudolf Steiner

Der Geist des Kulturzeitalters

d'Lëtzebuerger Land du 07.02.2020

Immer wieder wird dem Anthroposophie-Protagonisten Rassismus vorgehalten. Um welche Annahmen Steiners handelt es sich dabei genau? Der biologische Darwinismus trieb im 19. Jahrhundert unterschiedliche kulturelle Blüten. Nicht nur machte sich ein Sozialdarwinismus in den Geisteswissenschaften breit, sondern auch ein esoterischer in den entsprechenden Zirkeln.

In seinem Buch Rassismus und Geschichtsmetaphysik – Esoterischer Darwinismus und Freiheitsphilosophie bei Rudolf Steiner zeichnet der Religionsphilosoph Ansgar Martins dies im Kontext der Theosophie und Anthroposophie nach. Zunächst verband Steiner während seiner theosophischen Zeit, wie um die Jahrhundertwende in diesen Kreisen üblich, spirituelle Evolutionsstufen mit Rassentheorien. Darin wurde die weiße Rasse als eine Art geistige Führungskraft wiederholt überhöht. In seinem späteren anthroposophischen Werk versuchte er seinen Evolutionsbegriff zu entbiologisieren, indem er behauptete, die Menschheit sei auf ein allmähliches Verschwinden der Rassen angelegt. Dennoch betonte er, wie Martins nachzeichnet, bis zu seinem Lebensende die angeblichen Rasseneigentümlichkeiten, spitzte sie zuweilen gar zu. 1923, zwei Jahre vor seinem Tod, verlautbarte Steiner beispielweise vor einem Arbeiterpublikum:

,,Zu Asien gehört die gelbe Rasse, die Mongolen, die mongolische Rasse, und zu Europa gehört die weiße Rasse oder die kaukasische Rasse, und zu Afrika gehört die schwarze Rasse oder die Negerrasse. Die Negerrasse gehört nicht zu Europa, und es ist natürlich nur ein Unfug, dass sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt“ (GA 349: 53).

Ansgar Martins zufolge sind die rassentheoretischen Passagen in Steiners Werk überschaubar. Doch sei nicht nur seine Rassentheorie problematisch, sondern auch seine Vorstellungen vom „deutschen Volksgeist“. Der ist nach Steiner seit 1879 der führende Geist des gegenwärtigen Kulturzeitalters. Bedingt durch seine Reifheit solle er die Menschheit tiefer in übersinnliche Erkenntnisse hineinführen (vgl. GA 157: 228).

Neben rassistischen und deutsch-nationalistischen Stereotypen lassen sich Theoriekonstrukte naturphilosophischer und esoterischer Couleur auffinden, die eine individuelle Freiheit sowie die Einheit der Menschheit postulieren, also einen Universalismus. Diese Ideen schwächen Steiners Rassismus und Nationalismus zum Teil ab. Deshalb sei es, so Martins, nicht verwunderlich, dass Steiner trotz seiner Rassentheorien von manchen Lagern zum Anti-Natio-nalisten stilisiert wird. Beide Tendenzen existierten in seinem Werk. Doch sowohl die Karikaturen der Kritiker als auch die der Apologeten seines Universalismus sind nach Martins selektiv zusammengeschustert.

Dass das Thema rechtes Gedankengut innerhalb der Anthroposophie virulent und aktuell bleibt, dokumentiert Martins auf seinem Waldorf-Blog. Die liberalen Anthroposophen rund um die Zeitschrift Info 3 und ihren Chefredakteur Jens Heisterkamp distanzieren sich regelmäßig von rechten Gruppierungen. So grenzte sich Heisterkamp 2016 gegenüber Neu-Rechten und „Wut-Denkern“ ab. Daraufhin schrieb der ehemals fürs Goetheanum arbeitende Martin Barkhoff und Sohn des GLS-Bank-Gründers an Heisterkamp: „Mein Freundeskreis ist weitgehend chinesisch und meine Anthroposophie verwandelt sich in Taoismus. Meine Nachbargemeinde, das Garnisonsdorf Yangfang, ist islamisch. (…) Leuchtende, dem Himmel zugewendete Halbmonde können in mir die Begeisterung für die Hingabe (Islam) an den Willen Gottes wecken. ‚Angst vor dem Fremden‘ ist bei mir nicht das Hauptmerkmal. Aber ich bin AFD-Wähler. Alexander Gauland macht großen Eindruck auf mich.“ Überdies wurde in den letzten Jahren eine gewisse Nähe einiger Anthroposophen zur neurechten und teilweise gewaltbereiten Reichsbürgerszene konstatiert.  

Diese rechte Stoßrichtung färbt dem Vernehmen nach bisher nicht auf die Praxis an Luxemburgs Waldorfschule ab. Im „RTL-Kloertext“ vom 27.2.2019 erzählte die junge Jurastudentin Jerusalem Worku, dass sie mit zehn Jahren aus Äthiopien nach Luxemburg kam. In Mersch im Lyzeum sei sie von Mitschülern gemobbt worden, weshalb sie an die Waldorfschule wechselte. Vor allem die künstlerischen Aktivitäten dort hätten ihr geholfen, wieder Selbstvertrauen zu gewinnen. Moderatorin Caroline Mart hakte nach, ob es sich nicht eher um Rassismus statt um Mobbing handelte? – Ja, sie sei damals die einzige schwarze Frau auf dem Schulgelände in Mersch gewesen; es sei keine einfache Zeit gewesen, ergänzte Worku. In diesem Sinne fungierte die Waldorfschule gar als anti-rassistische Schutzzone gegenüber den Schülern des staatlichen Lyzeums.

Auch in Deutschland scheint Rassismus kein Thema an Waldorfschulen zu sein. Der Kriminologe Christian Pfeiffer publizierte 2007 Daten, nach denen Waldorfschulen extrem niedrige Ausländerfeindlichkeitswerte attestiert wurden. Zugleich hält er aber auch fest, dass Waldorfschulen nahzu „ausländerfreie“ Zonen sind.

Rassistisches Gedankengut bei einer Person auszumachen, die im 19. Jahrhundert geboren wurde, ist nicht überraschend. Und zumindest rassistische Stereotypen prägten in dieser Zeit die gesamte akademische Landschaft (von Kants „faulen Negern“ über Ethnologen, die für Kolonialmächte arbeiteten, bis hin zu eugenischen Bestrebungen in der Medizin). Anders als die frühe Aufarbeitung dieses akademischen Erbes versuchte die Anthroposophie jedoch, diese auszusitzen: wie erwähnt, distanzierten sich die Deutschen Waldorfschulen erst 2007 von Steiners Rassismus. Stéphanie Majerus

Stéphanie Majerus
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