Diktatoren sind verlässlich

Hallo Diktator!

d'Lëtzebuerger Land vom 31.07.2015

Warum sollte man Diktatoren diskriminieren? Diktatoren – Diktatorinnen fallen mir gerade keine ein, also ich meine offizielle, mit Stempel – sind auch Menschen. Was spricht dagegen, ihnen hin und wieder die Hand zu schütteln, einen Kratzfuß zu absolvieren, in einem geräumigen Gemach? Ein Küsschen in Ehren kann niemand verwehren, manche behaupten sogar, es sei Sitte, einen wichtigen Körperbestandteil, einen, den es nicht gibt, zu lecken, es könne nicht schaden.

Auch Gutmenschen wollen doch, seien wir ehrlich, gut leben. Oder wenigstens überleben. Sie brauchen Atom- und Wirtschaftskraft, ein bisschen Stacheldraht, sonst wird es ungemütlich. Es gibt Realitäten. Und Vielfalt. Gerade die Multikulti-Fans wissen das am besten. Wir können anderen Menschen nicht vorschreiben, von wem sie sich beherrschen lassen. In manchen Weltgegenden wachsen eben vorwiegend Diktatoren.

Das Schöne an Diktatoren ist, dass sie so verlässlich sind. Wie viele Peitschenhiebe worauf stehen, abhacken welchen Gliedes wofür, es ist alles exakt geregelt. Die Untertan_innen wissen, was sie zu tun haben, was sie besser unterlassen, es ist alles sehr klar und übersichtlich, nicht so ein Westlichewertewischiwaschi. Wer Tabus bricht, wird bestraft. Diktaturen sind verlässliche Gesellschaften.

Gewöhnlich werden Diktatoren stein- oder statuenalt. Bis sie dann gestürzt werden oder gesprengt, meist weil sie das Dikatorsein dann doch übertrieben, die Dosis zu sehr gesteigert haben. Aber bis dahin dauert es. Man muss sich also nicht dauernd an ein neues Gesicht gewöhnen. Oft altern Diktatoren nicht einmal. Sie schlüpfen höchstens mal in eine neue Uniform oder montieren einen noch haargesträubteren Schnurrbart.

Einer war eher verhaltensoriginell, aber seine hollywoodesken Show-Einlagen waren bei Gastgebern und Gästen zeitweilig hoch geschätzt. Das Haupt eines kranken, verrückten Löwen, aber doch ein Löwenhaupt; der stiere Blick des gefangenen Wüstenkönigs unter immerschwarzer Perücke. Die divenhaften Ausstaffierungen. Er schlug sein Beduinenzelt vor dem Elysée auf. In Rom verkündete er die Rolle der Frau an der Spitze der Weltrevolution. Er kündigte an, die Schweiz zu bombardieren, zog es aber nicht durch, die Schweiz eignet sich nicht für Heldenepen. Er war eine gern gebuchte One-Man-Show. Und wie elegant er all die vielen Menschen, die dringend übers Meer wollten, zu uns, davon abhielt – wir bekamen es kaum mit. Ein Freund, mit dem Mann Pferde stehlen kann.

Aber leider, leider, das passiert sogar den Besten aus dem Westen, irrt man sich hin und wieder in einem Menschen. Von einem Moment zum anderen, es fällt wie Schuppen von den Augen, wird aus einem relativ guten Diktator der Abgrund des Bösen. Die guten Jungs wenden sich schaudernd ab: Eben noch wurde für ein Gruppenfoto gescherzt. Apanagen knicksten, lächelten, Schultern und Sprüche wurden geklopft, den staunenden Fremden wurde ein Volkstanz dargeboten und die Tafeln bogen sich unter der Last exotischer Speisen.

Man kann niemandem mehr trauen heutzutage, dem Reinen ist alles rein. Ein anderer guter Freund hat gar in der Unterwelt das Böse ausgebrütet. Rollende Köpfe wohin man schaut, Folterpartykeller, Massengräber. Die Guten Jungs sind entsetzt. Halali, Jagd auf all diese Satans! Einen halten sie in einem Erdloch, Skalp, Trophäe, Beute, einen knallen sie wie eine Ratte in einem Abflussrohr ab. Alles wird gut, sie baden im Blut, des Bösen natürlich.

Manchmal läuft es auch umgekehrt. Diese ernsten Herren im Iran zum Beispiel könnten Kulturtheoretiker sein, Psychoanalytiker. Ärzte, denen man sein Lieblingskörperteil anvertraut. Sind Sie krank? Dr. Freud-Frankenstein kramt im Atomschrank. Jedenfalls sind sie Würdenträger. Nicht so eine Zirkustruppe, wie bei uns üblich. Und jetzt sind sie wieder da, Gesprächspartner, Augenhöhe, Berührungspunkte.

Energien werden erneuert, was gibt es Besseres, jubeln die Guten Jungs. Atomenergien, Synergien. Friedensprozesse werden angekurbelt, was nicht heißt, ihr ewigen Negativdenkerinnen, dass dem Frieden der Prozess gemacht wird.

Und das Menschenrechtsthema wird angesprochen, natürlich. Aber nicht unbedingt ausgesprochen.

Michèle Thoma
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