Die Sparer schimpfen auf die Banken, die Banken auf die EZB und verrechnen institutionellen Kunden zunehmend Strafzinsen

Wenn das so weitergeht

d'Lëtzebuerger Land du 30.09.2016

„Bist du das?“ „Nein. Du?“ „Nein.“ „Eine Idee, woher das kommt?“ „Nein. Du?“ „Keinen Schimmer.“ So ungefähr, kann man sich den Gesprächsverlauf vorstellen, wenn sich dieser Tage in Luxemburg zwei Bankdirektoren begegnen. Seit die CSSF Mitte September die Ergebnisse der Bank­enbranche für das erste Halbjahr bekannt gegeben hat, fragt sich die überwältigende Mehrheit unter ihnen verblüfft, was weniger als eine Handvoll von ihnen treibt. Denn im ersten Halbjahr stieg die Zinsmarge der Luxemburger Banken insgesamt um stolze 8,6 Prozent, beziehungsweise um 184 Millionen Euro. Dabei fällt die Zinsmarge bei der Mehrheit der Banken.

Die Banque Raiffeisen teilte am Montag mit, im ersten Halbjahr sei das Zinsergebnis, also die Differenz zwischen den Zinsen, welche die Bank auf den Guthaben gewährt, und den Zinsen, die sie auf Krediten kassiert, um 0,1 Prozent zurückgegangen. Anfang August teilte die Banque et Caisse d’Épargne de l’État (BCEE) mit: „La marge nette d’intérêt a diminué de sept pour cent dans un environnement de taux bas, voire négatifs, pénalisant les opportunités de placement et de transformation d’échéances de la Banque.“ Auch wenn die Bank eine bessere Zinsmarge im internationalen Leasinggeschäft verbuchen konnte, meldetet die BGL BNP Paribas ihrerseits für das erste Halbjahr im Bankgeschäft einen vergleichbaren Rückgang der Zinsmarge von sechs Prozent (15 Millionen Euro).

Da BGL und BCEE mit ihren Ergebnissen im Trend liegen, ist es kein Wunder, dass sich alle fragen, woher die Zinsen kommen, von denen die CSSF schreibt. Es gehe um vielleicht drei Banken, sagt Danièle Berna-Ost von der Aufsichtsbehörde dem Land. Mehr könne die CSSF nicht über deren Aktivitäten sagen, ohne die Verschwiegenheitsregeln zu brechen. Dass diese paar Institute gigantische Summen bewegen müssen, um ihre Zinsmarge derart zu steigern, dass sie den Ausfall der restlichen Branche mehr als wettmachen, dürfte allerdings außer Frage stehen.

Das Ergebnis ist in jedem Fall auch ein politisches Problem für die Branche, weil es dadurch so aussieht, als ob es ihr blendend gehe, obwohl das nur bedingt der Fall ist. Seit das Bankgeheimnis abgeschafft ist, gehören die Banken nicht mehr zu den Untergruppen der Finanzbranche, die sich am dynamischsten entwickeln. Sie haben außerdem gerade erst beträchtliche Gewinneinbußen hingenommen, um den Einlagensicherungs- und den Bankenresolutionsfonds zu speisen. Weil einerseits die Kosten steigen und andererseits die Einnahmen zurückgehen, schimpfen die Ban­kiers mehr oder weniger diskret über die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).

Von über vier Prozent vor Ausbruch der Krise 2008 hat die EZB ihren Leitzins, also den Satz, zu dem sich die Banken bei der Zentralbank refinanzieren, bis 2014 auf 0,05 Prozent heruntergefahren und vergangenen März auf 0,00 Prozent gesenkt. Im gleichen Zeitraum hat sie den Zinssatz auf den Einlagen der Banken bei der Zen­tralbank gesenkt. Von 3,25 Prozent vor der Krise auf mittlerweile -0,4 Prozent. Die Banken müssen also Geld draufzahlen, wenn sie es bei der Zen­tralbank hinterlegen.

Das wirkt sich natürlich auf die Zinsen aus, die die Luxemburger Banken den Kunden auf ihren Guthaben gewähren, beziehungsweise auf den Krediten berechnen. Wie, das hat die Luxemburger Zentralbank (BCL) in ihrem Bulletin 2016-1 dargestellt. So hat sie beispielsweise ermittelt, dass die Kreditzinsen für Unternehmensdarlehen zwischen Anfang 2014 und März 2016 um 71 Basispunkte auf 1,64 Prozent gefallen ist. Und, was die Luxemburger Bevölkerung wohl am meisten interessiert: der „fixe“ Zinssatz auf neuen Immobilienkrediten ist im gleichen Zeitraum mit -84 Basispunkten stärker gefallen als der „variable“ Zinssatz. Vergangenen April war Ersterer mit 1,72 Prozent kaum noch teurer als der variable Satz mit 1,70 Prozent (seither hat sich das Verhältnis sogar umgekehrt). „La diminution de l’écart entre taux fixe et taux variable sur les nouveaux crédits immobiliers est une des composantes ayant contribué à l’intérêt croissant des acquéreuers pour la souscription de crédits à taux fixe, l’autre facteur étant le bas niveau des taux atteint.“ Wurden bisher in Luxemburg vorrangig Immobilienkredite mit variablem Zinssatz aufgenommen, so stellt die BCL nun fest: „le volume des crédits à taux fixe nouvellement accordés évolue dorénavant dans les mêmes proportions que celui des nouveaux crédits à taux variable.“

Auch die Guthabenzinsen sind gefallen, für „institutionelle“ Kunden sogar in negatives Gebiet. Dafür hat die BCL mehrere Erklärungen parat. Den großen Kunden können die Banken die Strafzinsen weiterreichen, weil diese auch mit negativen Renditen rechnen müssten, wenn sie ihr Geld, statt auf dem Konto zu lassen, in Anleihen investieren würden. Außerdem: „les SNF (sociétés non-financières) sont moins inclines à convertir les dépôts bancaires en espèces en raison des coûts de stockage et de transport y relatifs ainsi que des difficultés associées aux gros paiements de espèces à travers le monde.“ Millionenbeträge in bar zu lagern, wäre zu teuer, und man stelle sich vor, eine Firma versuchte, mit Lieferwagen voller Geldscheine über die Grenze zu fahren, um im Nachbarland eine Rechnung zu zahlen.

Weil die Schalterkundschaft in der Regel nicht über ähnlich hohe Summen verfügt, könnte sie eher geneigt sein, ihre Ersparnisse unter die Matratze zu legen. Deshalb gewähren ihnen die Banken auch jetzt noch ein wenig Zinsen, wenn auch widerwillig. Dass dem so ist, hat auch mit der Marktdominanz der BCEE zu tun. Sie gewährt den Schalterkunden derzeit noch 0,2 Prozent auf ihren Sparguthaben. Und deshalb sieht sich die Raiffeisen gezwungen, mit dieser Vorgabe mitzuhalten, wie CEO Guy Hoffmann erklärt. Die Bil und die BGL, deren Kundenstamm sich vielleicht weniger mit dem der BCEE deckt, gewähren ihrerseits 0,1 Prozent und die ING gibt ihren privaten Kunden noch 0,15 Prozent Zinsen.

Weil weder 0,2 noch 0,1 Prozent viel hermachen, berichtet die Raiffeisen von unzufriedenen Kunden, die nach alternativen Anlagemöglichkeiten fragen. Doch weil eine höhere Rendite in der Regel mit höheren Risiken verbunden ist, würden sich die meisten am Ende doch dafür entscheiden, ihr Geld auf dem Konto zu lassen. Dabei ist nicht unbedingt gesagt, dass die Kunden aktuell besser wegkommen als beispielsweise 2008, als die gewährten Guthabenzinsen noch um zweieinhalb Prozent betrugen. Denn weil in den vergangenen Jahren die Luxemburger Wirtschaft schneller gewachsen ist als die Eurozone insgesamt, war auch die Inflationsrate höher als die des Euroraums, welche die Zentralbank mit ihren Leitzinsen beeinflussen will. Wenn also die Luxemburger Sparer 2008 auch um die zweieinhalb Prozent Zinsen auf ihren Guthaben erhielten, verloren ihre Guthaben durch die Inflationsrate von 3,4 Prozent an Wert. Aktuell gibt es laut BCL im Schnitt Guthabenzinsen von 0,18 Prozent und das Statec rechnet mit einer jährlichen Infla­tionsrate von 0,2 Prozent, was trotz niedriger Zinsen im Vergleich zu früheren Jahren ein weniger schlechtes Geschäft für Kleinsparer ist.

Nach dem richtigen Umgang mit dem großen Kunden suchen die Banken noch. Nahmen die Banken früher gerne ihre Einlagen entgegen, um ihre Liquiditätsposition zu sichern, sieht das heute etwas anders aus. Weil sie bei der Zen­tralbank Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie überschüssige Liquiditäten dort deponieren, versuchen die Banken das zu verhindern. Die Raiffeisen erklärte am Montag, die Guthaben der institutionellen Kunden im ersten Halbjahr 2016 bewusst um 150 Millionen Euro gesenkt zu haben, um sie nicht ihrerseits bei der BCL ins Depot geben zu müssen. Die Bank hat weiterhin fleißig Kundeneinlagen in Kredite verwandelt, fast drei Prozent Zunahme verzeichnet sie bei den Krediten. Bis zum Jahresende könnten es fünf bis sechs Prozent sein. Viel mehr Kreditwachstum sucht die Bank nicht. Denn die Luxemburger Wirtschaft soll den Statec-Vorhersagen zufolge dieses Jahr um 3,1 Prozent wachsen. Wachsen die Kredite der Bank schneller als die Wirtschaft insgesamt, erklärt Guy Hoffmann, liegt es entweder daran, dass sie Marktanteile gewinnt, oder aber gewagtere Projekte finanziert. Doch die Risiken steigern will die Bank nicht. Deshalb versucht sie nicht, die Einlagen institutioneller Kunden in ihre Richtung zu lenken, indem sie ihnen ein oder zwei Basispunkte mehr Zinsen gewährt als die Konkurrenz.

„Le défi des banques est de réduire le volume des liquidités, qui aujourd’hui a un coût pour nous“, so Vincent Pelletier von der Bil in einer E-Mail. Bei institutionellen Anlegern geht die Bank wie folgt vor: „en fonction de certains critères, comme le montant de liquidités dont ils disposent, nous pourrons appliquer un taux d’intérêt négatif.“ Da die Bank alle Einlagen annimmt, läuft das wohl auf eine Art Deckelung der strafzinsfreien Beträge hinaus. Die BGL teilt auf Nachfrage mit, dass sie die Depots der großen Kunden, mit Ausnahme derjenigen, mit denen sie langfristige Geschäftsbeziehungen unterhält, nicht vergüte, für KMU aber eine Art Sparkonto mit derzeit 0,05 Prozent anbiete. Die ING, sei „en plein processus de réflexion“, so Unternehmenssprecher Yves Denasi via E-Mail.

Wenn das – damit sind die niedrigen Zinsen gemeint – noch lange so weitergehe, so Raiffeisen-CEO Guy Hoffmann am Montag, müssten die Banken überlegen, wie sie sich weiter anpassen. Die Gebühren, da sind sich die Banken einig, haben sie bisher noch nicht angehoben, um die Ausfälle auf der Zinsmarge zu kompensieren. Vor solchen Schritten hatte der Verbraucherschutz vor Wochen schon gewarnt. Deshalb sagen die Banken beispielsweise lieber, dass sie ihre Tarifstruktur regelmäßig überprüfen, oder, wie die BGL, am Schalter durchgeführte Überweisung stärker in Rechnung stellen, weil die Kunden es via Internetbanking auch billiger erledigen können.

Dass „das“ noch eine Weile so weitergeht, davon ist der Volkswirt der BGL, Yves Nosbusch, aber überzeugt. Und das nicht nur im Euroraum. Obwohl die Inflationsrate dort aufgrund mechanischer Effekte durch steigende Energiepreise bis Jahresende auf ein Prozent steigen dürfte, bleibe die Kerninflation niedrig, so Nosbusch am Dienstag. Statt die Zinsen zu heben, zieht er in Erwägung, dass die EZB die Bedingungen lockern werden, um ihr Anleihekaufprogramm aufrechtzuerhalten. Wenn die amerikanische Federal Reserve Bank demnächst ihren Leitzins anheben dürfte, werde er dennoch in den kommenden Jahren nicht so schnell steigen, wie erwartet. Und die japanische Zentralbank hat vergangene Woche angekündigt, ihre Maßnahmen auszubauen, bis sie ihr eigentliches Infla­tionsziel überschreiten werde, damit sie es überhaupt je erreichen kann.

Michèle Sinner
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