Die Gesundheitsministerin und ihr Krisenstab fahren eine delikate Kommunikationspolitik und teilen nur mit, was nötig ist

Sich bereit machen

Im Centre hospitalier de Luxembourg
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 06.03.2020

Während vergangenen Samstagabend im Neien Tramsschapp auf dem Kirchberg Partyvolk dem Gratistransport entgegenfeierte, empfing in der Villa Louvigny Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) um 21 Uhr Journalisten. Es war ihre zweite Pressekonferenz innerhalb von fünf Tagen. Nun gab es den ersten bestätigten Coronavirus-Fall in Luxemburg. Nach dem Schema der Regierung begann damit eine sanitäre Krise.

„Kein Grund zur Panik, wir haben alles im Griff.“ Das ist die Botschaft, die Paulette Lenert und Jean-Claude Schmit, der Direktor des Gesundheitsamtes, seitdem vermitteln möchten. Das gelingt ihnen bisher ziemlich gut, nicht zuletzt der Ministerin, die erst seit vier Wochen in ihrem neuen Amt ist, mit ihrer unaufgeregten Art und indem sie immer wieder erklärt, sich auf Expertisen zu beziehen.

Allein mit dem Amtsarzt Doch es fällt auf: Ministerin und Gesundheitsamtschef kommunizieren allein. Im Unterschied etwa zur EU-Kommission, die am Montagmittag zur Pressekonferenz in Brüssel Präsidentin Ursula von der Leyen und fünf weitere Kommissare aufbot. Die bemühten sich ebenfalls zu vermitteln, alles im Griff behalten zu wollen, aber wenn sie dabei von „Koordination“ sprachen, nahm man ihnen ab, dass die in Europa aufkommende Covid-19-Epidemie ein transversales Thema ist, das mehrere Ressorts betrifft. Verglichen damit, scheint es in Luxemburg mit niedrigem Profil versehen. Am Montag brachen der Finanz- und der Wirtschaftsminister zu einer viertägigen Hightech-Wirtschaftsmission nach Italien auf, als herrsche Business as usual. Coronavirus-Risikogebiete würden freilich gemieden, wurde mitgeteilt.

Der Eindruck von Business as usual täuscht aber. Hinter den Kulissen herrscht Krisenmodus, auch wenn nach wie vor nur ein Covid-Patient in einem Isolierzimmer im CHL liegt. Das Gesundheitsministerium arbeitet unter Hochdruck, Mitarbeiter, die das müssen, können dort übernachten. Dass Paulette Lenert der Öffentlichkeit als die einzige politisch Zuständige erscheinen kann, liegt an den Regeln, nach denen in Luxemburg mit sanitären Krisen umgegangen wird: Ab dem ersten konkreten Fall präsidiert die Gesundheitsministerin den Krisenstab, der mit dem Hochkommissariat für nationalen Schutz besteht. Das war vor elf Jahren bei der Schweinegrippe-Pandemie H1N1 auch so.

„Bei der nächsten Pressekonferenz werde ich nicht mehr allein mit dem Direktor des Gesundheitsamts sitzen“, sagt Paulette Lenert in einem Gespräch mit dem Land. „Die Frage, ob Covid-19 nur mich betrifft, ist legitim.“ Land-Informationen nach hat Premier Xavier Bettel (DP) eine für nächste Woche geplante Reise nach Kalifornien abgesagt. Vielleicht, weil es politisch sinnvoll ist, daheim präsent zu sein: Seit Montag äußert Bettel sich regelmäßig per Twitter zu Covid-19, postete am Montag ein Foto von sich und der Gesundheitsministerin beim Krisen-Debriefing. Vielleicht aber ist es daheim auch einfach sicherer: Am Mittwoch in Kalifornien der Notstand ausgerufen. Die Zahl der Fälle hatte dort binnen 24 Stunden um 54 zugenommen, mehr als in jedem anderen US-Bundesstaat.

Immer mehr in Europa In Europa wurden am selben Tag in Italien 466 neue Fälle gezählt, auf der ganzen Welt waren es nur in Südkorea noch mehr. Der Situation report der Weltgesundheitsorganisation WHO vom Mittwoch hielt für Italien insgesamt 2 502 Fälle fest, für Frankreich 212, für Deutschland 196. Aber nach wie vor sind alle EU-Länder im „Containment-Modus“ und versuchen, den Virus durch Rückverfolgung der Infektionen, Isolation Infizierter und ihrer Kontaktpersonen möglichst zu eliminieren (siehe dazu auch das Interview auf S. 4). „Unter anderem deshalb testen wir bisher nur Personen mit Symptomen, die sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben“, sagt Paulette Lenert. Bei Kontaktpersonen ohne Symptome sei das nicht sinnvoll. Während der Inkubationszeit könnten die Tests falsche Ergebnisse liefern; das hatte der Chef des Gesundheitsamts schon am Montag im RTL Radio Lëtzebuerg erläutert. Fragt sich natürlich, wie lange die EU bei der Eindämmung wird bleiben können, wenn die Fälle weiter derart zunehmen. Solche Fragen werden auch über die Hotline 8002 8080 gestellt, die vergangenes Wochenende eingerichtet wurde. „Die Leute sind besorgt, und sie haben ja auch recht damit“, sagt die Gesundheitsministerin.

Delikates Gleichgewicht Lenert und der Krisenstab fahren eine Kommunikationspolitik, die das Gleichgewicht halten soll zwischen der nötigen Transparenz und Zurückhaltung zu Maßnahmen, die noch Hypothesen sind. Einfach ist das nicht, wie am Mittwoch das kleine Kommunikationsdesaster um Schulschließungen zeigte: Die Sanitätsinspektion hatte Bildungsminister Claude Meisch (DP) geraten, Schulen schließen zu lassen, falls dort ein Covid-Fall auftritt. Meisch besprach das am Dienstag mit den Schuldirektoren, die Öffentlichkeit erfuhr es am Mittwochnachmittag aber über wort.lu und nicht von der Regierung.

Paulette Lenert erklärt, „wir entwickeln alle möglichen Szenarien und Krisenpläne. Gibt man einen heraus, könnte verlangt werden, über andere ebenfalls zu informieren. Dann würden wir nicht aufhören zu reden, auch über Situationen, die vielleicht nie eintreten“. Was einer Gratwanderung gleichkommt: Das Syndikat Erziehung und Wissenschaft (SEW) des OGBL beschwerte sich am Mittwoch, das Lehrpersonal werde mit seinen Fragen allein gelassen. „Ich verstehe, dass man nicht alles publik macht“, sagte SEW-Präsident Patrick Arendt dem Land. „Das ist aber etwas anderes, als Schulen und Lehrern keine Anweisungen und Empfehlungen zu erteilen.“ Schon gebe es Eltern, die ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken. „Eigentlich müsste man sie an die Schulpflicht erinnern, aber das tun die Schulen nicht, weil ja nicht auszuschließen ist, dass es bei ihnen einen Covid-Fall geben könnte und sie sich dann vielleicht vorhalten lassen müssten, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein.“

Dass in Italien diese Woche sämtliche Schulen bis Mitte März geschlossen wurden, hat die Konfusion natürlich verstärkt. Dass in Frankreich bis vor kurzem zum Teil andere Regeln galten als im Rest der EU, auch: Noch Mitte letzter Woche lautete dort der Ratschlag an die Bevölkerung, Kinder, die sich in einer Risikoregion aufgehalten haben, zwei Wochen lang daheim zu lassen. Der Grund: Sie könnten kaum permanent eine Schutzmaske tragen. Erwachsenen Rückkehrern aus einem Risikogebiet wurde eine Maske empfohlen – so ausgestattet, könnten sie zur Arbeit gehen. Mittlerweile hat Frankreich umgeschaltet und rät Personen ohne Symptome von Masken ab. Quarantäne von der Schule und Masken für Leute ohne Symptome – damit habe Frankreich „enorme Verwirrung gestiftet“, sagt Paulette Lenert. Gerade in Luxemburg mit seiner Affinität zur französischen Kultur. Die EU, sagt sie, „braucht eine gemeinsame Linie“.

Infirmiers-frontaliers Zu der gehört bisher, dass es wegen der Epidemie keine Grenzschließungen geben soll. Gäbe es welche, könnte das für Luxemburg ein enormes Problem mit sich bringen wegen der starken Abhängigkeit von Gesundheits- und Pflegewesen von Grenzpendler-Personal. Schon vor zehn Jahren hatten das die Krisenstäbe im Angesicht von Hühnergrippe H5N1 und Schweinegrippe H1N1 diskutiert. Zu Covid-19 geschah das erneut. „Das sind aber Extremszenarien“, sagt Paulette Lenert. Sie kann sich „nicht vorstellen, dass die Nachbarländer Luxemburg im Stich lassen“. Völlig ausschließen lassen sich Grenzschließungen freilich nicht. Ebensowenig wie der Fall, dass die Coronavirus-Epidemie solche Ausmaße annimmt, dass eine Regierung die Beschlagnahmung ihrer Krankenpfleger anordnet. „So eine Situation müsste wahrscheinlich diplomatisch geklärt werden.“

Laut Paulette Lenert gehen in den nächsten Tagen viele Richtlinien und Empfehlungen heraus. Etwa an die Alten- und Pflegeheime zum Schutz ihrer Bewohner, denen Covid-19 besonders gefährlich werden kann. Mit dem Verband der Allgemeinmediziner tagte der Gesundheitsamtschef am Mittwoch – auf die Kritik hin, mangels Richtlinien wüssten die Hausärzte nicht, wie sie sich verhalten sollen, falls ein Patient mit Coronavirus-Verdacht sich bei ihnen meldet und nicht bei der Sanitätsinspektion.

Für öffentliche Veranstaltungen gilt in Luxemburg kein Teilnehmer-Limit. Stattdessen erfasst ein Fragebogen der Sanitätsinspektion neben der Gesamt-Besucherzahl auch wie viele aus dem Ausland voraussichtlich teilnehmen, wie viele aus Risikogebieten oder wie viele anfällige Menschen darunter sind. Paulette Lenert hält das für besser als ein pauschales Limit von 1 000 oder 5 000 Personen. „Ich verstehe nicht, weshalb das Problem beginnt, wenn 5 001 sich versammeln.“ Der Luxemburger Ansatz habe den Vorteil, das gesellschaftliche Leben möglichst nicht zu beeinträchtigen.

Die breite Öffentlichkeit werde kurzfristig über die Telefon-Hotline und die Website sante.lu hinaus weiter informiert. Seit Mitte der Woche geschieht das auch über die sozialen Medien, bis Ende der Woche werde ein Informationsblatt toutes boîtes verteilt. Online geschaltet werde auch ein Informations-Video über Covid-19 in Gebärdensprache.

Letzteres berührt einen wichtigen Punkt. Denn für Menschen mit einer Einschränkung sind die bisher verfügbaren Informationen nicht gemacht. „Es gibt dieses Poster mit den Hygieneempfehlungen und der Hotline-Nummer, aber solche Informationen müssten von offizieller Seite aufbereitet werden“, sagt Sylvie Bonne, die Koordinatorin von Klaro, einem Bertungsdienst für Leichte Sprache, der zur Stiftung Apemh gehört. Eigentlich müsse das systematisch geschehen, so steht es in der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch Luxemburg ratifiziert hat und in einem Aktionsplan Änderung verspricht.

Schneller in den Sarg Eine Video in Gebärdensprache zum Coronavirus wäre eine wichtige Verbesserung für Gehörlose. Ihnen stelle sich überdies noch ein Kommunikationsproblem, schreibt Nicole Sibenaler, die selbst gehörlos ist und Vorstandsmitglied der Vereinigung Daaflux, in einer E-Mail. „Wir können nicht bei der Hotline oder der Sanitätsinspektion anrufen. Wir können nur eine Mail ans Gesundheitsamt schicken. Über Anfragen und Antworten vergeht natürlich Zeit.“ Hinzu kommt, dass Menschen mit beeinträchtigtem Gehör beim Arztbesuch auf einen Gebärdensprachdolmetscher angewiesen sind. In Luxemburg aber beherrsche nur ein Arzt die Gebärdensprache, und bei der Hörgeschädigten-Beratung gebe es eine einzige Gebärdensprachdolmetscherin. „Steht keine Begleitperson aus Familie oder Freundeskreis bereit, die die Gebärdensprache beherrscht, kann das schwierig werden.“ Wie schwierig, hat ein gehörloser Luxemburger Anfang der Woche in einem provokanten Facebook-Post dargestellt, der aus Deutschland übernommen wurde, wo ebenfalls nicht alle dieser Art gelöst sind: „Bei einer ernsthaften Pandemie sind wir schneller im Sarg als andere Menschen“, heißt es darin.

So dass, ganz ähnlich wie 2009 die Schweinegrippe-Pandemie, auch Covid-19 die Luxemburger Bereitschaft zum Schutz der öffentlichen Gesundheit auf den Prüfstand stellt. Diesmal könnte das sogar weiter reichende politische Folgen haben. Paulette Lenert hat sich diese Woche in einer Beratung mit dem Krankenhausverband versichern lassen, die Spitäler seien „bereit“. Inwiefern sie tatsächlich gefordert werden, bleibt abzuwarten. Der Gesondheetsdësch jedoch, der unter der Koordination der Gesundheitsministerin tagt und bis Anfang Juli ein erstes Fazit ziehen soll, diskutiert unter anderem auch über das von der Spitze des Ärzteverbands verteidigte Outsourcing leichterer Krankenhausaktivitäten in Ärztehäuser. Kritiker sehen darin die Gefahr einer Schwächung der Spitäler als Rückgrat der Gesundheitsversorgung, zu dem sie über Jahrzehnte herangewachsen sind. Gut möglich, dass die Coronavirus-Epidemie anschaulich macht, wo die Grenzen von Outsourcing gezogen werden müssen, damit das die öffentliche Gesundheit nicht gefährdet. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Peter Feist
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