Mit Daten die Welt erklären

Der Pionier

d'Lëtzebuerger Land vom 13.03.2020

Er sitzt an einem Tisch in der Ecke eines Cafés. Rücken zur Wand. Vor ihm liegt eine Brille, er hat sich noch nichts zu trinken bestellt. Eine runde Tasche ist an das Tischbein angelehnt. Darin befindet sich kein Notebook, kein Tablet und auch kein Notizblock. Sondern ein sogenanntes Onewheel. „Die beste Möglichkeit, um sich vom Bahnhof nach Gasperich zu bewegen“, sagt Dominique Nauroy. Bisher hätte allerdings noch niemand die Vorteile dieses Fortbewegungsmittels erkannt. Er ist der einzige Mitarbeiter von Saint-Paul, der täglich mit einem Onewheel zum Arbeitsplatz fährt.

Dominique Nauroy ist 43. Der promovierte Informatiker ist aktuell der einzige offizielle Datenjournalist in Luxemburg. Er verarbeitet nicht nur Daten, sondern er erzählt anhand von Daten Geschichten. Er visualisiert sie mittels Karten, Zeitachsen oder sonstigen Grafiken. Aktuelle Beispiele sind das Coronavirus: Mittels einer interaktiven Karte zeigt er auf wort.lu die globale Dimension und zeitliche Ausbreitung des Virus. Oder auch der 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Ausschwitz-Birkenau, den er als Anlass nahm, um mittels interaktiver Karte die Geschichten von Lagerhäftlingen aus Luxemburg zwischen 1940 und 1945 zu erzählen.

Datenjournalismus ist eine Branche, die als zukunftsträchtig gilt. Im Ausland wird seit langem ein Loblied darauf gesungen. Spiegel, FAZ, SZ, New York Times, Guardian, Le Monde – viele international-renommierte Zeitungen der alten Welt greifen auf Datenjournalismus zurück, aber auch neue Medien wie Vice, Buzzfeed, Das Correctiv oder Die Republik arbeiten damit. Nicht wenige halten Datenjournalismus für den Heilsbringer einer gebeutelten Branche – als den Weg aus der Krise des Journalismus.

Nauroy gehört dabei zu denen, die eher nüchtern über das Thema reden. Oder um eine beliebte Fußballfloskel zu benutzen: die den Ball flach halten. Er redet nicht wie ein Lobbyist auf einem Ted-Talk lediglich über die Vorzüge der neuen Technik, sondern spricht auch über Grenzen seiner Branche. „Datenjournalismus wird den klassischen Journalismus sicher nicht ablösen“, so Nauroy. „Eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte.“ Und sie werde auch weiterhin genauso funktionieren wie vor fünfzig oder hundert Jahren. Es gibt keinen Grund, nur noch datenjournalistisch zu denken. Aber es gibt eben gute Argumente, doch damit zu arbeiten, so Nauroy. Denn manche Geschichten lassen sich eben dadurch besser erzählen. Die Datenvisualisierung ermöglicht neue Blickwinkel, eine neue Dimension des Storytellings.

Wie bei jedem neuen Tool hat man zu Beginn erstmal übertrieben. Jeder wird wohl noch die farbigen, interaktiven Powerpoints oder auch Word-Cliparts Anfang der Nullerjahre in Erinnerung haben. Ein Überfluss an Blingbling. Diese Tendenz bestehe aktuell auch immer noch beim Datenjournalismus, sagt Nauroy. Als „Weihnachtsbaum-Gefahr“ bezeichnet er das exzessive Benutzen von interaktiven Möglichkeiten, das alle Reize des Betrachters überflutet. Nauroy erinnert sich noch allzu gut an eigene Fehlgriffe. Und er erklärt, dass er auch die Kollegen oftmals davor warnen müsse. Datenjournalismus sei jedoch kein Selbstzweck. Es gehe stets darum, Informationen besser verständlich zu machen – dieses Ziel dürfe man nicht aus den Augen verlieren.

Nauroy ist dabei eher durch Zufall zu diesem Beruf gekommen. Anfang der Nullerjahre hat er eine Doktorarbeit an der Université de Lorraine verfasst, über den gescheiterten Versuch eines französischen Unternehmens, einen E-Book-Reader auf dem Markt zu etablieren. Später war er als Webdesigner tätig und ist irgendwann als Journalist bei der Voix du Luxembourg gelandet. Nach und nach hat Saint-Paul seine informatischen Fähigkeiten erkannt und ihn zunächst halbtags und später in Vollzeit als Datenjournalist arbeiten lassen. Nauroy sagt dabei, dass für ihn das Programmieren ebenso wichtig ist wie das journalistische Handwerk. Er sei ein Hybrid, verstehe genauso viel von Informatik wie von journalistischer Recherche. Für Saint-Paul ist er demnach ein Glücksgriff, da es nur wenige Personen gibt, die gleichermaßen in beiden Gebieten fit sind. Sein Daten-Wissen hat er sich allerdings in den vergangenen Jahren eher autodidaktisch angeeignet, durch das Lesen von Büchern, durch Stöbern im Netz oder auch durch manche Kurse. Aber vor allem durch Learning by doing. Vieles hat er einfach ausprobiert. Nach dem Motto: Trial and Error. Saint-Paul ist jedenfalls von seiner Arbeit überzeugt und will in Zukunft weiter auf Datenjournalismus setzen und ein ganzes Team um Nauroy aufbauen. So jedenfalls der Plan.

Am Ende des Gesprächs springt Nauroy auf sein Onewheel. Fährt vorbei an den wartenden Autos der Trambaustelle auf in Richtung Gasperich.

Pol Schock
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