Europa rüstet auf

Treueschwüre

Mike Pence und Federica Mogherini
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d'Lëtzebuerger Land vom 24.02.2017

„So viel deutsche Aufrüstung hätte vor wenigen Jahren noch weltweit Ängste und Proteste hervorgerufen“, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung die Ergebnisse der Münchner Sicherheitskonferenz vom vergangenen Wochenende. Weiter: „Doch in der Ära Trump geschieht das Gegenteil. Der Westen ist dankbar dafür, dass Berlin Stärke und Entschlossenheit zeigt.“ Solange es keine außenpolitisch handlungsfähige Europäische Union gebe, bleibe Europa nichts Anderes übrig, als Bundeskanzlerin Angela Merkel zu vertrauen.

Auf dieses Vertrauen müssen die Europäer bauen. Zusammenhalt tut Not in der EU, denn auf der geopolitischen Bühne nehmen zwei Antagonisten die Union derzeit in die Zange: Moskau und Washington. Gemeinsam haben sie eine Devise als Grundlage ihrer derzeitigen Außenpolitik: „divide et impera“, zu Deutsch: „teile und herrsche“. Sowohl die USA als auch Russland sehen in einer kraftlosen, wenn nicht gar zerfallenden EU ihre Vorteile. So hält etwa Trump den Brexit für richtig und hofft, dass noch weitere Staaten der EU den Rücken kehren werden. Einzelne Länder lassen sich leichter beherrschen, denn ein Staatenbund.

Da trifft es sich gut, wenn sich die Europäer selbst schwächen. Der Populismus treibt mit seinen alternativen Fakten, seiner Sicht der Dinge und Demagogie die europäische Integration auseinander. Das Wahljahr 2017 wird für die verbliebenen Pro-Europäer weitere Herausforderungen bringen, denn die Populisten in den Niederlanden, Frankreich und auch in Deutschland werden sich weiter stramm von der EU abgrenzen, um Stimmen und Wahlen zu gewinnen. Da kommt die Ansage vom US-Präsidenten Donald Trump gerade recht, dass die europäischen Partner mehr für sich selbst sorgen müssen. Sein Vize Mike Pence fand dafür bei der Münchner Sicherheitskonferenz schönere Worte und fasste die Botschaft Trumps an die Europäer zusammen: Wir sind für Euch da, wenn Ihr für uns da seid. Aber: „Der Präsident erwartet, dass die Verbündeten ihre Verpflichtungen erfüllen!“

Diese Konditionalisierung des transatlantischen Bündnisses ist einerseits neu, andererseits auch Auftrag für Europa: Sie zwingt die Union dazu, sich über ihre Ziele einig zu werden. Es geht dabei nicht allein um das Militärische, die Lastenteilung zwischen den Bündnispartnern und die Frage, wann welches Land mit seinem Verteidigungsetat die geforderte zwei Prozent-Grenze des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Es geht vor allen Dingen um Werte, die Donald Trump dieser Tage infrage stellt. Auch wenn Pence und US-Verteidigungsminister James Mattis in München die Bündnistreue der USA zur Nato beschworen, können sich die Europäer darauf nicht verlassen. Der US-Präsident empfindet die transatlantische Partnerschaft – sowohl in der Nato als auch zur EU – allenfalls als Zweckbündnis für Krisenzeiten oder zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil. Sie ist ihm keine Herzensangelegenheit, sondern Mittel zum Zweck. Je nachdem, welchen Vorteil er in einzelnen Situationen daraus ziehen kann.

Damit dieser erfüllt werden kann, fordert Trump Reformen von der Nato, um im Kampf gegen den islamistischen Terror der IS ebenso bestehen zu können wie als Abschreckung gegenüber Russland zu funktionieren. Es sind Reformen, die eine raschere Reaktionsfähigkeit des nordatlantischen Bündnisses in Sicherheitsrisiken erreichen, die bessere Verteidigung in Fällen sogenannter hybrider Kriegsführung, aber auch eine wirksamere Bekämpfung von Angriffen aus dem Cyberraum oder von Attacken mittels gefälschter Nachrichten bringen sollen. Konkret ausgestalten mag die Regierung Trump diese Reformen nicht, doch sind deren Notwendigkeit von den Europäern unbestritten – sind sie doch ein Resultat aus den von Russlands Präsidenten Wladimir Putin an der Ostflanke der Nato geschaffenen Fakten.

Doch die Tagung in München zeigte auch, wie Angela Merkel – von ihren EU-Partnern in die Führungsrolle gedrängt – diese ausfüllen möchte. Es wird keinen deutschen Alleingang geben, sondern sie weitet die sicherheitspolitische Perspektive und ergänzt Nato und EU um die Vereinten Nationen und die G20-Staatengemeinschaft, deren Vorsitz Deutschland in diesem Jahr innehat. Sie, so wünscht es sich Merkel, sollten sich stärker um die Themen Flucht und Vertreibung, Bekämpfung von Fluchtursachen, globale Gesundheit, Bildung vor allem von Mädchen und Frauen kümmern. Damit fasst sie auch den Sicherheitsetat deutlich weiter, indem sie Aufbauhilfen vor Ort, Entwicklungshilfe und gemeinsame Projekte der internationalen Zusammenarbeit dazu zählt. Denn es geht um die Verteidigung von Werten, die sich nicht allein über die Staatsausgaben für Armee, Luft- und Seestreitkräfte erreichen lässt. Dazu entwickelt Merkel gleich ein ganzes Programm, das sie den Abgesandten Trumps mitgab: Die multilateralen Strukturen – also Nato, Europäische Union, Vereinte Nationen und G 20 – müssten besser funktionieren, damit die Bürger, die in vielen Ländern zweifelten, ob der „multilaterale Ansatz“ wirklich Probleme löse, nicht Wege zurück in Protektionismus und Abschottung suchten.

Martin Theobald
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