Verlagswesen

Die Zukunft des Buches

d'Lëtzebuerger Land vom 17.04.2020

Die Mediengruppe Saint-Paul Luxemburg ist in den Bereichen ihrer Publikationen Marktführer: unter den Tageszeitungen steht das Luxemburger Wort mit 151 000 LeserInnen, unter den Wochenmagazinen Télécran mit 72 800 LeserInnen an erster Stelle (TNS-Ilres Plurimedia, 2019 II). SPL hat sich allerdings Anfang 2020 aus dem aktiven Buchverlagsgeschäft zurückgezogen, um sich fortan auf rein journalistische Medien zu konzentrieren. Die Aktivitäten rund um das Buchverlagsgeschäft, bislang Éditions Saint-Paul, haben Schortgen Éditions übernommen.

Was sagt das über die Stabilität oder Beschaffenheit des luxemburgischen Buchmarkts und seiner Verleger und Verlagshäuser aus? Zeigt sich hier nicht auch die Kalkulation der großen Medienhäuser, in denen das Format Buch oft den Kürzeren zieht, mit geringerer Fluktuation und hart zu erarbeitender Rentabilität? Der Blick auf den deutschen Buchmarkt erscheint lohnenswert, wo Verlags- und Mediengruppen schon länger Verlagsprogramme (an)leiten.

Marktkonzentration 2017 zählt Deutschland mehr als 2 000 Verlage. Sie verteilen sich über das gesamte Territorium, sind ansässig in Stuttgart, Hamburg, Köln und Frankfurt oder Leipzig, Heimatstädte der deutschen Buchmessen. Berlin zeichnet sich mit 146 Verlagshäusern, darunter vielen jüngeren, als Hauptstadt der deutschen Verlagswelt aus, neben München (wo etwa Random House oder C. H. Beck zu finden sind). Diese Vielfalt lässt sich allerdings hinter den Kulissen auf einige wenige Namen zurückführen. Infolge einer starken Konzentration durch Übernahmen dominieren einige wenige Player den Markt: Bertelsmann (mit seinen 45 Imprints und über 2 500 jährlichen Publikationen), Bonnier (vereint z. B. Carlsen, den deutschen Harry-Potter-Heimatverlag; Piper, Ullstein) und Holtzbrink (u. a. Kiepenheuer & Witsch, Droemer Knaur mit seinen 14 Imprints, Fischer und Rowohlt). Bertelsmann und Springer Nature rangieren unter den zehn weltgrößten Verlagsgruppen.

2018 wurden in Deutschland 71 500 neue Titel veröffentlicht, davon 10 000 Neuauflagen. Von derartigen Zahlen mag einem im Rückblick auf den luxemburgischen Buchmarkt schwindelig werden, wo seit jeher gilt: Weniger ist mehr. Und wo scharf kalkuliert wird; wobei sich feststellen lässt, dass die Zahl der Buchpublikationen in den letzten Jahren in Luxemburg dazugewinnt, mit einem wachsenden Anteil und Bedeutung von Luxemburgensia. In Deutschland hingegen wurden 2018 1,3% weniger veröffentlicht als im Vorjahr, auch die Erstauflagenzahlen sind gesunken. Unter den Neuerscheinungen dominieren Belletristik und Literatur, an zweiter Stelle folgen Jugend- und Kinderbücher, danach Schulbücher. Viele Genres gleichzeitig zu bedienen und ein derartiges Quantum als Publikationen zu gewährleisten, erfordert eine große, effiziente Verlagsmaschinerie. Damit diese auch mit Liebe zu den Publikationen und zum Detail walten kann, braucht es Zeit – und Personal: Die Zahl der festangestellten VerlagsmitarbeiterInnen baut sich hingegen seit dem vergangenen Jahrzehnt konstant weiter ab.

Sprachen Ein weiterer Unterschied zeichnet sich in den Sprachen der Publikationen ab: In Deutschland werden in den letzten Jahren weitaus weniger mehr- oder fremdsprachige Titel publiziert. In Luxemburg wird viel- und mehrsprachig publiziert, innerhalb der verschiedenen Verlagshäuser und auch in den verschiedenen Genres, von Literatur, Kinder- und Jugendbüchern zu Schulbüchern. Dabei scheinen die mehrsprachigen Publikationen vor allem national vertrieben und rezipiert zu werden. Wie auch zum Beispiel in der Schweiz ist die Koexistenz der deutsch- und französischsprachigen Publikationen neben den Giganten im Sprach-Heimatland schwierig. Zugleich bedienen diese, wie u. a. Bastei Lübbe oder Carl Hanser den Buchmarkt direkt durch Niederlassungen in der Schweiz und in Österreich. In der Schweiz bleiben viele Titel national, werden wenig über die Landesgrenzen hinaus vertreten, aber auch selten über die Sprachgrenzen im Land hinweg übersetzt.

Mehrsprachigkeit ist demnach keine Eigenschaft der deutschen Verlage: Vorwiegend wird das Angebot durch fremdsprachige Importe aus dem anderen Sprachraum stimuliert oder durch Übersetzungen. 2018 waren unter den Neuerscheinungen 13,6% Übersetzungen, die meisten aus dem Englischen, aus dem Französischen und Japanischen; während aus dem Deutschen vorwiegend Comics ins Ausland übersetzt wurden, an zweiter Stelle folgten Romane. Die großen Gruppen setzen auf Publikumstitel, zum Teil als der wirtschaftlichen „Notwendigkeit“ der Mischkalkulation: Gute Verkaufszahlen von Publikumstiteln tragen Herzstücke, die sich vielleicht nicht rechnen, z. B. Poesie. Bestsellerlisten sind Verkaufsgaranten, Buchpreise ausschlaggebend für den Absatz. Bestseller rechnen zwischen 500 000 und einer Million verkaufter Exemplare. Von derartigen Zahlen können luxemburgische Verlagshäuser nur träumen.

Preise und Events In Frankreich legen Druckereien Überstunden für die Auflagen der Goncourt- oder Prix-Femina-Gewinner ein, der Deutsche Buchpreis kündigt eine Auflage von rund 300 000 Exemplaren an. 2020 soll ein neuer Sachbuchpreis, analog zum literarischen Deutschen Buchpreis, das Sachbuch des Jahres küren, das sich als Impulsgeber für gesellschaftliche Auseinandersetzungen ausgezeichnet hat – Sachbücher verzeichnen nämlich gerade einen Zuwachs am deutschen Buchmarkt. Auch hierzulande sind die Literaturpreise trotz schwacher Budgets eigentlich gut aufgestellt – und analog zu den deutschen und französischen Buchmessen werden Veranstaltungen wie die Walfer Bicherdeeg organisiert, die mit ihrem Rahmenprogramm zahlreiche LeserInnen anziehen und einen Kontaktpunkt zwischen Buch, AutorInnen und HerausgeberInnen schaffen; Anlass und nicht zu unterschätzender Drehpunkt für Veröffentlichungen.

In einer Studie des Börsenvereins und GfK wurde untersucht, aus welchen Gründen Menschen nicht mehr zu Büchern greifen: Alle „Abwanderer“ gaben dabei als Hauptgrund an, das Lesen in der Hektik des Alltags und neben den Social-Media-Aktivitäten aus dem Blick zu verlieren. An zweiter Stelle folgten mangelnde Kontaktpunkte zwischen Buch und Alltag. Dafür sind Buchmessen, Veranstaltungen wie Lesungen oder Besprechungen in den Medien wichtige Anhaltspunkte, denen entsprechend auch viele Buchhandlungen ihr Angebot umgestaltet haben: Veranstaltungen, innovative Ein- und Ausrichtungen, Cafés oder Leseecken, Wifi und Arbeitsbereiche in Buchhandlungen, die zum Verweilen einladen. Gut geführte, gut sortierte und lokale Buchhandlungen bestechen durch ihr gezieltes und fundiertes Angebot, im Gegensatz zu auf Trends setzenden großen Ketten.

Der hier gebotene Blick auf die wirtschaftsstarken Größen soll nicht über die Perlen der unabhängigen Verleger hinwegtäuschen, die wenig, aber umso qualitativer publizieren – und deren Kalkulationen eher denen der verhältnismäßig kleineren luxemburgischen Verlage entsprechen. Der allgemeine Trend der großen Gruppen in Richtung Vermarktbarkeit und Absatz kann nicht als Garant für gute und innovative Literatur gelten. Dafür für rentable Mediengruppen oder Häuser.

Aussicht in Zeiten von Corona Wie sich der Buchmarkt 2020 gestaltet, ist angesichts des gegenwärtigen Ausnahmezustandes nicht abzusehen. Die Leipziger Buchmesse, der Pariser Salon du Livre und die London Book Fair, wichtige Umschlagpunkte für Auslandsrechte und Übersetzungsrechte, wichtige Termine für Begegnungen zwischen LeserInnen und Schaffenden, wurden abgesagt. Amazon, Hauptumschlagplatz des E-Commerce, hat angekündigt, Bücher hinter Haushaltsartikel zurückzustellen.

2018 hatten die deutschen Buchhandlungen wieder einen Kundenzuwachs vermerken können, insbesondere unter der jüngeren Generation der 20-29-jährigen. Der Buchhandel war weiterhin der wichtigste Absatzort und machte fast die Hälfte der Verkaufszahlen am Gesamtmarkt aus. Dabei bestritten die kleinen oder mittelgroßen Buchhandlungen über die Hälfte der 6 000 Verkaufsstellen. Jetzt haben viele geschlossen, Bücherauslieferungen und -bestellungen brauchen länger – doch wie lange, bleibt unklar. Vielleicht wird jetzt der Umsatz an Ebooks steigen: Ullstein hat z. B. angekündigt, im Frühjahr nur noch Ebooks zu vertreiben. Andere Verlage planen um, verschieben die geplanten Veröffentlichungen in den Herbst oder auf 2021. Vielleicht werden wir aus unserem momentanen Verharren Geduld und Weile ziehen, um auch in Zukunft wieder öfter zu Büchern zu greifen. Vielleicht werden wir endlich die Stapel an lesenswerten Büchern auslesen, die sich bei uns zuhause angesammelt haben, Wunschlisten schreiben – und sparen. Denn der unabhängige Buchhandel wird uns, wenn sich die Situation wieder beruhigt hat, sicher noch mehr brauchen als zuvor.

Zeit der Experimente Die Bundesländer bieten den kleinen Unternehmen während der Krise finanzielle Soforthilfen, setzen Mietzahlungen aus und reduzieren die Steuern für den Zeitraum der Schließungen. Unerlässliche Hilfen für die Branche – ob diese jedoch ausreichen werden, um die Buchhandlungen und unabhängigen Verlagshäuser längerfristig zu erhalten, bleibt fragwürdig. Doch der Markt sollte weder in Deutschland noch in Luxemburg allein den großen Gruppen überlassen werden.

Wie sich die Verlage in Luxemburg den Herausforderungen stellen werden, ist noch nicht entschieden. In Deutschland sind keine oder kaum Neuveröffentlichungen geplant, die Bestellungen des Buchhandels stagnieren. Dabei haben LeserInnen gerade so viel Zeit wie schon lange nicht mehr. Neue Vertriebswege müssen aufgebaut und gefestigt werden, verschiedene Medien bedient. Die Umbrüche führen dazu, dass Verlage und Buchhandlungen ihre Online-Präsenz verstärken und virtuelle Lesungen oder Podcasts anbieten, sei es auf den hauseigenen Webseiten oder durch Kooperationen mit Theatern oder dem Radio. Es ist die Zeit der Experimente.

Claire Schmartz
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