Ulf von Lilienfeld-Toal, Professor an der Luxembourg School of Finance (Uni.lu), zu Überhitzungen und Überrenditen

Adaptionsprozess in verlängerten Wellen

d'Lëtzebuerger Land vom 27.11.2015

d'Land: Sie arbeiten zur Zeit an einer Studie, die erforschen soll, wie sich Eigentum von Immobilien auf ehemalige Mieter auswirkt, ein „natürliches Experiment“, welches in Stockholm zu beobachten war.

Ulf von Lilienfeld-Toal: In der Forschung zu Wirtschaft und Finanzen sucht man eigentlich nach kausalen Interpretationen. In der Medizin verabreicht man einer „treatment group“ ein Medikament und einer „control group“ ein Placebo. Ein solches Experiment gestaltet sich in der ökonomischen Forschung natürlich schwieriger. Daher greift man auf sogenannte „natural experiments“ zurück. In Schweden gab es eine Privatisierungswelle von Immobilien, die bislang in staatlicher und kommunaler Hand, vor allem der Stadt Stockholm, waren. Aufgrund institutioneller Regeln konnte jedoch nicht jeder, sondern lediglich eine relativ zufällig generierte Gruppe an Bewohnern ihre Wohnung aufkaufen. Vor der Privatisierung waren die Mieter sehr ähnlich bis gleich. Man kann also hier vergleichend erforschen, welchen Einfluss Hauseigentum auf das spätere Verhalten von Menschen hat.

Die „nation des propriétaires“ ist ja auch Ausdruck eines politischen Willens der Erziehung der Arbeiter im Sinne bürgerlicher Tugenden. Eigentümer, so heißt es, seien staatstragender. Stimmt das?

So was liest man in ganz vielen politischen Debatten und halbwissenschaftlichen Dokumenten. Das Verhalten der Eigentümer, das wir in Stockholm erfassen konnten, waren das Einkommen und die Konsumausgaben. Beides, haben wir festgestellt, steigt tendenziell. Denn durch die höheren Schulden, die sie zurückzahlen müssen, stehen Eigentümer stärker unter Druck als Mieter. Gleichzeitig merken sie, dass ihr Vermögen mit den Immobilienpreisen steigt, was zu einer gewissen Konsumfreudigkeit führt.

Misst man den Luxemburger Immobilienmarkt anhand internationaler Indikatoren, fallen Ungleichgewichte auf. So steigen etwa die Preise weit schneller als die Löhne. Hierauf antwortet die Luxemburger Zentralbank mit einem Verweis auf die andauernde Nachfrage welche die ökonomische Grundlage für den Preisanstieg bilde. Ist der Luxemburger Immobilienmarkt nicht mit anderen Märkten zu vergleichen?

Ein Hauptgrund für die hohen Preise in Luxemburg ist die Schwierigkeit, in die Stadt zu gelangen. Die Kosten, um zur Arbeit zu fahren, sind reell. Was dazu führt, dass die Preise von Immobilien, die nahe am Zentrum liegen, hoch sind. Dennoch ist es immer heikel, zu behaupten, ein gewisser Immobilienmarkt sei an sich speziell. Überall auf der Welt wirken sehr ähnliche Kräfte auf den Markt. Was in Luxemburg derzeit schwierig zu erfassen ist, ist der Unterschied zwischen Immobilienpreisen und den monatlichen Zahlungen, die daraus entstehen. Wenn man in Luxemburg eine Immobilie kauft und die Zinsen auf 20 Jahre festlegt, ist die monatliche Belastung nicht unbedingt exorbitant hoch. Das Problem entsteht, wenn die Zinsen flexibel sind und es zu einer Preisreduktion oder einer Zinserhöhung kommt. Dann können Finanzierungsprobleme auftreten.

Luxemburger optierten traditionell mit überwältigender Mehrheit für einen nicht-gedeckelten „taux variable“. Ist das eine finanzielle Zeitbombe?

Die Erfahrung in Amerika lehrt, dass bei einer Bevölkerung mit hohem Anteil an variablen Zinsen das Risiko einer systemischen Krise höher ist, als wenn die Zinsen langfristig festgelegt sind. Auch wenn die Zinsen üblicherweise nicht sofort steigen, sondern langsam reagieren.

Eigentlich hängt der Immobilienmarkt ja vollkommen vom Finanzplatz ab.

Bekannt ist, dass die Luxemburger Wirtschaft wenig diversifiziert ist. Aber an sich ist das nichts Ungewöhnliches. Das Ruhrgebiet hing an der Kohle, Detroit an den Autos und Silicon Valley an IT. Dass verschiedene Regionen sich auf eine Aktivität spezialisieren, ist eine natürliche Entwicklung. Der Immobilienpreis hängt jedoch von vielen Faktoren ab, wie den Zinsen in Europa oder dem Zuzug an Einwohnern. Die massive Ankunft von Flüchtlingen in Europa hat bis vor einigen Jahren kaum jemand vorhergesehen.

Wäre ein Platzen einer Immobilienblase denn schlimm? Man könnte doch meinen, ein Preisrückgang um 20 bis 30 Prozent sei eine gute Sache?

Das Problem ist, dass es zu hohen Zusatzkosten in der Bevölkerung kommen würde. Einige Hausbesitzer könnten ihre Immobilien nicht refinanzieren und müssten verkaufen, um in einem kleineren Haus zu wohnen. Das ist etwas sehr kostspieliges, schon allein wegen der Notar- und Maklergebühren. Wer jedoch eine langfristige Finanzierung hat und dessen Einkommen reicht, um die Kredite abzuzahlen, auf den dürfte das Platzen einer Immobilienblase keine großen unmittelbaren Auswirkungen haben.

Sie haben zum Immobilienpreissturz 2005-2006 in den Vereinigten Staaten geforscht. War das Platzen der amerikanischen Immobilienblase vorhersehbar?

Wenn es klar wäre, dass eine Immobilienblase herrscht, dann wären die Leute vorsichtig und würden nicht zu den gebotenen Preisen kaufen. Eine Blase würde dann gar nicht erst entstehen. Außerdem handeln die Käufer bei Immobilien nicht sehr häufig. Es handelt sich um eine Transkation, die man höchstens zwei-, drei-, vielleicht viermal im Leben macht. Für den Käufer ist es daher schwierig einzuschätzen, ob er sich in einer normalen oder um eine außergewöhnlichen Preissituation befindet.

Sie schreiben, der Preiseinsturz der amerikanische Immobilien wäre durch den Bankruptcy Reform Act beschleunigt worden. Was ist hier der Zusammenhang?

Vor der Reform waren Immobilien besonders wertvoll, da sie im Falle einer Privatinsolvenz nicht mit in die Insolvenzmasse einflossen. Das erklärt, weshalb viele Amerikaner in außergewöhnlichen Situationen ihre Häuser behalten konnten. Etwa bei schwerer Erkrankung. Wer ohne Krankenversicherung eine medizinische Behandlung in Anspruch nahm, jedoch die Rechnung nicht bezahlen konnte, hatte die Möglichkeit, Insolvenz zu beantragen, ohne dabei zu riskieren, das Dach über dem Kopf zu verlieren. Nach der Reform war das nicht mehr so einfach. Was dazu geführt hat, dass die Immobilien an Attraktivität verloren und die Hauspreise anfingen zu fallen. Dies wiederum hat in einer zweiten Phase eine Welle von foreclosures provoziert. Für einen Schuldner kann es attraktiv sein, auf ein Haus zu verzichten, welches nur noch 500 000 Dollar wert ist, auf dem man aber einen Kredit von 700 000 Dollar bedienen muss.

Was war die Rolle der Zwischenhändler bei dieser Überhitzung? Ich denke beispielsweise an das so genannte house flipping, also sehr kurzfristige Immobilienspekulation, welche sich in den 2000-ern in den USA zum Volkssport entwickelt hatte?

Sehr gesund ist so etwas natürlich nicht. Aber es ist schwierig zu sagen, ob das house-flipping nun eine Ursache oder nur ein Anzeichen für Überhitzung war. Ich denke jedoch nicht, dass es ein maßgebender Grund zur Überhitzung darstellt. Ich würde eher sagen, dass es ein Zeichen für Überhitzung ist. Wenn Menschen, die auf dem Immobilienmarkt recht fremd sind, anfangen mit Immobilien zu handeln und gute Gewinne erzielen, heißt das, dass Vorsicht geboten ist.

Wenn ein Haus auf Belair für zwei Millionen angeboten – vielleicht sogar verkauft – wird, zirkuliert diese Zahl in der Nachbarschaft und findet Nachahmer. Können Preise sich so hochschaukeln?

Es gibt einen Adaptionsprozess in verlängerten Wellen. Dieser ist nicht notwendigerweise psychologisch, kann es aber sein. Die Preise steigen stetig und jeder fragt immer höhere Preise. Das geht eine Zeitlang gut, dann überschießt es den Preis, und irgendwann stellen die Verkäufer fest, dass für diesen Preis keiner mehr kaufen will. Nach und nach sinken dann die Preise der Immobilien.

Im Journal of Finance haben Sie kürzlich eine Studie kopubliziert, in der Sie nachweisen, dass Unternehmen, in denen Manager einen gewissen Anteil der Aktien besitzen, vier bis zehn Prozent höhere Renditen erzielen. Heißt das, dass Teilhaber die besseren Manager sind oder lediglich dass Manager von soliden Firmen eher geneigt sind, Anteile zu kaufen?

Die Frage zeigt, warum die Analyse sehr vielschichtig und anregend ist. Unsere bevorzugte Interpretation ist, dass beides gleichzeitig zustande kommt. Der Manager investiert natürlich nur, wenn es sich für ihn oder sie auch lohnt. Gleichzeitig gibt es aber nur hohe Aktienrenditen, wenn der CEO seine Anteile behält. Deswegen müssen im Gleichgewicht die Kurse so niedrig bleiben, dass der CEO im Unternehmen investiert bleibt.

Die Märkte scheinen diese Korrelation bisher nicht integriert zu haben. Dabei lässt sich problemlos über eine Google-Suche herausfinden, welche CEOs Anteile an ihrer Firma haben...

Das ist auch ein Grund, warum das Papier Aufsehen erregt hat. Die Analyse ist in der Tat sehr einfach zu implementieren. Man braucht sich nur anzusehen, wer im Vorstand wie viele Aktien besitzt und dementsprechend zu investieren. Die von uns bevorzugte Erklärung wäre, dass der Markt sehr wohl versteht, dass ein CEO-Ownership zu verstärktem „managerial effort“ führt. Wir finden wenige Indizien dafür, dass es sich um einen irrationalen Markt handelt. Bei Veröffentlichung von Quartalszahlen zeigt sich der Markt nicht überrascht. Die Überrendite wird demnach richtig vorhergesehen. Doch sobald der Markt diese Aktien verstärkt kauft, wird der Manager anfangen, seine Aktien zu verkaufen oder zumindest aufhören weitere zu kaufen. Und hiermit verschwindet der Grund für die Überrendite.

In Ihrer Studie schreiben Sie, dass dieser Effekt nur zutrifft, wenn der Manager ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit innehat. Doch wer sagt, dass er diese auch klug nutzt?

Viel Macht ist an sich zweischneidig. Der Manager kann im Sinne der Aktionäre handeln; er kann aber auch zum eigenen Vorteil handeln. Doch bei einem hohen Anteil an der Firma des Managers geht dieser trade-off eher zugunsten der Aktionäre. Er wird seine Macht benutzen um im Sinne der Aktionäre zu handeln. Auch weil es seinem eigenen Interesse entspricht...

Sie schreiben, Manager mit hoher Aktienbeteiligung seien weniger geneigt, ein Imperium aufzubauen.

In der Forschung ist bekannt, dass das Gehalt von Managern stark von der Firmengröße abhängt. Manager haben also einen Anreiz, große Firmen zu leiten. Dies kann jedoch kostspielig für die Aktionäre werden, denn Größe an sich ist nicht gewinnbringend. Die CEO-Owners hingegen setzen weniger auf Größe als auf Profitabilität.

Bernard Thomas
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