NSA-Affäre

Falscher Fatalismus

d'Lëtzebuerger Land vom 01.11.2013

Er denke nicht, dass Luxemburg für die Amerikaner interessant sei, sagte Außenminister Jean Asselborn am vergangenen Freitagabend nach dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Auf der Tagesordnung ganz oben: der Abhörskandal um die NSA. Wenige Tage zuvor war aufgeflogen, dass der US-Nachrichtendienst nicht nur Präsidenten in Brasilen und Mexiko abhörte, auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sowie 34 weitere Spitzenpolitiker wurden überwacht.

Nun wäre es naiv zu glauben, so etwas gehöre sich unter Freunden nicht, wie Merkel sich mit einem Mal empörte. Dass die NSA nun zum Angriff übergeht und ihrerseits europäische Länder der Spionage in den USA bezichtigt, überrascht nicht. Konterspionage war von jeher das Geschäft von Geheimdiensten, auch und gerade von so genannten Freunden. Was aber glasklar wird: Den Geheimdiensten dieser Welt geht es nicht, wie oft behauptet, in erster Linie um Terrorismus. In Brasilien wurde ein Ölunternehmen ausgekundschaftet. Die Abhöraktionen in Botschaften, in Brüsseler EU-Institutionen oder bei der Uno geschahen nicht, um Terroristen auf die Schliche zu kommen, sondern um vertrauliche Informationen zu sammeln und dadurch einen strategischen Vorsprung bei Verhandlungen zu haben.

Es gebe „keine konkreten Verdachtsmomente“, dass die NSA im Großherzogtum operiere, sagte Asselborn dem Land. Dass muss nicht viel heißen: Der Luxemburger Geheimdienst verfügt gar nicht über die technischen Möglichkeiten, um den USA auf die Finger zu gucken. Warum aber sollte ein (Ex-)Eurogruppenchef nicht von Interesse für neugierige US-Schnüffler gewesen sein? Juncker telefoniert, wie die meisten seiner Ministerkollegen, übrigens auf einem Telefon, das nicht abhörsicher ist.

Luxemburg ist wohl ein Leichtgewicht in puncto Spionage, nicht jedoch in der Finanzwirtschaft. Banken-Insider gehen längst davon aus, dass die USA, die Briten – und nicht nur sie – den Finanzplatz ausspionieren. Luxemburg ist überdies interessant, weil mit Skype von Microsoft einer der größten Internetdienstleister hier seinen Sitz hat. Gegen die Firma läuft seit Wochen eine Untersuchung, was ihre Rolle bei der Weitergabe von Daten von EU-Bürgern an die NSA angeht. Ausgang ungewiss.

Denn darüber wird noch kaum gesprochen: Dass Geheimdienste ohne konkreten Terrorverdacht millionenfach Verbindungsdaten von unbescholtenen Bürgern abgreifen, ist der eigentliche Skandal. Wenn ohne Anfangsverdacht massenhaft überwacht wird, dann regiert der Generalverdacht. Politische Bespitzelung ist der logische nächste Schritt. Die Erfahrung haben auch Luxemburger mit ihrem Geheimdienst machen müssen.

Aber nicht Kleinreden oder falscher Fatalismus, à la „Wir sind zu unbedeutend“, sind jetzt angesagt, sondern das energische Eintreten für mehr Datenschutz. Zuhause und in Europa. Kommunikation ist nicht national. Mit der fortschreitenden digitalen Vernetzung nehmen parallel die Möglichkeiten der Überwachung zu. Die DP, aber auch LSAP und Déi Gréng haben versprochen, den Geheimdienst künftig genau zu kon-trollieren, die Rechte des Bürgers besser zu schützen. Das ist ein erster Schritt.

Zudem muss die EU nicht „minimale Umgangsformen“, wie Noch-Premier Jean-Claude Juncker am Rande seines wohl letzten EU-Gipfels meinte, sondern wirksame Antispionage-Abkommen mit den USA und anderen Ländern aushandeln, die das verdachtslose Ausspionieren von EU-Bürgern unter Strafe stellen. Für europäische Geheimdienste ist der Riesen-Lauschangriff sowieso illegal: Die EU-Menschenrechtscharta garantiert in Artikel 8 allen EU-Bürgern den Schutz ihrer Privatsphäre.

Ines Kurschat
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