Zum 1. Januar sollen die Tarife im öffentlichen Transport steigen. Aber eventuell gewinnt die Staatskasse dadurch nichts

Besser fahren

d'Lëtzebuerger Land du 23.11.2012

Werden zum 1. Januar die Preise im öffentlichen Transport steigen? Angekündigt hatte Finanzminister Luc Frieden (CSV) das schon Anfang Oktober bei der Vorstellung des Staatshaushaltsentwurfs 2013. Der seit drei Wochen geltende abgeänderte Entwurf mit dem dritten Sparpaket der Regierung behält dieses Ziel bei – ohne es jedoch zu verschärfen.

Aber während Maßnahmen wie die Erhöhung der Solidaritätssteuer für Haushalte und Betriebe, die Kürzung der Erziehungszulage oder die neue Mindestautosteuer von 30 Euro schon feststehen, ist noch unbekannt, welche Tarife für Bus und Bahn ab nächstem Jahr gelten sollen. Hätte Hauptstadt-Mobilitätsschöffe François Bausch (Déi Gréng) auf dem City Breakfast mit der Presse vor zwei Wochen nicht durchblicken lassen, der Preis für einen Einzelfahrschein könnte von 1,50 auf zwei Euro steigen, herrschte womöglich noch immer Unklarheit um das neue Tarifgefüge.

Das liegt vor allem daran, dass es eigentlich nicht Sache der Regierung ist, die Initiative zu einer Tariferhöhung zu ergreifen. Stattdessen muss sie vom Verkéiersverbond ausgehen, dem die vier Operateure im Lande angehören: die CFL, das Süd-Bussyndikat Tice, der hauptstädtische Busbetrieb AVL sowie der Busunternehmerverband Fleaa, dessen Mitglieder im Überland-Regime RGTR Passagiere befördern. Vom Verkéiersverbond vorgeschlagene Tarife kann der Transportminister annehmen und per Erlass in Kraft setzen oder sie ablehnen. Diesmal aber war die Initiative von der Regierung ausgegangen: Sie habe dem Verkéiersverbond „die klare Vorgabe gemacht, rund sechs Millionen Euro mehr“ durch veränderte Ticket-Preise einzunehmen, sagt François Bausch dem Land. Welche der 17 Tarifposten, vom Einzelfahrschein bis zum Jahres-Abo, im Einzelnen angehoben werden könnten, soll der Verkéiersverbond vorschlagen. Nachhaltigkeits- und Infrastrukturminister Claude Wiseler (CSV) entscheidet dann letztinstanzlich.

Festgezurrt wird der Vorschlag des Verkéiersverbond voraussichtlich auf einer Sitzung in der kommenden Woche. Dem Vernehmen nach sollen der Einzelfahrscheinpreis voraussichtlich tatsächlich auf zwei Euro angehoben werden und der für eine Tageskarte von vier auf fünf Euro. Die Abonnements könnten um zehn bis elf Prozent teurer werden.

Wäre das zu viel? Weil Claude Wiseler die Tarife offiziell noch nicht kennt, äußert er sich nur zum Prinzip: Man müsse bedenken, dass im öffentlichen Transport der „Kostendeckungsgrad“ durch die Fahrpreise derzeit „extrem niedrig“ sei und bei nur sechs Prozent liege. Und wenn die letzte Tarifanpassung 2006 erfolgte, seien in der Zwischenzeit sechs Indextranchen wirksam geworden, und die Personalkosten hätten sich entsprechend erhöht. Gar nicht zu reden von den seitdem gestiegenen Energie- und Treibstoffpreisen.

Wie die Dinge liegen, können sich dieser Sicht fast alle Operateure im Verkéiersverbond anschließen. Die CFL hätten keine Einwände gegen die Vorgabe des Ministers, erklärt ihr Sprecher Romain Meyer. Die privaten Busbetriebe halten das Kostenargument für zutreffend, sagt Fleaa-Sekretär Pascal Dickes.

Im Tice-Gemeindesyndikat, wo die Runde der Verantwortlichen vom Escher LSAP-Mobilitätsschöffen Henri Hinterscheid über den Käerjenger Bürgermeister und CSV-Präsidenten Michel Wolter bis zur grünen Sassenheimer Schöffin Myriam Cechetti reicht, wird über die Tariffrage politisch nicht diskutiert, weil die Meinungen vermutlich auseinandergehen würden: Tice-Vizepräsident Pierre Mellina, CSV-Bürgermeister in Petingen, kann den Ansatz des Ministers nachvollziehen und findet, der öffentliche Transport sollte „seinen Preis“ haben. Schifflingens Bürgermeister Roland Schreiner (LSAP), ebenfalls Tice-Vizepräsident, meint dagegen, der öffentliche Transport sollte „gratis sein“. Syndikatspräsident Hinterscheid ist bis Anfang Dezember im Urlaub. So dass Tice-Betriebsdirektor Steve Arendt erklärt, wie der Tice sich dazu verhält: Was im Verkéiersverbond bisher diskutiert wurde, laufe darauf hinaus, die Abonnements gegenüber den Einzelfahrscheinen attraktiver zu machen. „Ein um zehn Prozent erhöhter Abo-Preis ist etwas anderes als ein um ein Drittel erhöhter Einzelfahrscheintarif.“ Mit der Tarifanpassung werde man „den Leute klarer sagen können, mit vielleicht zwölf Fahrten im Monat habt ihr schon die Ausgabe für ein Strecken-Monats-Abo wieder rein“. Dass nach all den Jahren seit der letzten Anpassung die Tarife „mal wieder erhöht werden müssen“, der Meinung ist auch der Tice-Direktor.

Eine spannende Frage aber ist die, ob der Minister die Tarifänderung, die er nächsten Monat zu „seiner“ machen muss, auch tatsächlich so verkaufen wird, dass die Bus- und Bahnbenutzer die Preisvorteile erkennen, die in Abonnements liegen. Denkbar ist es ja, dass der Abo-Kauf dann so stark wüchse, dass die Staatskasse nicht auf die gewünschten sechs Millionen Euro Mehreinnahmen kommt und am Ende vielleicht sogar noch draufzahlt. Diesen Gedanken äußern die Verkehrsbetriebe nicht laut. Wie sollten sie auch: Die CFL erhalten die Kosten für den öffentlichen Transport vom Staat erstattet, die RGTR-Busbetriebe im Rahmen einer bis 2018 geltenden Konvention ebenfalls. Auch der Tice erledigt Transporte im Staatsauftrag. Und wenn im Staatshaushaltsentwurf 2013 fast 185 Millionen Euro für den Service public der CFL eingeplant sind, knapp 137 Millionen für das RGTR-Regime und 23 Millionen für den Tice, dann wird verständlich, dass der Minister den Verkéiersverbond beauftragen kann, eine Sparvorgabe zu einer Tarifreform auszuformulieren. Verkehrspolitisch ist dann nur für die Hauptstadt eine eigene Meinung opportun. Sie erhält 2013 für ihren Busbetrieb zwar knapp 13 Millionen aus der Staatskasse. „Aber wir geben 70 Millionen für den AVL aus, und da ist ein von uns finanzierter Service public dabei“, so Bausch. „Würden wir uns nur auf die Stadt beschränken, wären unsere Kosten nur halb so hoch.“

Ginge es nach der blau-grünen Gemeindeführung, würde die Tariferhöhung zur Strukturreform ausgeweitet: „Zwei Euro für den Einzelfahrschein würden künftig für eine Zugfahrt von Ulflingen nach Esch genauso gelten wie für eine Busfahrt von Belair zum Centre Hamilius. Stattdessen wollen wir eine Einteilung des Landes in drei bis vier Tarifzonen“, erklärt Bausch. Man wolle das „schnell“ und habe es dem Verkéiersverbond auch so vorgeschlagen. Dass der darauf eingeht, ist aber wenig wahrscheinlich: Selbst wenn die anderen Operateure derselben Meinung wären, sind die Staatsvertreter im Verwaltungsrat des Verkéiersverbond in der Mehrheit und können immer durchsetzen, was die Regierung möchte. Derzeit möchte sie sparen.

Für ein schlechtes Signal zum jetzigen Zeitpunkt hält der Luxemburger Schöffenrat die Tarifänderung aber nicht zuletzt auch, weil er fürchtet, dadurch könne die öffentliche Meinung in der Stadt im Zusammenhang mit dem ab 2014 abzusehenden Tram-Bau beeinflusst werden und dass angesichts erhöhter Fahrpreise die vielen Baustellen die Bürger dann mehr als nötig ärgern könnten. Die sechs Millionen Euro Mehreinnahmen gegenüber geplanten Ausgaben von fast 360 Millionen für den öffentlichen Transport wären dann umso teurer erkauft. Die Stater ADR-Sektion gab vor zwei Wochen schon einen Vorgeschmack und fragte populistisch: „Musse mer elo schonns fir den Tram bezuelen?“ Die von Wiseler gewünschte Tarifänderung sei ebenso abzulehnen wie eine Zonenregelung, mit der es „für Leute aus dem Ösling noch viel teurer würde, in die Stadt zu kommen“. Zumindest innerhalb von Luxemburg-Stadt müsse der öffentliche Transport „gratis“ werden.

Solche Erklärungen treffen aber eher wunde Punkte bei der Regierung: 2010, als es ebenfalls um die Durchsetzung eines Sparpakets ging, hatte Premier Jean-Claude Juncker noch den landesweiten Gratistransport versprochen, falls die Petrolprodukte aus dem Index-Warenkorb entfernt und die Kilometerpauschale auf der Einkommenssteuer um wenigstens die Hälfte gekürzt würde. Diesmal sollen zwar nur die 395 Euro Steuernachlass für die ersten vier Kilometer gestrichen werden. Dass zu einem Sparpaket eine Tariferhöhung bei Bus und Bahn gehören muss, ist aber nicht unbedingt einsichtig nach den Versprechen von 2010. Zumal sie für sozial Schwache, die nicht so schwach sind, dass sie eine Gratis-Karte erhalten wie RMG-Empfänger oder Bezieher kommunaler Sozialhilfe, sehr wohl einen nennenswerten Kostenpunkt bedeuten kann: Beim Tice zum Beispiel weiß man aus Erfahrung, dass diese Leute häufig vor dem Kauf eines Abonnements zurückschrecken und lieber einen Einzelfahrschein kaufen. Selbst wenn das für sie bei vielen Fahrten im Monat insgesamt wesentlich kostspieliger wird.

Aber um eine große Tarifreform, die obendrein darauf abzielen würde, den öffentlichen Transport noch attraktiver gegenüber dem Auto zu machen, soll es derzeit nicht gehen. Anders als 2006 und 2007, als die bis dahin bestehende Zonen-Regelung mit den Preisunterschieden abgeschafft, die Tarifstruktur vereinfacht und die Preise insgesamt verbilligt wurden. Weil das so ist, steht ein ziemlich weit reichender Vorschlag, den die Handelskammer in ihrem Gutachten zum Staatshaushalt letzte Woche machte, allein im Raum: Man sollte die Kilometerpauschale ganz abschaffen und der Staat im Gegenzug jedem in Luxemburg Beschäftigten, ob Résident oder Frontalier, ein Jahres-Abo für den öffentlichen Transport schenken. Sparen ließen sich so nicht nur sechs, sondern mindestens 25 Millionen Euro. Offenbar jedoch wäre auch nur für die Diskussion einer solchen Idee ein politischer Mut  vonnöten, wie er gegenwärtig nicht in Sicht ist.

Peter Feist
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