Blau-rot-grüne Koalition

Und nun die Modernisierer

d'Lëtzebuerger Land du 06.12.2013

Teilweise euphorisch ging es in den Parteigremien zu, die am Dienstag über die Regierungsbeteiligung von DP, LSAP und Grünen zu entscheiden hatten. Die Freude, wider manche Erwartungen, noch immer oder endlich einmal dabei zu sein, gar den Premier zu stellen, steigerte sich zur Aufbruchstimmung: Von einem historischen Augenblick war insbesondere bei der LSAP und den Grünen die Rede, eine große Chance und Verantwortung gelte es nicht zu verscherzen.

Tatsächlich regiert nun mit der einer Provinz ohne Metropole typischen Verspätung auf historische Entwicklungen eine Koalition, wie es sie ähnlich ab 1997 in Frankreich, ab 1998 in Deutschland und ab 1999 in Belgien gab und danach als Reak­tion auf die rechte Vormachtstellung der Merkel, Sarkozy, Barroso, van Rompuy und Juncker in der Europäischen Union. Laut der Präambel ihres Koalitionsabkommens wollen DP, LSAP und Grüne die „politische Erneuerung“ verkörpern und der „Notwendigkeit eines Wechsels in allen Bereichen“ nachkommen. Damit sehen sie sich in der Tradition der mythischen DP/LSAP-Regierung von 1974 bis 1979 und verstehen sich als antiklerikale Reformkoalition, die den Auftrag bekam, den Reformstau zu beenden, für den sie etwas einseitig die CSV verantwortlich machen.

Genau 30 Mal kommt der Begriff „modernisieren“ in dem Koalitionsabkommen vor. Modernisiert werden sollen das Land, das Umverteilungssystem, der Rechtsstaat, die Strafbestimmungen, das Familien- und das Konkursrecht, die Besteuerung von Konzerntöchtern, das Arbeitsamt, die Betriebsübernahmen, die elektronische Datenverarbeitung, die Zitha-Klinik und desgleichen mehr.

Mit diesem vor einem halben Jahrhundert bei Soziologen beliebten Begriff beschreibt die Modernisiererkoalition gleich zwei Anpassungsstrategien, eine gesellschaftliche und eine wirtschaftliche. Zum einen versprechen die drei gesellschaftspolitisch liberalen Parteien, den rechtlichen Rahmen an die veränderten Weltbilder, Lebens- und Arbeitsweisen  anzupassen, das heißt demokratischer, transparenter, pluralistischer, toleranter und individualistischer zu machen. Nach der Legalisierung der Euthanasie sollen die Homosexuellenehe eingeführt, das Abtreibungsverbot aufgehoben, das Ausländerwahlrecht ausgeweitet, Staat und Kirchen getrennt werden. Dies sind Reformen, die mit der CSV nur zum Teil möglich waren, obwohl alle Meinungsumfragen zeigen, dass das von der CSV beschworene gesunde Volksempfinden bloß noch von einer schrumpfenden konservativen Minderheit geteilt wird.

Zum anderen wollen die drei, in unterschiedlichen Nuancen wirtschaftsliberalen Parteien die ökonomischen Rahmenbedingungen an den globalisierten Konkurrenzkampf anpassen, das heißt marktkonformer, angebotsorientierter, unbürokratischer und ungleicher machen; unter dem Primat des ausgeglichenen Staatshaushalts soll der Sozialstaat fürsorgen, statt umzuverteilen. Auch hier gibt es eine gewisse Verspätung auf die liberalen Reformen im Ausland, wie die drastische Senkung der Lohnquote durch die rot-grüne Agenda 2010 beim Haupthandelspartner Deutschland. Allerdings war es nicht die am 20. Oktober abgewählte CSV, die bisher diese Reformen  bremste oder blockierte, sondern die weit mitgliederstärkeren OGBL und CGFP, deren Einfluss nach dem 20. Oktober ungebrochen ist.

Diese beiden Anpassungsstrategien zur gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Modernisierung ergänzen sich bald, widersprechen sich bald und sollen sich bald gegenseitig legitimieren. Wie geschickt und einmütig DP, LSAP und Grüne damit jonglieren können, wird sich nach ersten politischen Fehlleistungen bei der Veröffentlichung des Koalitionsabkommens, der Vergrößerung der Regierungsmannschaft und der Suche nach einem Finanzminister zeigen.

Romain Hilgert
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