Kleine Schritte zu einer Pensionsreform

Entpolitisieren

d'Lëtzebuerger Land vom 08.11.2007

Dass Politik auch die Kunst der Benennung ist, weiß jedes Kind seit Rumpelstilzchen: Der europäische Außenminister heißt nur noch „Hoher Vertreter“, die Indexmanipulation „Modulation“ und derzweite Rententisch auch irgendwie anders.Wie er genauheißt, ist nicht so klar, vielleicht „Renten-Tripartite“, aber auf jeden Fall darf die gestern eröffnete Diskussionsrunde nicht Rententisch heißen. Denn vor allem der Unternehmerseite und manchen Politikern ist der Rententisch von 2002 noch in unguter Erinnerung.

Sollte es damals darum gehen, nach der Abschaffung des traditionellen Pensionswesens im öffentlichen Dienst etwas für die Rentner der Privatwirtschaft zu tun und das in der Folge umgetaufteADR endgültig mundtot zu machen, so entwickelte der Rententischeine Eigendynamik. Die Sozialpartner und Parteien vergaßen rasch die lang erwartete BIT-Studie und überboten sich unter dem Vorsitz von DP-Minister Carlo Wagner mit Rentenerhöhungen bis hin zu Jean-Claude Junckers Mammerent für den 700 000-Einwohnerstaat. Das soll sich diesmal auf keinen Fall wiederholen. Deshalb will die Regierung das Ganze diskreter angehen und vor allem „entpolitisieren“. Die politischen Parteien wurden lieber gar nicht erst eingeladen. So sollen die aktuariellen Rechner unter sich sein, um abgeschirmt und in Ruhe über die langfristige Stabilisierungder Rentenversicherung zu diskutieren.

Alle Berechnungen laufen nämlich darauf hinaus, dass die derzeit vor allem von jungen Grenzpendlern aufgestockten Rücklagen der Pensionskassen in einer oder zwei Generationen aufgebraucht sein werden, wenn es nicht zu Beitragserhöhungen kommt. Wann dieseErhöhungen fällig werden, beziehungsweise die Kassen leer sind,hängt in den Rechenmodellen vor allen von dem langfristigen Wirtschaftswachstum ab, das man für die nächsten 20 oder 30 Jahrenvoraussetzt. Bei einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstumvon 2,2 Prozent drohen nach den Berechnungen der Generalinspektion der sozialen Sicherheit die Rücklagen im Jahr 2034 aufgebraucht zu sein, wenn es nicht 2027 zu einer Beitragserhöhung kommt. Bei drei Prozent Wirtschaftswachstum kommt alles sieben Jahre später.

Wie auf die langsame Aufzehrung der Rentenreserven zu reagieren ist, ist selbstverständlich eine hochpolitische Frage – was den verzweifelten Versuch ihrer „Entpolitisierung“ erklärt. Deshalb wollen die Gewerkschaften am liebsten über den Zugang zu allen Renten mit Ausnahme der eigentlichen Altersrente reden. Die Unternehmerseite wehrt sich gegen Beitragserhöhungen, weil die im internationalen Vergleich niedrigen Beitragssätze ein wichtiger Standortvorteil sind. Und die Regierung ist eher an einer Senkung der staatliche Zuschüsse interessiert, weil sie jedes Mal, wenn sie ihr Budget aus dem Blickwinkel des Maastrichter Stabilitätspakts betrachtet, das Loch im Staatshaushalt mit dem Überschuss der Pensionskassen zu füllen versucht. 

Die Sozialversicherung kennt in einem solchen Fall zwei klassische Auswege: Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen. Weil Beitragserhöhungen als Erhöhung der Lohnnebenkosten aber derzeit nicht in Frage kommen, steht mittelfristig die Zukunft der paritätischen Drei-Drittel-Finanzierung der Altersversicherung zur Disposition, auch „neue Finanzierungsquellen“ genannt. Mit der steuerlichen Begünstigung privater Zusatzversicherungen ist andererseits die Voraussetzung zur Reduzierung der allgemeinen Rentenversicherung auf einen Sockelbetrag geschaffen, den jeder Einzelne selbst aufstocken soll – wenn er oder sie es sich leisten kann.  

Was im Augenblick aber noch fehlt, ist die politische Konstellation, die 20 Jahre im Voraus diese Reformen durchsetzen kann oder will. Weil die erwartete Finanzierungskrise noch in weiter Ferne ist, scheinen erst einmal kleine Schritte durchsetzbar. Auch ermutigt ein Vorwahljahr sicher nicht zu drastischen Einschnitten, denn Renten haben sich in der Vergangenheit als hervorragendes Wahlkampfthema erwiesen. Doch seit der friedlichen Manipulation der automatischen Indexanpassung in dieser Legislaturperiode ist nichts unmöglich. 

Romain Hilgert
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