Elefanten im Porzellanladen

Denkmalschmutz

d'Lëtzebuerger Land du 06.01.2011

Heute loben wir die Elefanten im Porzellanladen. Die Kulturministerin hat es geschafft, das Villeroy [&] Boch-Schloss in Rollingergrund unter Denkmalschutz zu stellen. Das ist eine tolle Tat, sozusagen ein kultureller Fanfarenstoß, der nur Gutes verspricht. Die­se äußerst kreative Ministerin, die sogar einen gigantischen Biertresen in eine nationale Gedenkstätte verwandeln kann, mit Goldmatrone als Lockköder für die durstigen Patrio­ten, hat erneut ganze Arbeit geleistet. Das Jahr fängt gut an. Frau Modert revolutioniert die Kulturpolitik. Wer hätte das gedacht.

Was die Ministerin vorhat, muss in den Ohren der piekfeinen Herrschaften von Villeroy [&] Boch wie blanker Hohn klingen. In der Tat will Frau Modert das majestätische Gebäude aus dem 18. Jahrhundert zu einem Dokumentationszentrum über kapitalistische Willkür umbauen. Schluss mit den mondänen Festen und rauschenden Partys: jetzt rücken die geknechteten Lohnabhängigen in den Mittelpunkt. Ganz nüchtern, ganz ohne bourgeoisen Schnickschnack. Es trifft sich gut, dass die Stadt Luxemburg – überaus geübt in der Kunst, mit blendenden Slogans die graue Wirklichkeit zu übertrumpfen – soeben ihr neues Logo „multiplicity“ aus der Taufe gehoben hat. Jetzt wird am tauglichen Objekt vorgeführt, wieviel „multiplicity“ diese energiesprühende Hauptstadt tatsächlich verträgt. Ein strahlendes Schloss wird gezielt zweckentfremdet. Das soll uns mal einer nachmachen. Das ist Sozialismus pur, würde die vormalige US-Botschafterin seufzen.

Während Herr Juncker der letzte Kommunist im Lande ist, profiliert sich Frau Modert nun als die letzte Sozialistin. Das erklärt wohl ihre katastrophalen Umfragewerte im stockkonservativen Ostbezirk. Hätte die Firma Villeroy [&] Boch ihr Lustschloss an der Mosel gebaut, wäre das Gebäude längst zum wunderbar feuchten Weinmuseum erklärt worden. Doch in Rollingergrund weht jetzt der staubtrockene Sturm der sozialen Entrüstung. Die Ministerin will eine historische Chance wahrnehmen. Sie möchte auf ihre Weise die zerschlagene Belegschaft von Villeroy [&] Boch rehabilitieren. Anders als im sogenannten Festungsmuseum, wo nur die konzeptuelle Leere zelebriert wird, will die Ministerin in Rollingergrund mit einer spektakulären Inszenierung punkten.

Soviel ist schon durchgesickert: die Schicksale der 230 entlassenen Villeroy [&] Boch-Arbeitskräfte werden im Schloss mit expliziten Schautafeln aufgearbeitet. Die Besucher werden zu einer schreckensreichen Geisterbahnfahrt eingeladen. Sie werden erfahren, wie schamlos und zynisch der entfesselte Kapitalismus zu Werk geht. Wie ungerührt Vertreter der höheren Gesellschaftssphäre Existenzen vernichten. Mit leisem Grauen müssen die Schlossgäste zur Kenntnis nehmen, dass der Titel „Lohnabhängiger“ keinerlei Schutz bietet vor den schmutzigen Spekulationen der Fabrikbesitzer. Sie werden sich wohl oder übel die schlimme Lektion zu Herzen nehmen müssen: die noblen Herrschaften gehen munter über Leichen, wenn es ihren Interessen dient. Das Villeroy [&] Boch-Schloss in Rollingergrund wird sich demnach als Stätte der rücksichtslosen Geschichtsvermittlung her­vortun. Das ist ein Novum in Luxemburg. Und es ist starker Tobak.

Vor allem wenn man dieses künftige Horrorschloss mit den zahllosen farbigen Luftschlössern der design-besessenen Hauptstadt vergleicht. Aus den grünblauen Planungszentralen hören wir schon: Was die Kulturministerin da auf den Weg bringt, ist zutiefst touristenfeindlich. Wir sind „multiplicity“, ein unwiderstehlicher Magnet der Großregion, wir dürfen unsere kaufkräftigen Gäste nicht verschrecken mit zuviel historischem Naturalismus. Man kann das alles ja zumindest ein bisschen abfedern, ein bisschen einkleiden, damit es nicht mehr wo wehtut. Man muss ja nicht immer mit dem Vorschlaghammer auf die Touristen losgehen. Also bauen wir mal eine riesige Cafeteria ins Schloss, eine Oase der Gemütlichkeit.

Es sind ja noch zahllose Tassen, Teller und Gläser aus den Villeroy [&] Boch-Produktionsstätten übriggeblieben. Der ideale Fundus für eine stilgerech­te, florierende Gastwirtschaft. Man darf die Touristen nicht für dumm verkaufen. Wenn sie auf der malerischen Schlossterrasse ihren Capuccino aus garantiert edlen Villeroy [&] Boch-Gefäßen schlürfen, wird ihnen schon ein Licht aufgehen. Der heilsame Schock wird ihnen schon in die Glieder fahren, weil sie ja über dem Genießen merken: dieses ganze Porzellan wurde von rücksichtslos entlassenen Arbeiterinnen und Arbeitern hergestellt. Oh my God! Shocking, honey! Wozu brauchen wir eigentlich noch die hässlichen, provozierend einseitigen Schautafeln beim Schlossrundgang? Genau dieser um sich greifenden Einseitigkeit müssen wir den Kampf ansagen. „Multiplicity“ heißt schließlich Vielfalt, und in unserer vielfältigen Gemeinschaft gibt es nun mal nicht nur arme entlassene Menschen, sondern auch steinreiche Menschen, die entlassen.

Das eine geht nicht ohne das andere. Und umgekehrt. Sonst wäre es ja blühender Unfug, von „multiplicity“ zu reden.

Guy Rewenig
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