Nach dem Hin und Her um Opel

Raus aus den Kartoffeln

d'Lëtzebuerger Land vom 28.01.2010

Der Opel Corsa ist zukunftsweisend: Er verfügt bereits über das Um-die-Ecke-Licht, das beim Abbiegen die Kreuzung hell ausleuchtet und den Fahrer auch über die Straße hastende Passanten erkennen lässt. Doch was nutzt die schönste, die innovativste, die sicherste Technologie, wenn der Fahrkomfort in einem Opel Corsa auf langen Strecken jeden Fahrer martert? Noch dazu biegt man auf langen Autobahnfahrten selten im spitzen Winkel ab, so dass das schöne Um-die-Ecke-Licht den Fahrer nicht einmal begeistern oder Abwechslung ins dumpfe Autobahn-Cruisen bringen kann.

Doch steht es symptomatisch für jenen europäischen Automobilbauer, der eine Rein-aus-den-Kartoffeln-raus-aus-den-Kartoffeln-Tochter eines US-amerikanischen Konzerns ist – oder doch nicht?

Das besondere Licht im Corsa ist eine Übernahme aus dem Opel Insignia. Mit diesem Modell gelang Opel im November 2008 ein erfolgreicher Markenwechsel in der gehobenen Mittelklasse, die das Unternehmen in den Jahren zuvor mit dem Signum sträflich vernachlässigt hat. Der Insignia strotzt vor innovativer Technologie. Die sich dann aber in Luft auflöst, wenn das Marken-Image von Opel eher mit Angestaubt, Billig und Gewöhnlich assoziiert wird und die Verarbeitung von Volkswagen, die Sportlichkeit von BMW und die Beständigkeit von Mercedes-Benz einen besseren Ruf genießen. Faktoren, die eine Kaufentscheidung er-heblich beeinflussen.

Hinzu kommt das Jahr 2009 in der Firmengeschichte, das durchaus als verkorkst gelten kann. Schon zum Jahresende 2008 geriet die Konzernmutter General Motors (GM) durch die Finanz- und Wirtschaftskrise in eine Schieflage, die sich direkt auch auf Opel auswirkte. Opel fragte daraufhin bei der deutschen Bundesregierung in Berlin eine Bürgschaft zur Kreditabsicherung an – und machte sich damit zum Spielball der Politik. Eine zögerliche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ein überforderter Wirtschaftsminister Michael Glos, der später von seinem CSU-Parteikollegen Karl-Theodor zu Guttenberg abgelöst wurde, ein den Wahlkampf suchender Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und ein umtriebiger rheinland-pfälzischer Ministerpräsident Kurt Beck zeigten, dass mehr Große Koalition nicht ging, und wirbelten den Rüsselsheimer Laden richtig durcheinander.

Opels Aufsichtsrat verkündete Ende Februar 2009, dass er eine „europäi-sche selbstständige Geschäftseinheit“ Opel schaffen wolle, die allerdings – durch Patentnutzung und Entwicklungsleistung – weiterhin von GM und – durch einen Kapitaleinsatz von 3,3 Milliarden Euro – von der Bundesregierung abhängig sein sollte. Diese Gesellschaft bekam den schicken Namen „Opel (neu)“ verpasst und musste sich von der Kanzlerin anhören, dass ein Automobilwerk nicht „systemrelevant“ für die Funk-tionsfähigkeit der Volkswirtschaft sei. Trotzdem zeigte sich die deutsche Regierung bemüht, Opel zu retten – allerdings ohne direkte staatliche Beteiligung. Jedoch stellte die Kanzlerin Kreditbürgschaften bereit, falls ein Investor den Autobauer übernehmen wolle. Dann lehnte sich die Regierung zurück und wartete auf den Sanierungsplan von GM, der von der US-Regierung angefordert wurde.

Im Mai 2009 zeigten sich mit dem italienischen Fiat-Konzern, dem österreichisch-kanadischen Automobilzulieferer Magna sowie dem US-amerikanischen Finanzinvestor Ripplewood Holding drei Interessenten für die Rüsselsheimer. Ende Mai machten sie bei GM in Detroit und bei der Bundesregierung in Berlin ein Übernahmeangebot, denn alle drei Bieter forderten für die Übernahme Staatshilfen. Lediglich ein vierter Bieter, die chinesische Beijing Automotive Industry Holding Company, verlangte deutlich weniger Hilfe vom Staat, gab im Gegenzug aber deutlich weniger Garantien ab. Die Bundesregierung erteilte dem Unternehmen Magna, das die russische Sberbank als Finanzpartner hatte, den Zuschlag – ohne dass die Regierung überhaupt etwas zu verkaufen oder zu verteilen hatte. In Deutschland war Wahlkampf, da zählte einzig und allein der Erhalt von Tradition und Arbeitsplätzen. Doch Opel gehörte noch immer General Motors – und die Konzernmutter ließ sich Zeit.

Schließlich gab es ein Sommerlochtheater im Hin und Her um den Rüsselsheimer Autobauer mit allerlei europäischer Implikation. So hatten sich die Regierungen Belgiens, Spaniens und Großbritanniens an die EU-Kommission gewandt, befürchteten sie doch, dass die deutsche Politik beim Opel-Magna-GM-Gemenge zu sehr die Hände ins Spiel halte und am Ende eine Lösung herauskäme, die einzig und allein die deutschen Werke bevorzugen würde.

Am 3. November letzten Jahres löste sich alles in Luft auf: General Motors erklärte, Opel behalten zu wollen, und sagte den zuvor vertraglich besiegelten Verkauf ab. Lange Gesichter allenthalben, denn GM kündigte gleichzeitig an, dass zwar alle Standorte in Deutschland erhalten bleiben sollten, jedoch bei deutlichem Personalabbau und einer um 20 Prozent verkleinerten Produktionskapazität.

Die Enttäuschung bei Magna wehrte nicht lange. Denn die Auswirkungen, die ein Einstieg bei Opel auf das Zuliefergeschäft des österreich-kanadischen Unternehmens gehabt hätte, schienen wenig durchdacht. Magna beliefert immerhin fast alle Größen der Automobilbauerwelt. Der Kauf von Opel hätte manche Zusammenarbeit beendet.

Bei Opel ist inzwischen wieder alles beim Alten. Fast. Ein neues Logo musste her – das elfte in der Nachkriegsgeschichte der Firma. Die Chefposition in Rüsselsheim hat gewechselt. Der neue Mann an der Opel-Spitze heißt Nick Reilly. Er gilt als harter Sanierer. Hoffentlich mit Verständnis für die Marke und den Markt: Bereits in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts hatte sich Detroit zu sehr in die Politik von Opel eingemischt. Woraufhin Opel – durch eine verfehlte Markenpolitik – ins Hintertreffen gegenüber anderen Autobauern geriet und Marktanteile einbüßte. Mangelhafte Qualität gab das Ihre dazu. Das schickste Um-die-Ecke-Licht nutzt nichts, wenn das Handschuhfach klappert.

Martin Theobald
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