Wahlgewinner CSV und Grüne

Klarer Fall

d'Lëtzebuerger Land du 17.06.2004

Das Wählerverdikt vom vergangenen Sonntag hätte deutlicher nicht ausfallen können. Es gibt zwei Gewinner (CSV und déi Gréng), zwei Verlierer (DP und ADR) und eine Partei (LSAP), die gleichzeitig leicht dazu gewonnen (einen Parlamentssitz) und verloren hat (den zweiten Sitz im Europaparlament). Jean-Claude Juncker hat das, was er sich vorgenommen hatte und 1999 verfehlte, brillant geschafft, nämlich seine Meisterprüfung. Mit einem Stimmengewinn von sechs Punkten auf 36,1 Prozent knüpft die CSV wieder an ihre Resultate an, die sie seit 1959 zwischen 39 und 36 Prozenten ansiedelten. Vergessen sind die "contre-performances" von 1974, 1989, 1984 und 1999, wo sie nur um die 30 Prozent erreichte. Eine beachtliche Leistung in der Tat. Was sie noch beeindruckender erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass sie nicht das alleinige Verdienst von Juncker ist, sondern auch den blendenden Ergebnissen der als Kronprinzen gehandelten Fränz Biltgen und Luc Frieden, sowie der Nachwuchspolitiker Jean-Marie Halsdorf, Ali Kaes, Octavie Modert, Laurent Mosar, Marco Schanck und Claude Wiseler einiges zu verdanken hat. Die Erneuerung der Partei hat in allen vier Bezirken Früchte getragen, die den Juncker-Effekt vorteilhaft ergänzten und verstärkten. Damit hat Juncker bewiesen, dass er nicht nur ein hinreißendes politisches Naturtalent ist, sondern auch eine Mannschaft zu Glanzleistungen anspornen kann. Die doch recht bescheidene Genesung der LSAP, die gegenüber ihrem katastrophalen Resultat von 1999 nur 1,1 Prozente dazu gewinnen konnte, aber auch die Debakel der DP, die 6,4 Prozentpunkte einbüßte und mit 16 Prozent ein Ergebnis erzielte, das in der Nachkriegsgeschichte nur 1954 und 1964 unterschritten wurde, ist darauf zurückzuführen, dass beide Parteien mit einem Aufgebot dienten, das praktisch nur aus gestandenen Politikern zusammen gesetzt war, die, bis auf einige wenige Ausnahmen wie Charles Goerens  oder Mars Di Bartolomeo, Jeannot Krecké und Romain Schneider, aber auch Spitzenkandidat Jean Asselborn, verbraucht wirkten und kaum eine Aufbruchsstimmung vermittelten. Dass die DP es nicht schaffte, die fünf Jahre in der Regierungsverantwortung zu nutzen, eine Erneuerung an Haupt und Gliedern in die Wege zu leiten, dürfte, neben einem unklaren Profil im Schatten eines übermächtigen Partners, der es besser verstand, sich zu verkaufen und die unbestreitbaren Erfolge der Regierung für sich beanspruchen konnte, die Erklärung für ihr Missgeschick sein. Die Liberalen finden sich in einer ähnlichen Situation wie 1964. Die Koalition mit der CSV wurde ihnen zum Verhängnis. Sie verloren damals wie heute fünf Sitze und ihr Stimmenanteil verzeichnete einen ähnlich großen Rückgang (von 20 auf 12,2 Prozent). Es gibt eine Art Seriengesetz in der luxemburgischen Politik, das regelmäßig dazu führt, dass der Koalitionspartner der CSV überdurchschnittlich hohe Verluste einfährt. Aber gleichzeitig gilt, dass der Verlierer von heute der Gewinner von morgen sein kann, vorausgesetzt, er versteht es, die Oppositionskur zu nutzen. Mit der DP ging es nach der Schlappe von 1964 wieder rapide bergauf. Bereits 1968 kam sie wieder auf 18 Prozent, und 1974 konnte sie ihre bisherige Spitzenleistung von 23,3 Prozent hinlegen. Man sollte nicht vergessen, dass 1974 der Thorn-Effekt eine ähn- liche Wirkung zeigte wie heute der Juncker-Effekt. Der schonende Umgang des Staatsministers mit seinem abgestraften und abgewählten Koalitionspartner beweist, dass er ein gutes Gespür entwickelt hat für derartige Wechselwirkungen und es tunlichst vermeidet, übermütig oder überheblich zu werden. Die CSV hat mittlerweile eine beträchtliche Erfahrung mit dem Partnerwechsel und weiß, dass es nichts bringt, die Partei, die gerade ein Down erlebt, noch zusätzlich zu demütigen. Das war bereits 1999 der Fall, als Juncker sichtlich Schwierigkeiten hatte, sich mit dem Gedanken abzufinden, sich von der LSAP zu trennen. Diese erfreulichere Kehrseite der Medaille und die Erinnerung an bessere Zeiten müssten die Liberalen eigentlich zuversichtlich stimmen, dass noch längst nicht alles verloren ist, dies um so mehr, als sich bereits ein Mitleidsgefühl verbreitet und das liberale Spektrum "au sens large" jetzt im Nachhinein findet, dass die Strafe für die DP doch unverdient hart ausfiel. Aber gleichzeitig vertreten diese Kreise genau so dezidiert die Auffassung wie Ehrenstaatsminister Gaston Thorn, mit dessen liberalem Vermächtnis in den letzten zehn Jahren Schindluder getrieben wurde, dass am Gang in die Opposition kein Weg vorbei führt. Erste Absetzbewegungen, wie die Entscheidung von Lydie Polfer, ihr Direktmandat im Europaparlament anzutreten, lassen darauf schließen, dass die Parteiführung  sich dieser Evidenz nicht länger verschließt und sich dem unvermeidlichen Läuterungsprozess nicht mehr verweigern will. Viele Beobachter waren überrascht, dass die im April vom Tageblatt in Auftrag gegebenen ILReS-Meinungsumfragen ziemlich genau mit dem Wahlresultat übereinstimmten. Der Niedergang der DP wurde exakt vorausgesagt, das Stagnieren der LSAP dokumentiert, der Höhenflug der CSV zwar leicht unterschätzt und die Progression von déi Gréng richtig eingeschätzt. Die Leistung der Demoskopen ist beachtlich, auch was die Treffsicherheit der Hochrechnungen am Wahltag anbelangt. Es stellt sich aber die Frage, ob hier nicht eine Selffulfilling Prophecy stattfand, da viele Wähler wohl nicht der Versuchung widerstehen können, im Trend zu wählen. Es stellt sich auch die Frage, ob der aufwändige Wahlkampf im Endeffekt nicht doch überflüssig war, da er ganz offensichtlich keine Veränderung des Trends bewirken konnte.

 

Mario Hirsch
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