Die Regierung will eine „nachhaltigere“ Landwirtschaft. Die CSV auch, und sie möchte darin besonders kompetent erscheinen. Aber was tun, wenn ein Großteil der Branche auf den Weltmarkt zielt?

Landwirtschaft plus

d'Lëtzebuerger Land vom 29.11.2019

Agrarminister Romain Schneider (LSAP) war begeistert: Drei Jahre hintereinander sind in Landwirtschaft und Weinbau die Umsätze und Betriebsgewinne gewachsen, über die letzten fünf Jahre betrachtet, sogar um 30 Prozent. Das werde hoffentlich für die nötige Ruhe sorgen, um über eine „Landwirtschaft plus“ zu diskutieren.

So geschehen am Montag auf dem „Buchstellentag“. Der hat nichts mit Literatur zu tun, sondern mit Buchhaltung: Jedes Jahr um diese Zeit zeigen Ökonomen des Landwirtschaftsministeriums, wie es um wirtschaftliche Lage des Agrarsektors bestellt ist, und extrapolieren die Gewinn- und Verlustrechnungen eines repräsentativen Netzes von „Testbetrieben“ auf die gesamte Branche. Demnach lag 2018 das durchschnittliche Betriebsergebnis bei 62 400 Euro, vier Prozent höher als 2017. Für dieses Jahr rechnet der Service d’économie rurale im Ministerium mit noch einmal zwei Prozent mehr, beziehungsweise 63 800 Euro. Das ist viel: 2016 hatte der Schnitt nur bei 36 600 Euro gelegen, inklusive rund 3 000 Euro öffentlicher „Notlagenbeihilfe“.

Was die Buchstellentage, die es seit 2001 gibt, regelmäßig demonstrieren, sind die Abhängigkeiten der Branche von den Preisentwicklungen auf dem Weltmarkt. Hinweise darauf, inwiefern davon gesprochen werden kann, dass die Landwirte und Winzer im Hochlohnland ein Einkommen erzielen, das den Beruf im Vergleich mit anderen Branchen nicht unattraktiv aussehen lässt, liefern sie auch. Was Letzteres angeht, ist die Lage trotz der günstigen Entwicklung der letzten Jahre nicht gerade rosig. In dem Schnitt von 62 400 Euro Betriebsergebnis steckt ein weiterer Durchschnitt von 72 900 Euro für Landwirte im Haupterwerb. „Hobby-Landwirte“ im Nebenerwerb, 2018 immerhin 257 Betriebe, brachten es auf 18 000 Euro. Aus dem Ergebnis der Haupterwerbsbetriebe werden statistisch am Ende 45 600 Euro „pro nicht entlohnter Arbeitskraft“. Die lassen sich zwar nicht ohne Weiteres mit Jahres-Bruttogehältern lohnabhängig Beschäftigter in anderen Sektoren vergleichen, denn Landwirte sind Freiberufler, und es gelten überdies gewisse Sonderregeln in der Sozialversicherung für sie. In Größenordnungen ist der Vergleich aber beredt: In der Industrie und im Dienstleistungssektor lagen die durchschnittlichen Bruttogehälter 2018 weit über 60 000 Euro. Die Landwirtschaft kommt eher der Baubranche nahe, wo der Brutto-Schnitt 2018 knapp 42 900 Euro betrug.

Solche Betrachtungen erhalten gerade derzeit Gewicht. Hinter den Andeutungen des LSAP-Ministers zu einer „Landwirtschaft plus“ verbirgt sich die nicht ganz neue Diskussion, die Branche „nachhaltiger“ zu machen: umweltfreundlicher, klimaschutzkonform, aber auch ökonomisch solider. Vor allem im Zusammenhang mit dem Nationalen Energie- und Klimaplan, der festlegen soll, wie das Luxemburger Treibhausaufkommen bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden soll, war in letzter Zeit besonders viel von der Landwirtschaft die Rede. So viel, dass der Präsident der Landwirtschaftskammer sich Ende Oktober in einem RTL-Radiointerview über ein „Agribashing“ beschwerte und der Präsident der Bauernzentrale auf der Jahresversammlung seines Verbands vor vier Wochen erklärte, selbst wenn man die Landwirtschaft hierzulande ganz abschaffte, wäre das CO2-Problem nicht gelöst. Lediglich 8,8 Prozent trägt sie zu den Emissionen bei.

Dass das Thema brisant und sehr politisch ist, zeigte sich auch auf dem Buchstellentag. Eigentlich war er vom Ministerium als eine Veranstaltung angekündigt worden, die neben den Wirtschaftsbetrachtungen auch „im Zeichen des Klimawandels und der Herausforderungen für die Luxemburger Landwirtschaft diesbezüglich“ stehen sollte. Doch Minister Schneider umging das Thema lieber. Er sagte nur, er begrüße, „dass der Sektor angeboten hat, mitzuhelfen, die Klimaziele zu erreichen“, denn die Auswirkungen des Klimawandels seien „eine der größten Herausforderungen überhaupt“ und die Landwirtschaft davon nicht nur in vorderster Linie betroffen, sondern auch „Teil der Lösung“. Was genau das heißen soll, ist aber noch längst nicht ausgemacht. Dass es darüber am Montag auf dem Buchstellentag keine größeren Konflikte gab, wurde auch dadurch ermöglicht, dass die grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg, CSV-Fraktionspräsidentin Martine Hansen und die CSV-Abgeordnete und frühere Agrar-Staatssekretärin Octavie Modert doch nicht im Publikum saßen. Auch Kammerpräsident und Ex-Minister Fernand Etgen von der DP hatte eigentlich kommen wollen. Am Ende referierte über das Thema hauptsächlich ein Gastredner vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau. Er erläuterte, dass es ein komplexes Unterfangen ist, in der Agrarpraxis Umwelt- und Klimaschutz miteinander in Einklang bringen zu wollen. Und er meinte, mit 1,3 „Großvieheinheiten“ pro Hektar Fläche sei Luxemburgs Landwirtschaft schon heute ziemlich extensiv. Die der Schweiz sei mit 1,4 auch nicht schlecht.

In Wirklichkeit liegt hinter dieser Zahl einer der großen Steine des Anstoßes verborgen. Mit einem Anteil von 35 Prozent machen Milchviehbetriebe das Gros der Luxemburger Agrarwirtschaft aus. Dass Milchproduktion sich lohnt, sieht man unter anderem daran, dass 2018 das Betriebsergebnis über alle Milchviehbetriebe mit 85 800 Euro um mehr als ein Drittel besser war als der Schnitt über alle Betriebe. Dabei lag es wegen leicht gesunkener Milchpreise fünf Prozent unter dem von 2017. Dennoch wurde 2018 nur im Weinbau mit fast 100 000 Euro noch mehr Erlös erzielt als im Milchbereich. Die 25 Prozent „besten“ Milchbetriebe der Buchstellen-Statistik verdienten vergangenes Jahr rund 180 000 Euro. Das ergab bei ihnen mehr als 100 000 Euro Jahresverdienst pro nicht entlohnter Arbeitskraft.

Solche Ergebnisse werden unter anderem durch eine immer höhere Milchleistung pro Kuh möglich. Im Schnitt gibt eine Luxemburger Milchkuh zurzeit an die 8 000 Liter Milch pro Jahr. Das ist ein hoher Wert, der unter dadurch erreicht wird, dass Kühe nicht nur auf der Weide grasen, sondern ihnen Kraftfutter in Form von Mais oder Soja zugefüttert wird. Aus dem Weide-Grünland kommen Schätzungen zufolge lediglich 1 500 Liter Milch pro Kuh. Grünland-Fütterung aber erlaubt es besonders gut, den Kreislauf an Methan zu schließen, das ein 25 Mal potenteres Treibhausgas ist als CO2 und ganz natürlich in der Verdauung von Wiederkäuern entsteht. Eine der Überlegungen für eine klimagerechtere Luxemburger Landwirtschaft lautet deshalb, die Zahl der Milchkühe deutlich zu senken. Das meinte der grüne Abgeordnete und Vorsitzende des parlamentarischen Umweltausschusses François Benoy, als er in einer Aktuellen Stunde im Parlament zum Thema Landwirtschaft und Klimawandel vergangene Woche von einer „bodenbezogenen“ Landwirtschaft sprach, welcher die Fraktion der Grünen den Vorzug gebe.

Das meinte andererseits auch der Präsident der Bauernzentrale auf der Jahresversammlung mit der Aussage, die „Landwirtschaft lehnt einen Abbau ihres Produktionspotenzials entschieden ab und fordert mit Nachdruck, dass technischen Lösungen Vorrang gegeben wird“.

Abbau von Produktionspotenzial hieße auf jeden Fall, Ertragsausfälle auszugleichen. Offizielle Aussagen, inwiefern das politisch erwogen wird, gibt es aus der Regierung bisher keine, ebenso wenig darüber, ob technische Lösungen Vorrang haben sollen. Auch die CSV äußert sich kryptisch: Mit der früheren Direktorin der Ackerbauschule an der Spitze ihrer Fraktion, versucht die CSV sich als pragmatisch und innovativ zugleich darzustellen und am liebsten vergessen zu machen, dass jahrzehntelang sie die Agrarpolitik entschied. Vor einer Woche berief die Fraktion eine Pressekonferenz ein, verteilte dort ihren „9-Punkte-Plan für eine Landwirtschaft mit weniger Klimagasen und mehr CO2-Bindung“ an die Journalisten. Sehr deutlich aber wird die CSV darin nicht. Sie hütet sich, Zahlen zu nennen. Sie spricht sich zwar dafür aus, zur „Reduzierung von Methan-Emissionen“ die „Beihilfen an die Gründlandleistung an[zu]passen“, und findet, dass eine „kohärente Beihilfenpolitik entkoppelt von reinen betrieblichen Wachstumskriterien“ her müsse. Martine Hansen hat sich das vergangene Woche in einem einstimmig angenommenen Entschließungsantrag von der gesamten Abgeordnetenkammer bestätigen lassen. Doch weder sie noch ihre Fraktion gehen so weit, von weniger Kühen und damit weniger Milch, weniger Fleisch – und dafür mehr einheimischem Feldanbau von Getreide und Gemüse zur menschlichen Ernährung zu sprechen.

Ob technische Lösungen allein reichen werden, um sowohl Umwelt- und Klimaschutz als auch wirtschaftliche Ergiebigkeit zu sichern, steht allerdings dahin. In dem über die gesamte Branche hinweg ermittelten Ergebnis von 62 400 Euro im vergangenen Jahr stecken 77 000 Euro Beihilfen pro Betrieb. Ohne sie wäre statistisch der ganze Sektor defizitär. Das ist seit vielen Jahren schon so, und man muss sich nicht nur fragen, ob „anders“ gelagerte Beihilfen zu einer für Umwelt- und Klimaschutz günstigeren landwirtschaftlichen Praxis anreizen können, sondern auch, wie sich erreichen lässt, dass der Landwirt bessere Preise für seine Produkte erzielt. Die auf dem Buchstellentag vorgestellten Wirtschaftlichkeitsanalysen zeigen ganz deutlich die Abhängigkeiten von den Weltmarktpreisen: Nicht zuletzt an deren Entwicklung lag es, dass 2018 im Getreidebereich die Umsätze 59 Prozent über denen im Vorjahr lagen, in Schweinefleischbetrieben dagegen lagen sie um 67 Prozent niedriger wegen gesunkener Fleischpreise.

Dieses Jahr zeichnet sich ein wiederum anderes Bild ab. Im Getreidebereich sinken die Umsätze um voraussichtlich elf Prozent, beim Schweinefleisch verbessern sie sich um die Hälfte. Wie man vor diesem Hintergrund die Landwirtschaft „lokaler“ ausrichtet und damit bessere Preise ermöglicht, kommt unweigerlich wieder zur Sprache, denn vor allem die Milch-, aber auch die Rindfleischproduktion übersteigt den Eigenbedarf. Dagegen deckt der Gemüsebau nur vier Prozent des Bedarfs im Land, und ihn zu erhöhen, wird in allen Politik-Erklärungen seit mindestens zwanzig Jahren hervorgehoben. Mit derzeit lediglich 25 Betrieben ist dieser Sektor so klein, dass ihn die Ökonomen des Ministeriums in ihren Buchhaltungs-Berechnungen gar nicht erfassen.

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Peter Feist
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