Swift-Abkommen in Kraft

Offener Rechtsbruch

d'Lëtzebuerger Land du 04.02.2010

Am 1. Februar 2010 ist europäische Rechtsgeschichte geschrieben worden. An diesem Tag trat das Swift-Abkommen in Kraft, das Eingriffe in die Grundrechte der EU-Bürger zulässt, ohne dass die nationalen Parlamente oder das Europäische Parlament (EP) darüber abgestimmt hätten. Das ist offener Rechtsbruch.

Der Aufschrei aber bleibt aus. Woran liegt das? Haben wir genug Sorgen mit dem Töten in Afghanistan? Wachsen uns die Folgen der Wirtschaftskrise schon so über den Kopf, dass uns „das Fressen“ wichtiger geworden ist als die „Moral“? Oder haben wir die Freiheit, die uns mit jeder technischen Weiterentwicklung des Digitalen Zeitalters ein Stück mehr abhanden kommt, schon abgeschrieben?

Mitte November 2009 hieß es noch, der Rat der EU-Innen- und Justizminister habe das alleinige Entscheidungsrecht, das Swift-Abkommen auszuhandeln. Dieses Abkommen erlaubt den USA den Zugriff auf Banküberweisungen zwischen Europa und den USA mit dem Ziel, möglichen Terroristen auf die Spur zu kommen. Nach dem Nizza-Vertrag hat das Europäische Parlament hier kein Zustimmungsrecht. Genau deshalb hat der Rat am 30. November auch dem Abkommen zugestimmt. Einen Tag, bevor der Vertrag von Lissabon in Kraft trat. Er tat dies mit dem festen Willen, das EP daran zu hindern, am Zustandekommen des neuen Abkommens teilzunehmen oder das Abkommen gar ganz zu verhindern. Am 30. November war denn auch nirgendwo in der Presse die Rede davon, dass das EP dem Abkommen noch zustimmen müsse, bevor es in Kraft treten kann.

Der Wille des Rates für Inneres und Justiz, das Abkommen unbedingt vor dem Lissabon-Vertrag über die Bühne zu bringen, spricht Bände über sein Demokratieverständnis. Allein dieser Umstand müsste jeden Europäer nachts schlecht schlafen lassen, sind die versammelten Minister dieses Rates doch die obersten politischen Hüter unserer europäischen Demokratie. Aber es kommt noch schlimmer. Als die Minister gewahr wurden, dass sie zwar das Abkommen vor dem 1. De-zember beschließen können, aber die Ausfertigung und Veröffentlichung nicht mehr zeitgerecht schaffen, haben sie noch schnell dem Parlament das Recht zur Zustimmung „gewährt“. Gültig ist das Abkommen nämlich erst dann, wenn es auch ausgefertigt ist. Die Ausfertigung geschah aber erst im Dezember, als der Lissabon-Vertrag schon in Kraft war.

Der Rat hat sich damit ein Eigentor geschossen. Und er hat es nicht geschafft, dem EP die Übersetzungen der zwei, drei Seiten des Abkommens und weitere Unterlagen so zeitig zuzustellen, dass das Parlament vor dem 1. Februar diskutieren und abstimmen konnte. Damit ist das Abkommen ohne Rechtsgrundlage in Kraft getreten. Derweil versichert das Unternehmen Swift, es werde „bis zur Abstimmung des Europäischen Parlaments“ keine Daten in die USA liefern. Der Datenschutz der EU-Bürger hängt vom Demokratieverständnis eines Unternehmens ab. Deutlicher kann man Demokratie auf europäischer Ebene nicht demaskieren.

Der Rat der Europäischen Union hat noch nicht begriffen, dass das Europäische Parlament mit dem Lissabon-Vertrag auch in der Innen- und Justizpolitik mitbestimmen darf. Es bleibt zu hoffen, dass sich wenigstens das EP über seine Rechte im Klaren ist. Auch das ist keineswegs sicher. Von den Fraktionen im EP haben es allein die Grünen für notwendig gehalten, am 1. Februar eine Pressemitteilung gegen das Inkrafttreten des Swift-Abkommens zu veröffentlichen. Auf der Plenartagung im Februar muss das Parlament das Abkommen ablehnen. Nicht wegen des Inhalts, das auch, aber vor allem um dem Rat zu zeigen, dass es bei seinen Rechten und den Bürgerrechten nicht mit sich spaßen lässt. Nur wenn das Parlament ablehnt, werden wir erfahren, ob die euro-päischen Innen- und Justizminister gewillt sind, sich wieder an Recht und Gesetz zu halten.

Christoph Nick
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