Eigenheiminszenierung

Aus der Vitrine

d'Lëtzebuerger Land du 25.02.2010

Lebst du noch? Oder wohnst du schon? Der Slogan einer schwedischen Möbelhaus-Kette ist längst nicht mehr der Trend, der noch zählt. Wer lebt heute noch, wenn er doch schon wohnen kann? Das Leben in den eigenen vier Wänden ist ein antiquiertes Artefaktum geworden, das sich aus der nicht änderbaren Notwendigkeit heraus ergab, ein einziges Dach über dem Kopf zu haben. Heute – mit der Zweit- oder Drittwohnung – wohnt es sich. Es lebt sich nicht mehr in den eigenen vier Wänden. Das liegt zum einen daran, dass Emotionen immer mehr aus dem Lebensbereich Wohnraum verbannt werden, zum anderen daran, dass das Wohnheim im globalisierten Dasein zur Ausstellungsvitrine des eigenen Seins geworden ist – streng der Tyrannei der Intimität folgend.

Es braucht nur einen Rechner und einen Zugang zum weltweiten Netz. So lassen sich von jedem Ort auf diesem Globus die Jalousien im eigenen Zuhause hoch- oder runterfahren, die Mindesthaltbarkeitsdaten der Waren im Kühlschrank überprüfen sowie per Webcam einen Blick in jedweden Winkel des Zuhauses werfen, dann noch den Videorekorder programmieren, die Beleuchtung zu wechselnden Zeiten einschalten und über die Türklingel auf die Straße glotzen oder Besuch empfangen – ohne überhaupt anwesend sein zu müssen. Der Eisschrank macht über Twitter Eis, über Facebook weiß man schon seit Tagen, wer am Wochenende anklopfen wird. Selbstredend schauen in der virtuellen Vitrine auch jede Menge elektronischer Passan­ten vorbei, die wohlwollende Kommentare zur Sauberkeit der Wohnung im elektronischen Gästebuch hinterlassen oder wütende Notizen per Spam im Blog der Waschmaschine, der Kaffeemaschine oder des Toasters schreiben. Die Wohnung ist zum global beherrschbaren, voll- und vorstellbaren Schaufenster des eigenen Seins geworden. Selbstredend kann das zurschaugestellte Dasein auch bewertet werden. Dann lohnt es sich den eigenen Geschmack und die eige­ne Heimlichkeit dem globalen Trend unterzuordnen, um möglichst einen der Spitzenplätze zu belegen.

Wenn die Inszenierung des eigenen Heims bildbandgerecht aufpoliert wird, werden Lebenslust, Individualität und Emotionen ausgesperrt. Dabei hilft ausgezeichnet und fachgerecht die Möbel- und Einrichtungsindustrie. Scharniere verhindern das überlaute Schließen von Schränken und Schubladen, der Türstopper federt die Tür ab. Die teure Designvase verhindert den Blumenschmuck, um nicht von der ursprünglichen Form- und Farbensprache des Künstlers abzulenken. Der Stuhl ist zum Betrachten aufgestellt worden, nicht zum Sitzen. Er ist signiert und hat seine Provenience. Der Mülleimer mit elektronischer Öffnung und Sortierung komplettiert die Existenz, während der vollautomatische Staubsauger – eingeschaltet über das entsprechende Webinterface – zum Streifzug durch Wohn-, Ess- und Schlafzimmer aufbricht, ohne auch nur einen einzigen Krümel aufzukehren, während die Kaffeemaschine morgens zur programmierten Zeit das Heißgetränk aufbrüht. Beides zeigt Möglichkeiten und Visionen, die nicht unbedingt notwendig sind. Doch sind sie leise, gefedert und vollautomatisch. Es ist sauber, aber kalt, es ist rein, aber ungemütlich. Alles einem weichen, sanften Komforts geschuldet. Ist das Türenknallen überhaupt noch konform oder schon ein völlig überkommener Gefühlsausbruch in einer viel zu perfekten Wohn­umgebung? Braucht es überhaupt einen Stuhl im Tagesablauf? Wird das Leben letztendlich entwohnt und das Wohnen zum neuen Überlebenskampf im Daseinsdschungel?

Blaupausen für das neue, konforme, weich und abgefederte Leben liefern Zeitschriften zur Innenarchitektur, zum besseren Leben, mit Einblicken in die Penthäuser von New York City, den Stadtpalästen von Marra­kesch oder dem Loft in London, dem Jugendstil-Altbau im Kniegeschoss von Wien. Ob in Tokio, Buenos Aires oder Luxemburg: Die Komfortabilität und die Kompatibilität entfernt den Menschen hier wie dort aus seinem eigenen Lebensrahmen und lässt sein Dasein zur austauschbaren Schablone. Die Orte werden austauschbar, die Menschen darin auch. Der Wohnungsgrundriss ist der Bilderrahmen, der Rest mehr oder weniger sinnhaf­tes Gestalten. So hat sich das Wohnen immer mehr vom Leben und vom Menschen entfernt. Es gibt keinen selbstbestimmten und selbstgestalteten Raum innerhalb der eigenen vier Wände mehr, wenn selbst der Staub automatisch gesaugt wird. Dann braucht es irgendwann einen Automaten zur Stauberzeugung, damit die Maschine ihren Sinn überhaupt auch erfüllen kann.

Das Wohnen ist die Ausstellung, ein vom Menschen befreites, architektonisches Sein, das Verwalten des rea­len oder virtuellen Aufenthalts zuhause per Webinterface. Dies macht dem Menschen möglich, in einem Heim zu wohnen, ohne seinen Arbeitsplatz verlassen zu müssen. Und betritt der Mensch sein eigenes Schaufenster, empfindet er sich als Störenfried in der aufbereiteten, massenkompati­blen durchgestylten Darstellung des eigenen Seins. Es braucht keinen Mensch mehr, sondern nur noch das Voting über Vorhänge, Bilderrahmen und andere Langweiligkeiten am Rande der Banalität.

Martin Theobald
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