Die kleine Zeitzeugin

Schließt die Zoos!

d'Lëtzebuerger Land du 10.01.2020

Voyeurismus bei Häftlingen, ein wahrhaft seltsames Freizeitvergnügen! Eingesperrten zuschauen, wie sie kauen, vor sich hinschauen, verdauen. Von einer Pfote auf die andere treten, einmal im Kreis herum gehen und, verzücktes Kreischen im Publikum, Blase oder Darm entleeren; vor allem bei Elefant_innen kommt das sehr gut an. Es ist quasi ein Höhepunkt.

Von denen gibt es ja nicht so viele. Die meisten Darsteller_innen bieten wenig, selbst das Affentheater lässt zu wünschen übrig. Der Sibirische Tiger hechtet hin und her, die Löw_innen pennen, die Nilpferde, die nur noch Großmütter so nennen, sind versteinert. Ob die Pandas ausgestopft sind, kann niemand mit Sicherheit sagen. Die Flamingos stehen auf einem Bein, vermutlich dann auf dem andern, mehr läuft nicht.

Der Wiener Tiergarten wirbt damit, dass er der tollste Zoo der Welt sei. Stimmt vielleicht, wären nur keine Tiere drin! Welch ein Vergnügen wäre es, zu lustwandeln inmitten dieser royalen Pavillons ohne den Anblick hoffnungsloser Häftlinge. Was könnte alles dort stattfinden, Performances von uns Menschenaffen mit Katzenjammermusik!

Stattdessen gibt es Events mit Raubtier-Touch bei ruhig gestellten Wildnis-Darsteller_innen. Abendführungen bei Geparden mit anschließender Menschenfütterung im Kaiserpavillon. Polarnächte zwischen Eisbären und Pinguinen, keine Angst, kalt wird es nicht. Die Tierwelt-Darsteller_innen haben einen Nonstop-Job, nicht einmal nachts bleibt ihre Intimsphäre verschont.

Luxemburg hatte mal einen Tierknast, es war noch einer von der ehrlichen Sorte, mit angeketteten Insass_innen. Schaurig-traurige Gerüchte drangen nach außen, bis der Tierqual endlich ein Ende gesetzt wurde. Der Ort, an dem die Wildniskarikatur zur Schau gestellt wurde, wurde von der wahren Wildnis zurückerobert, der Senninger Wildnis. Romantisch überwuchert sie die Ruinen der Verliese.

Nach dem grauenvollen Tod der Äffinnen und Affen in der Silvesternacht wurden Trauerkerzen aufgestellt, Krokodilstränen flossen. Unter anderem für Massa, als Kleinkind seiner Familie entrissen und 44 Jahre in einem Betonbunker ohne Außengehege eingelocht. Kurz rückte die Art, wie wir mit unsern so wunderbar diversen Schwestern und Brüdern umgehen ins Bewusstsein. Kurz. Schon klingeln wieder die Zookassen.

Ja, Großstadtkinder sehen eher Löwen als Kühe, das Huhn ist exotischer als der Flamingo. Kaum erblickt ein Menschenkindlein das Licht der Welt, wird es in den Zoo geschoben, kaum eine Großmutter, die nicht eine Jahreskarte besitzt. Die lieben Tiere! Die Natur! Trotzkist zeigt Nachwuchs gerührt das neue Elefantlein: Da, seine Mama! Um dann festzustellen, dass kleines Kind viel zu viel Instinkt hat, um sich von komatösen Pandas und resignierten Flusspferd-Hintern nicht abzuwenden. Interessanter als auf sterilem Boden herum tappendes Elefantenbaby sind quietschende Hängebauch-Menschen, die Affen nachäffen.

Meiden wir die Zoos, diese obsoleten Wildnis- Fakes mit ihrem heuchlerischen Art-Erhaltungsanspruch! Hätte Mensch nicht ihre Lebensräume raubtierisch und systematisch zerstört, müssten sie nicht bei lebendigem Leib konserviert werden. In Dauer-Depri hinter Panzerglas oder missbraucht als possierliche Possenreißer_innen. So lieb, grrr…!

Wozu all das? Zu unserm Vergnügen? Das kann nur Perversion sein. Zu unserer Erbauung? Zu Bildungszwecken? Jedes Bilderbuch ist lebendiger, jede Tierdoku informativer. Installiert Tier- Animationen, aber missbraucht Tiere nicht als Animateure, sie sind nicht unsere Entertainer_innen! Pädagogischer Auftrag? Welcher? Tiere als Exponate vor Schautafeln mit Wissenswertem, das man alsbald wieder vergisst.

Das Fieseste ist das neue Zoo-Image: der Zoo als Retter. Der Zoo als Arche Noah. Der Zoobesuch als gute Tat, wie man das früher nannte, gut für die Welt, gut für die Umwelt, spenden Sie, werden Sie Ameisenbärinpatin! Die permanent eingebläute Botschaft, wie beinahe ausgestorben all diese Schau-Exemplare doch nicht sind. Die Letzten ihrer Art.

Ohh, bald kommt ein neues Gibbonbaby! Reservieren Sie schon mal die Eintrittskarten, seien Sie die Ersten auf der Geburtenstation.

Michèle Thoma
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