Leitartikel

Wir haben ja Reserven

d'Lëtzebuerger Land vom 22.06.2018

19 Millionen Euro kosten die Nachbesserungen an der Pflegeversicherungsreform, die LSAP-Sozialminister Romain Schneider dem Regierungsrat vergangenen Freitag vorschlug und die der einstimmig annahm. Beendet ist damit der Krach um die courses-sorties für daheim versorgte Pflegebedürftige: Künftig gibt es dafür vier Stunden pro Woche. Recht gegeben wurde dem Pflegedienstleisterverband Copas, in den Heimen hätten Bewohner, die schon vor der Reform einen Pflegeplan besaßen, nach dessen Umwandlung in einen reformgemäßen unversehens viel weniger Pflegestunden zugestanden: Die zugehörige Stundenpauschale wurde deutlich erhöht. Angehoben wurde auch das wöchentliche Stunden-Limit für daheim Versorgte, wenn sie tagsüber in spezialisierten Einrichtungen betreut werden. Und ob diese Art der Betreuung daheim oder in der Gruppe gegeben werden kann, wurde zusätzlich flexibilisiert.

An der Nachbesserung fällt nicht in erster Linie der Kostenpunkt auf: 19 Millionen Euro sind nicht so viel, wenn schon bisher mit fast 650 Millionen Euro Ausgaben der Pflegekasse dieses Jahr gerechnet wurde. Was auffällt ist, dass die Nachbesserungen inhaltlich beinah eine Rückkehr zum Stand vor der Reform bedeuten. So dass sich die Frage aufdrängt, was die Reform denn bringt. Immerhin hatte die zum Sparen entschlossene Regierung sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, auch die Pflegeausgaben zu senken. Einerseits, weil sie 2013 davon ausging, der Pflegekasse drohe bei unveränderter Politik 2015 die Pleite. Andererseits, weil schon unter der vorigen Regierung ein Bericht der Generalinspektion der Sozialversicherung festgestellt hatte, in keinem Land der Welt gebe eine öffentliche Pflegeversicherung so viel Geld für „Unterstützungs-Leistungen“ aus wie in Luxemburg, aber niemand könne mit wissenschaftlicher Bestimmtheit sagen, ob dieser soutien mehr nützt, als die Lebensqualität der Pflegeleistungsempfänger zu erhöhen.

Verbunden damit war die tieferliegende Frage, wo die Grenzen der Zuständigkeit für die Sozialversicherung in der Langzeitpflege liegen sollen. Ab 2014 wurde sie gestellt, denn die Reformdiskussion drehte sich vorwiegend um die „Unterstützung“. Die Antwort lautete, und sie wird mit den Nachbesserungen bekräftigt, dass die Pflegeversicherung für quasi alles aufkomme. Der Minister nennt das „der Mensch steht im Mittelpunkt“. Im Mittelpunkt steht in Wirklichkeit die Konfliktvermeidung mit Copas und OGBL: Kürzungen bei dem, was die Pflegekasse bezahlt, hätten Konsequenzen für das Personal und die Wachstumsaussichten in dem an sich freien Pflegemarkt. Erreicht die Diskussion diesen Punkt, vetritt die Copas die Interessen der Betriebe und der OGBL die seiner Mitglieder. Dann erzählen beide, jede Leistungskürzung senke die „Qualität“.

Dieser Argumentation hat der Sozialminister zumindest öffentlich nie etwas entgegengesetzt. Das hatte auch damit zu tun, dass die Pflegeausgaben noch während der Reformdebatte durch den Zukunftspak gekürzt wurden – auf intransparente Weise und mit finanziellen Auswirkungen auf die Branche, die die Erwartungen der Regierung weit übertrafen. Dadurch war Romain Schneider politisch schlecht gestellt, mit der Reform noch weiter zu gehen. Doch ums Geld geht es nicht nur, sondern um dessen sinnvollen Einsatz. In dieser Hinsicht für Verbesserungen zu sorgen, war die Reform von Anfang an nicht gut genug vorbereitet. Dass zugelassen wurde, dass es Anfang des Jahres so aussah, als entscheide Qualität sich daran, ob ein Betreuer die Oma zum Einkaufen begleiten kann, war der letzte Beweis dafür. Die Pflegeversicherungsrefom sorgt für mehr Flexibilität und neue Qualitätskontrollmöglichkeiten, das ist alles. Für die sinnvolle Ausrichtung der Leistungen müsste eine andere Regierung sorgen. Die aktuelle freut sich über die Reserven in der Pflegekasse, obwohl die vor allem auf die gute Konjunktur zurückzuführen sind. Aber vergangenen Freitag wurden ja auch die Regeln für den Berufseinstieg im öffentlichen Dienst wieder zurückgenommen und den Beamten wurde die Essenszulage erhöht. Und wie sagte der grüne Minister François Bausch schon vor einem Vierteljahr: Natürlich ist auch Wahlkampf.

Peter Feist
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