Streitgespräch

„Wir gehen in Richtung Planwirtschaft!“ „Das ist doch Blödsinn“

d'Lëtzebuerger Land vom 24.01.2020

d‘Land: Herr Mosar, kennen Sie den Begriff OK Boomer?

Laurent Mosar: Ja. Und mir gefällt der Begriff deutlich besser als der „alte weiße Mann“.

Können Sie als Boomer denn verstehen, warum die junge Generation auf die Straße geht?

Mosar: Absolut und ich finde es gut. Die Jugend soll sich politisch engagieren und für eine bessere Zukunft kämpfen. Allerdings würde ich es begrüßen, wenn sie sich nicht nur wegen des Klimawandels mobilisieren würde, sondern auch aufgrund anderer gesellschaftlicher Probleme oder internationaler Konflikte. Das politische Engagement darf sich nicht nur auf das Thema des Klimawandels begrenzen.

Meris Sehovic: Sie suggerieren, dass der Klimawandel ein Nebenschauplatz ist – nur ein Problem unter vielen, die nichts miteinander zu tun haben. Das ist Ihr gutes Recht, aber ich halte das für falsch. Der Klimawandel ist von zentraler Bedeutung und zeigt doch gerade, dass alles miteinander verflochten ist. Er ist ein Ergebnis eines globalen Wirtschaftsmodells mit monopolisierten Machtstrukturen. Auch internationale Konflikte gehen auf diese Strukturen zurück. Und ich glaube, dass die junge Generation, die sich für mehr Klimaschutz einsetzt, das sehr gut verstanden hat und einen generellen Wandel anstrebt.

Herr Mosar, ist der Klimawandel nur ein Problem unter vielen?

Mosar: Ich will die Herausforderung des Klimawandels nicht kleinreden. Ich bin auch kein so genannter Klimaleugner. Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens, zu dem auch meine Partei steht, dass wir bis 2050 klimaneutral sein müssen. Aber mich stört das Auftreten der Klimaaktivisten. Ich glaube nicht, dass wir mit Angst, Hysterie oder apokalyptischen Drohkulissen vorankommen. Es reicht nicht, den Menschen von oben ins Gewissen zu reden. Der moralische Zeigefinger mit Vorschriften und Verboten bringt uns nicht weiter. Was wir hingegen brauchen, ist Optimismus. Wir sollten positiv in die Zukunft blicken und wieder stärker auf Fortschritt und Technologie setzen.

Herr Sehovic, sind die Grünen und die jungen Klimaaktivisten zu negativ – bauen Sie eine unnötige Drohkulisse auf?

Sehovic: Nein. Es sind ja eben nicht nur Grüne oder Klimaaktivisten die Alarm schlagen, sondern es ist die Wissenschaft. Der Klimanotstand ist keine Erfindung einer Partei, sondern beruht auf der Expertise der weltweit renommiertesten Klimaforscher. Und diese Experten weisen seit den 1980-er-Jahren darauf hin, dass wir vor gewaltigen Problemen stehen, sofern wir nicht bald handeln. Es sind dabei die Grünen, die seit Jahren die Krise als Chance begreifen, um unsere Gesellschaft zu verbessern. Eines ist nämlich sicher: Einfach so weitermachen wie jetzt, können wir nicht.

Mosar: Ich habe den Hysterie-Vorwurf auch nicht gegenüber den Grünen in Luxemburg angebracht, sondern gegenüber den Aktivisten um Greta Thunberg. Sie treibt mit ihrem Fundamentalismus die Gesellschaften in Europa auseinander und spaltet sie in zwei Lager: gut gegen böse, jung gegen alt. Wer so ideologisch argumentiert, ist nicht mehr kompromissfähig.

Sie glauben ernsthaft, dass Aktivistinnen wie Greta eine Gefahr für das demokratische Miteinander sind?

Mosar: Ich sehe eine Tendenz, dass europäische Staaten die demokratischen Freiheiten beschränken wollen. Ein Beispiel: Wir sind uns alle einig, dass wir uns langfristig nicht mehr mit fossiler Energie bewegen können. Niemand kann aber heute sagen, was nach dem Verbrennungsmotor kommt, welche Technologie sich durchsetzen wird. Elektroauto, Wasserstoffantrieb, synthetischer Treibstoff oder ganz was anderes. Und hier verlange ich Offenheit gegenüber Innovation. Das ist derzeit aber gerade nicht der Fall. Wir orientieren uns in Europa und ganz besonders auch in Luxemburg kompromisslos in Richtung Elektroantrieb, oktroyieren der Wirtschaft eine bestimmte Technologie.

Sehovic: Das ist doch Blödsinn.

Mosar: Nein, das ist die Realität. Wir gehen in Richtung Planwirtschaft. Doch wir gewinnen diesen Krieg nur, wenn es einen Wettstreit der guten Ideen geben wird. Wir müssen den Markt entscheiden lassen.

Herr Sehovic, müssen wir bei der Bekämpfung des Klimawandels stärker auf die unsichtbare Hand des Marktes vertrauen?

Sehovic: Wenn der freie Markt das Problem regeln würde, wären wir jetzt nicht in der Situa-tion des Klimanotstands. Der Glaube an die freie Marktwirtschaft ist ein Irrglaube. Es ist hingegen ein Imperativ der Klimaforschung, dass die nächsten zehn Jahre entscheidend sind. Das neue Jahrzehnt muss das Jahrzehnt des Klimaschutzes sein. Wir können uns also nicht erlauben, noch weiter zu prokrastinieren. Und Fakt ist, dass die Elektro-Technologie am weitesten fortgeschritten ist. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe dagegen sind zu teuer und ineffizient. Das ist eine Verzögerungstaktik. Warum sollen wir also nicht auf die Technologie setzen, die am vielversprechendsten ist.

Die Lage ist ernst – müsste die Politik denn nicht noch deutlicher eingreifen mit Verboten und Interventionismus?

Sehovic: Das tut sie ja bereits – etwa durch Plastikverbote oder CO2-Bepreisung. Ein Teil der Antwort auf das Problem des Klimawandels lautet natürlich: stärkere Regulierung.

Also gehen wir doch in Richtung „Planwirtschaft“?

Sehovic: Nein. Das ist eine Scheindebatte, die ich deutlich ablehne. Es sind gerade Begriffe wie „Planwirtschaft“, die die Menschen aufstacheln und Angst verbreiten. Niemand will die Freiheit der Menschen begrenzen oder stellt das demokratische Grundgerüst in Frage. Und selbst Herr Mosar muss wohl einsehen, dass die Politik einen Gestaltungsrahmen vorgeben muss, um die Probleme des Klimawandels anzugehen, sofern er sie denn lösen will.

Mosar: Also für mich ist ganz klar, dass staatlicher Interventionismus eine Sackgasse ist. Ich erinnere etwa an die erste Ölkrise in den 1970-er-Jahren. Damals wurde ähnlich wie heute Panik geschürt, die Staaten verordneten verkehrsfreie Sonntage und predigten den Verzicht. Das war alles gut gemeint, aber geradezu kontraproduktiv. Nahezu alle Ökonomen sagen heute, dass diese Politik des Energiesparens das Problem nur verzögert hat. Wir hätten damals vielmehr auf neue Technologien setzen sollen, anstelle unsere Lebensweise zu verdammen mit unsinnigen Verboten.

Verzicht ist also keine nachhaltige Lösung?

Mosar: Nein.

Sehovic: Wir werden um eine Reihe von Lifestyle-Veränderungen nicht herumkommen. Mit purem Fortschrittsglauben werden wir den Klimawandel sicher nicht bremsen. Es gilt vielmehr darum, unser Wirtschafts- und Wachstumssystem zu überdenken. Bis jetzt sind Gewinne privatisiert und Umwelt- und Klimaschäden kollektiviert worden. Eine klimaschädliche Produktion trat in den Bilanzen der Unternehmen nicht auf, sie waren also nicht veranlasst zu handeln. In Zukunft muss unsere Wirtschaft so ausgerichtet sein, dass sich das ändert.

Mosar: Aber machen wir uns doch nichts vor. Wir lösen das Problem nicht alleine in Europa und schon gar nicht in Luxemburg. Denn die Weltbevölkerung wird weiterwachsen, wir sind bald zehn Milliarden Menschen. Und alle wollen ernährt werden und streben nach Wohlstand und einer besseren Zukunft jenseits von Armut. Der Verzicht bietet keine Antwort für diese Menschen.

Das heißt zuerst Wohlstand, dann Klimaschutz?

Mosar: Beides hängt zusammen, aber ja: ohne Wohlstand kein Klimaschutz.

Sehovic: Das ist eine falsche Denkart. Klimaschutz und Wohlstand sind keine Gegenspieler, sondern gehen Hand in Hand. Es ist ein Fehlschluss zu glauben, dass die Entwicklungsländer zuerst den klimaschädlichen Wachstumsweg des Westens gehen müssen, um einen gewissen Wohlstand zu erreichen und dann erst mit Klimaschutz beginnen sollen. Wir sollten Armut nicht gegen Klimaschutz ausspielen. Wer so argumentiert verlängert nur den Status Quo. Erneuerbare Energien bieten doch gerade Chancen für Entwicklungsländer, die sie bis jetzt nicht hatten.

Mosar: Aber wir brauchen doch nur in unsere Geschichte zu blicken: Die Menschheit konnte sich nur weiterentwickeln, indem sie konsequent auf Fortschritt und Wachstum setzte. Durch das Wachstum der industriellen Revolution seit dem 19. Jahrhundert ist es uns gelungen, die Alphabetisierungsrate zu erhöhen, Hygieneverhältnisse und Ernährung zu verbessern und Krankheiten zu besiegen. Wir müssen diesen Prozess weiterführen.

Herr Mosar, machen Sie es sich nicht etwas zu einfach, indem Sie sagen, dass wir einfach nur weitermachen müssen wie bisher?

Mosar: Nein, das sage ich ja nicht. Aber wir sollten nicht anfangen, alles fundamental in Frage zu stellen, sondern vielmehr auf Innovation setzen. Meine Prognose: Wenn China, die Vereinigten Staaten und Europa gezielt den innovativen Motor anzünden würden, wäre der Klimawandel schnell in den Griff zu bekommen. Warum bauen wir denn keine massiven Solaranlagen in der Wüste oder riesige Windparks im Meer?

Sehovic: Jetzt fordern sie doch auch politische Gestaltung und eine steuernde Klimapolitik von oben. Dabei sind es doch gerade Kritiker wie sie, die bremsen, wenn es um den Ausbau von nachhaltigen Energien geht.

Mosar: Ich finde ja eigentlich auch nicht, dass der Staat diese Projekte leiten sollte, sondern dass man den Unternehmen den Freiraum lässt. Effektive Klimapolitik wird in den Unternehmen gemacht und nicht von Politikern.

Herr Sehovic, glauben Sie, dass Ihre Generation in dreißig Jahren den gleichen Lebensstandard genießen kann wie aktuell die Babyboomer?

Sehovic: Wenn wir Lebensstandard nicht nur materiell definieren, dann ja. Darum geht es ja beim Klimaschutz: sicherstellen, dass saubere Luft, klares Wasser und eine gesunde Natur in Zukunft nicht ein Privileg nur für Besserverdiener sind.

Mosar: Ich gebe Herrn Sehovic recht, dass wir Lebensstandard neu definieren müssen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft in kleineren Häuser leben, weniger verdienen, aber dafür auch weniger arbeiten und mehr Freizeit genießen. Aber natürlich muss das alles sozial verträglich sein im Sinne der sozialen Gerechtigkeit.

Sehovic: Jetzt sind Sie schon wieder dabei, einen Vorwand zu finden, um Klimamaßnahmen auszusetzen. Klimawandel und soziale Ungleichheiten haben strukturell die gleichen Ursachen. Aber das Problem der sozialen Ungleichheit löst man nicht durch Klimaschutz allein, sondern durch höhere Besteuerung von Kapital und hohen Einkommen. Beides gegeneinander auszuspielen, nutzt nur jenen, die den Status Quo erhalten wollen.

Herr Sehovic, Herr Mosar – vielen Dank für das Gespräch.

Pol Schock
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