Films made in Luxembourg

Wissen, Wahrheit, Wahrnehmung

d'Lëtzebuerger Land vom 31.01.2020

W – das ist der Name der neuen luxemburgischen Webserie, die seit Anfang Januar im Netz zu sehen ist. Die Folgen werden unregelmäßig auf Youtube, Facebook, Instagram hochgeladen, sodass das Interesse geweckt bleiben soll1. Nach Doudege Wénkel und Comeback widmet sich der luxemburgische Drehbuchautor Frédéric Zeimet der Rolle des Schöpfers, Drehbuchautors, Regisseurs und Produzenten in diesem Projekt. W konnte durch die Initiative Carte Blanche von der Unterstützung des Filmfonds Luxemburg profitieren. Die Macher werben für die Zugänglichkeit dieses kurzepisodigen Formats, jede Folge hat eine Laufzeit von ungefähr fünf Minuten, fünf Folgen sind bisher online aufrufbar. W wird buchstäblich als Zeitvertreib vermarktet, das Format soll en passant konsumiert werden, entsprechend heißt es da: „Faites-vous plaisir dans le train, dans la voiture, dans les embouteillages ou même aux toilettes... on est là pour vous aider à faire passer le temps“2.

W – das ist auch der Versuch, die Themenkreise Wissen-Wahrheit-Wahrnehmung mit den Klischees zu konfrontieren, die man sich über Menschen gemacht hat. Da läuft eine verwirrte Frau namens W (Catherine Elsen) allein durch den Wald, sie wird von zwei Polizisten (Fränk Grotz und Jérôme Burelbach) gestellt, die über mehrere Kindesentführungen ermitteln. W leidet unter einer sozialen Behinderung und Kommunikationsstörung, hat hohe Speicherkapazität, konzentrierte und begrenzte Interessen. Kurz: Sie hat Asperger. Ein bisschen wie „Dustin Hoffman in Rain Man (oder) Sheldon in The Big Bang Theory“, bemerkt sie, um ihre Störung zu erklären, und weist darauf hin, dass das übertriebene, medial unterstützte Klischees seien. Zumal „es so viele Formen von Autismus gibt, wie es Autisten gibt“, fügt sie hinzu. Irgendwie ist sie in diesen Fall verwickelt, sie weiß viel darüber, kann sich aber an nichts wirklich erinnern. Nicht einmal an ihre eigene Identität.

Die Wahrnehmung der eigenen Person zu verlieren, der Kontrollverlust der Identität, ist ein bewährtes Muster für einen Krimi-Plot. Zeimet arbeitet mit wechselndem Schärfefokus und erhöhter Schnittdichte, um den Zuschauer an der Orientierungslosigkeit dieser Heldin teilnehmen zu lassen. In der Thriller-Handlung von der verschwundenen Person steckt sehr häufig eine verkappte Abhandlung über Schmerz und Verdrängung. Und es ist dieses Krimi-Element, die Aufklärung eines Verbrechens, das die Spannung aufrecht erhalten soll. Entsprechend werden auch die gängigen narrativen Techniken des seriellen Erzählens benutzt, etwa der cliffhanger, um das fortwährende Momentum zu gewährleisten. Diese zwei grundsätzlichen Handlungsführungen erlauben die Kombination von Begeisterung, Aufregung und Spannung mit einem sozialkritischen Moment. Dafür wurden sogar eigens für das Projekt Recherchen angestellt und eng mit autism.lu zusammengearbeitet. Denn es sind ja gerade die vorgefertigten Vorstellungen der Polizeibeamten, die den mühsamen Prozess der Wahrheitsfindung in diesen ganz undurchsichtigen und mysteriösen Ermittlungen, der Aufklärung der Entführungsfälle, mit ihrem Üblichkeitsdenken behindern, ausbremsen.

W, einem Theaterstück ähnlich, entwickelt die Konflikte zwischen diesen drei Personen auf der Suche nach der Wahrheit so stringent wie dialogbezogen, ein möglicher Grund dafür, dass sich die kurze Laufzeit pro Folge anbietet. Dabei wirkt die überwiegende Beschränkung auf den gleichen Handlungsort, das Polizeirevier, sympathielenkend: Man ist sozusagen mit dieser W eingeschlossen, steckt in ihrer Erlebniswelt. Obschon eine standardisierte Darstellung der einzelnen Charaktere nicht angestrebt wurde, so ist doch erkennbar, dass diese Polizeibeamten nach feststehenden, filmisch tradierten Mustern gestrickt sind. Unter diesem Aspekt geht die Serie mithin in die Falle der Konvention, gegen die sie sich ja explizit richtet. W ist keine tiefgründige Reflexion über Kontrollverlust, Identität und Gedächtnis, vielmehr ein elegantes Gedankenspiel, das bewusst oder unbewusst an der Oberfläche der Erscheinungen bleibt. Bei aller konsensstiftenden Initiative zur Bewusstseinsbildung für missverstandene Bewusstseinszustände – etwas mehr an Tiefgang muss man einer so komplexen Krankheit schon zugestehen.

1 Die Serie ist abrufbar unter: facebook.com/luxwebserie; instagram.com/w._webserie/ oder youtube.com/channel/UCQNrVDH1SQWr8GYMWDvTBow

2 www.youtube.com/watch?v=G1JWOo4HAZ8

Marc Trappendreher
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