Mobilkommunikation

Vom Lieben und Leben der Leberwurst Love

d'Lëtzebuerger Land du 28.04.2011

Berlin. Prenzlauer Berg. Ein Freitagabend. Eine Szenebar. Früher war dies ein Ort der überbordenden Diskussionen, intensiven Gespräche und hitzigen Debatten. An diesem Abend jedoch herrscht absolute Stille. Und das obwohl viele Menschen in der Bar kommunizieren. Nicht miteinander, vielleicht aber übereinander. Sie sind über ihre Handys gebeugt und chatten mit Freunden in aller Welt, die längst zum globalen Wohnzimmer verkommen ist. Sie erzählen, in welcher Kultbar sie sitzen, wie der Mojito schmeckt und was sie sonst noch an diesem Wochentag erlebt haben. Antworten gibt es aus Rom, Rio und Remich.

Das Mobiltelefon ist die Kommunikationsschaltzentrale – Dank der drahtlosen Verbindungen in alle Welt, hat diese die heimischen vier Wände verlassen und reduziert die erlebte Wirklichkeit auf Chatten von mehr oder weniger gewöhnlichen Orten. Das Handy ist nicht mehr nur Mobiltelefon, Spielekonsole und Fotoapparat, sondern dank des mobilen Internets Schaufenster zur weiten Welt, in dem sich der Nutzer gerne, vielsagend und freizügig präsentiert. Er verrät wo er ist, was er kauft, was er mag, wen er mag und feudelt dabei mit seiner Kreditkarte durch diverse Online-Shops. Paradox wird es lediglich, wenn er über sein Handy auf Facebook als Statusmeldung postet, dass er an einer Demonstration gegen die Datenvorratsspeicherung teilnimmt und sich gegen den „Gläsernen Bürger“ des Überwachungsstaats stemmt. Auf der einen Seite wehrt er sich vehement gegen zu viel Einsicht und Durchsicht in sein Leben, auf der anderen Seite legt er selbst unaufhörlich ein Bewegungsprofil seiner selbst an. Mit dem IPhone aufgenommene Fotos werden direkt mit den zugehörigen Koordinaten an Längen- und Breitengraden versehen und über die Ortsfunktion bei Facebook lässt der Mobilsurfer alle Welt wissen, dass er sich gerade am Flughafen Luxemburg befindet. Die Deutung des Ereignisses aber bleibt beim Betrachter: Jettet er nach Paris? Kauft er eine internationale Tageszeitung? Will er Flugzeugen beim Landen zuschauen oder hat er einfach nur einen schicken und schönen Parkplatz vor den Toren der Stadt gefunden?

Der Trend in der Mobilkommunikation steht auf Social-Media-Funktio­nen, wie das deutsche Marktforschungsinstitut TNS Infratest in einer weltweit durchgeführten Studie herausfand. Der Nutzer möchte sich schnell, bequem und mit vielen schicken Funktionen auf Facebook, MySpace, StudiVZ oder anderen sozialen Netzwerken mitteilen und an den Statusmeldungen von Familie, Freunden und Verwandten teilhaben können. Ergänzt wird diese Entwicklung durch die steigende Nachfrage nach Video-Telefonie, Streaming und Sharing-Services. Das Handy wird mehr und mehr zum primären und einzigen Gerät – für fast alle Formen der Kommunikation, sei es mündlich, schriftlich oder bildlich. Dabei war die Bildtelefonie vor zwanzig Jahren im menschlichen Kommunikationsverhalten noch ein absolutes Ding der Unmöglichkeit. „Sehen und gesehen werden“ wurde sie mit dem Argument „Was ist, wenn der Anrufer mich im Pyjama erwischt“ abgelehnt. Heute ist es ein Muss zu sehen, mit wem man spricht, um einen Autoritätsbeweis für die Statusmeldung zu bekommen. Diese Mobilfunk-Trends zeichnen sich nicht nur auf den etablierten Märkten ab. Stieg der Anteil der Besucher sozialer Netzwerke unter den mobilen Internet-Nutzern weltweit um 16 Prozent, nahm er in Wachstumsmärkten wie Brasilien, China, Südafrika oder Indien um 24 Prozent zu. Jeder dritte ist mobil dabei.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen die Mobilfunkunternehmen breitbandige Netze installieren, die jedwedem Nutzer und jeder Nutzung gerecht werden und schnellen, ruckelfreien Zugang zum Internet bieten. Die Herausforderung an die Anbieter von Endgeräten und Diensten im Mobilfunk ist es, Musikangebote, Spiele, Bilder, Video und den Zugang zu sozia­len Netzwerken zu günstigen Tarifen anzubieten. Denn der Verbraucher hat gelernt, dass Inhalte im Internet in der Regel kostenfrei sind. Er ist nur selten bereit, in die Tasche zu greifen. Und so hat jedes App für das IPhone seine preisliche Schmerzgrenze. Dennoch wird bei der Kaufentscheidung für ein Handy inzwischen auch bewertet, wie viel Content und wie viele Apps dafür verfügbar sind, wie viel diese Kosten und wie hipp sie sind.

Am Ende dieser Entwicklung wird ein Mobiltelefon stehen, das Computer, Fernseher und Telefon in einem Gerät vereint. Möglichkeiten, von denen Captain Kirk mit seinem Kommunikator nur träumen konnte. Heute mag sich noch kein Mensch ein IPad ans Ohr halten und so bleibt der Tablet-Computer vorerst ein Zusatzgerät zum Mobiltelefon. Vorerst. Denn gerade dieses Marktsegment verzeichnet die größten Zuwachsraten und spornt die Phantasie der Entwicklungsabteilungen am meisten an. Oder andere Nischenprodukten, wie eine kleine HDTV-Kamera, die keinen Schnickschnack, nicht einmal einen ordentlichen Zoom hat, aber den direkten Draht zu Facebook, damit das gerade gefilmte Erlebnis direkt und ohne Umwege den Menschen in aller Welt mitgeteilt werden kann. Telefonieren kann man mit der Kamera nicht, aber das ist ohnehin überflüssig, denn über die „Gefällt mir“-Rückmeldungen bekommt man im Display der Filmmaschine angezeigt, ob man den Nerv der Freunde getroffen hat.

Die F2F-Kommunikation, das „Face-to-Face-Gespräch“ kommt dabei aus der Mode und wird – wie an jenem Abend in Berlin – auf bloßes Beieinandersitzen reduziert. Nonverbale „Unterhaltungen“ sind auch konfliktärmer, denn missliebige Kommentare werden durch den sozialen Druck in virtuellen Freundeskreisen verhindert. Wessen Meinung nicht passt, wird von der Liste gestrichen und ist fortan von allen persönlichen Entwicklungen und Erlebnissen des Nutzers ausgeschlossen. Es bleibt lediglich die gewünschte und gewollte Reaktion. Statt eines ausgeklügelten Hin und Her der Argumente reicht ein simples „Gefällt mir“, um die eigene Sicht der Dinge kundzutun. Dieser Zuspruch lässt sich dann aber an jedem Ort der Welt abrufen.

Wem das nicht genügt, der kann sich nun in Deutschland „Aka-Aki“ anvertrauen. Dieser neue Mobildienst zeigt Profile von Menschen an, die sich in der Nähe des eigenen Handys befinden. So lassen sich neue Freundschaften knüpfen, verspricht die Pressemeldung des Diensteanbieters, oder heiße Liebesabenteuer starten. Zielgruppenspezifisch gibt es für schwule Nutzer „Jack D“ – als IPhone-App universell verfügbar, außer in Ländern mit schwulenfeindlichem System. Dort werden andere User auf einsame Inseln im Südatlantik verortet. Beide Dienste zeigen – auf den Meter genau – welcher weitere Nutzer sich im Bannkreis befinden. „Hengst78“ ist 659 Meter entfernt und kommt sekundlich näher, „SusiMaus“ hat die 20-Meter-Zone betreten. Dazu zeigt sich bei Jack D ein nettes Nutzerprofil vom Pferd, das auch über sexuelle Positionen keine Lücken lässt. Da Hottehü dann doch die Öffentlichkeit ein wenig scheut, bleibt sein Foto verborgen und es ist ein munteres Ratespiel, welcher Herr im Abstand von 659 Metern gerade Damenunterwäsche trägt.

Aka-Aki liegt näher. Der Dienst arbeitet mit der Bluetooth-Funktechnik eines Mobiltelefons. Diese Schnittstelle baut eine Verbindung zu den Telefonen anderer Anwender im Umkreis von höchstens 20 Metern auf. So erkennen sich die Handys gegenseitig. Die entsprechenden Daten lädt die Software aus der Datenbank von Aka-Aki, in der jeder Nutzer zuvor ein Profil angelegt hat. Der Dienst hält sich nicht mit Haarfarben, Beziehungsstatus und sexuellen Präferenzen auf, sondern ermöglicht es jedem Anwender, sich selbst über Sticker zu bewerten – etwa ob man eine „Leberwurst-Love“ ist. Der Dienst macht so die Online-Kontaktbörse mobil. Denn die­se seien ja so was von 2007, wie Roman Hänsle, Sprecher des Unternehmens, sagt. „Wenn sich deren Mitglieder real treffen wollen, müssen sie erst umständlich ein Nutzertreffen organisieren. Aka-aki ist dagegen ein permanentes Nutzertreffen.“ Hat man seine Chance im 20-Meter-Bannkreis verpasst, kann man sich zu Hause am Computer anschauen, wen man am Tag hätte alles treffen können. Diese Funktion sei vor allen Dingen für Messe- und Partybesucher wichtig als digitale Ergänzung zur Visitenkarte, die das jugendliche, technikaffine, mobilfunkaufgeschlossene Publikum auch heute noch gerne auf Partys und Feiern verteilt. Die Branche jedenfalls sieht in diesen Diensten ihre Zukunft und kürte Aka-Aki auf der diesjährigen IT-Messe Cebit als „Innovativste Idee“. Ob sich Gäste der Berliner Bar auch über Aka-Aki getroffen haben, blieb offen, auch, ob sie mit dem angetroffenen Gegenüber nicht ganz zufrieden waren und sich über Jack D im weiteren Umkreis nach neuen Bekanntschaften Ausschau hielten. Bei allen Verbindungen, die mobile Telefonie mit all ihren Facetten ermöglicht, steigert sie vor allen Dingen eines: die Unverbindlichkeit der menschlichen Kommunikation.

Martin Theobald
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