Deutschland und Europa

Koalitionäre der Karibik

d'Lëtzebuerger Land vom 06.10.2017

Zugegeben: Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf hat Europa kaum eine Rolle gespielt. Deutschland war viel zu sehr mit sich selbst. Nun erwarten die etablierten Parteien die Landtagswahl in Niedersachsen am nächsten Samstag, um sich dann endlich wieder dem Regieren zu widmen. Das Land stimmt sich derweil auf eine Jamaika-Koalition ein. Das bedeutet aber auch Koalitionsverhandlungen, die lange andauern und schwierig sein werden, denn zu sehr sind die vier Parteien – in alphabetischer Reihenfolge: CDU, CSU, FDP und Grüne – darauf bedacht, die eigene Wähler nicht bereits im Prozess der Regierungsbildung zu verprellen. Dass Europa jedoch ein wichtiges Thema bei den Koalitionsverhandlungen sein wird, dafür hat der französische Präsident Emmanuel Macron mit seiner europapolitischen Grundsatzrede gesorgt, kaum dass die Bundestagswahl vorüber war.

Die Christdemokraten und Christsozialen setzen in ihren europapolitischen Positionen auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin. Der deutsch-französische Motor der Europäischen Union soll das Bündnis aus seiner derzeitigen Sinnkrise führen. Dazu hieß es bereits im gemeinsamen Wahlprogramm: „Wir sind bereit, mit der neuen französischen Regierung die Euro-Zone schrittweise weiterzuentwickeln, zum Beispiel mit der Schaffung eines eigenen Währungsfonds.“ Die Vergemeinschaftung der Schulden wird jedoch ausgeschlossen. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit soll solidarisch gelöst werden. Aber all das nur, „wenn gemeinsam vereinbarte Regeln wie der Stabilitätspakt eingehalten werden.“ Im Verhältnis zur Türkei setzt die Union auf eine Vertiefung der Beziehungen. „Eine Vollmitgliedschaft der Türkei lehnen wir aber ab, weil

sie die Voraussetzungen für einen Beitritt nicht erfüllt.“ Einem Europäische Verteidigungsunion und einem Europäischer Verteidigungsfonds stehen CDU und CSU aufgeschlossen gegenüber.

Die Liberalen haben in ihrem Wahlkampf auf den einfachen Slogan „Trendwende“ gesetzt. In der Europapolitik bedeute dies: weg „von Niedrigzinspolitik, Investitionsstau und der Vergemeinschaftung der Schulden hin zu Eigenverantwortung, soliden Staatsfinanzen und Wachstum.“ Sie lehnen einen europäischen Finanzausgleich jedweder Ausgestaltung ab. Das Credo der FDP und gleichzeitig Mahnung an die übrigen EU-Staaten: „Regeln müssen eingehalten werden.“ Nach Wunsch der Partei soll eine unabhängige EU-Institution geschaffen werden, die wirksam über die Einhaltung der Regeln der Währungsunion wacht. Die Freien Demokraten verstehen die EU in erster Linie als ökonomisches Projekt. In Punkten zur Weiterentwicklung der Union halten sie sich zurück: Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten beendet werden und die europäische Integration würde durch ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ vereinfacht.

„Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten darf nicht der Standardmodus, muss aber möglich sein“, heißt es hingegen bei den Grünen. Ihre Forderungen: Der Euro-Rettungsschirm ESM soll in einen Europäischen Währungsfonds umgewandelt werden, der durch das Europaparlament kontrolliert wird. In den Beziehungen der EU zur Türkei sei eine „grundlegende Neuvermessung“ der Beziehungen nötig. Weitere Verhandlungen soll es erst dann geben, „wenn die Türkei die Kehrtwende zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vollzieht“. In der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik möchten die Grünen sich für eine verstärkte Zusammenarbeit und „Integration der Streitkräfte“ einsetzen. In Paris sehen sie einen „kraftvollen Partner für Reformen in Europa.“ Macron habe zu Recht ein Ende der Sparpolitik und eine große europäische Investitionsoffensive gefordert.

Zwischen den möglichen Koalitionären in einem Jamaika-Bündnis gehen die Vorstellungen zu Europa weit auseinander. Zwar lobt Bundeskanzlerin Merkel Macron für dessen europapolitische Initiative, doch darf nicht übersehen werden, dass Merkel mit der Maastricht-Union fremdelt. Die EU in ihrer westeuropäischen Prägung ist nicht ihr Ding, eine Vertiefung der Union wird es mit ihr sicherlich nicht geben. Sie stimmt mit Macron darüber ein, dass an Europa weiter gearbeitet werden müsse. Mehr aber auch nicht. In den Koalitionsverhandlungen wird sie sich die Schnittmenge entweder mit den Grünen oder mit der FDP suchen, um den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.

Dennoch werden sich die europaskeptischen Liberalen nur schwerlich durchsetzen können, wenn es etwa um den europäischen Währungsfonds geht, den sich Grüne und Christdemokraten vorstellen können. Die FDP muss in punkto Europa Kompromisse machen, die Grüne Abstriche. Eine gemeinsame Verantwortung der Finanzpolitik der EU-Mitgliedsstaaten wird vor allen Dingen am Widerstand der FDP scheitern. Für die Koalitionsverhandlungen bedeutet das: Es wäre im Sinne der Europäischen Union, wenn sich die Grünen in vielen Punkten durchsetzen könnten. Die FDP wird sich dem entgegenstellen. Die Union wird dabei Konflikte vermeiden und Entscheidungen verzögern. Damit ist es nicht unwahrscheinlich, dass künftig nicht Angela Merkel, sondern Emmanuel Macron die Führungsrolle in der EU zufallen wird.

Martin Theobald
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