Mit der Globalisierung kommen neue kulinarische Einflüsse. Der Beruf des Kochs wandelt sich. Ein Besuch in der Diekircher Hotelschoul

Mit dem I-Pad kochen

d'Lëtzebuerger Land du 13.03.2020

„Die Basis bleibt die Basis. Darauf bauen wir flexibel auf“, erklärt Alain Hostert das Prinzip der dreijährigen modularen DAP-Ausbildung zum Koch. Der kräftige Mann in weißer Küchenuniform, Kochmütze und mit dem gewinnenden Lachen ist der Chef der Kochausbildung an der Diekircher Hotel-schoul, oder wie sie heute heißt: École d’Hôtellerie et de Tourisme (EHTL).

Wer Koch in Luxemburg sagt, denkt an Quetschetaart, Bouneschlupp oder Judd mat Gaarddbounen. Und die beide letztgenannten Traditionsgerichte stehen in der Tat auf dem Speiseplan, als wir ins Untergeschoss zu den vier Lehrküchen gehen, wo emsig rührende und schnippelnde Kochschüler dabei sind, das Mittagessen vorzubereiten. Bei den jüngeren geht es hektischer zu, einer ruft: „Ist das Gemüse schon fertig?“, und Hostert erinnert mahnend an die Abgabezeit. Die Älteren arbeiten konzentriet vor sich hin, jeder hat eine Aufgabe. Hostert hat selbst eine 2e, für das Interview hat er sie allein gelassen. Jetzt geht er mit den Schülern noch einmal alle Positionen durch. Denn Essen zuzubereiten ist vor allem das: eine Gemeinschaftsarbeit, bei der Handgriff sitzen muss. Sonst wird das Essen verkocht oder zu kalt aufgetischt.

„Die Schüler müssen wissen, wie sie Soßen anrühren. Sie brauchen Techniken, sie müssen Grundwissen haben über Nahrungsmittel und ihre Zubereitung. Das lernen sie hier“, sagt Hostert. Die angehenden Köche lernen zudem Hygienevorschriften, Lebensmittelkunde, sowie Soft skills wie im Team arbeiten, Höflichkeit und Arbeiten unter Druck. Auch mit den neusten Kochtrends kommen sie in Berührung: Denn der Kochberuf ist nicht mehr das, was er früher einmal war. Die Essgewohnheiten haben sich verändert. „Die Küche ist leichter geworden“, sagt Hostert. Vegetarismus und Veganismus machten auch vor Luxemburg nicht halt; „allerdings schwankt die Qualität stark“, so Chefkoch Hostert.

Schaut man auf die Menütafeln der Schüler, die an den Küchentüren angeschlagen sind, so steht darauf stets eine vegetarische Option. Das ist mehr, als man von vielen Restaurants in Luxemburg sagen kann, die noch immer nicht begriffen haben, dass es außer Menschen mit Allergien und Unverträglichkeiten immer mehr Kundschaft gibt, die aus Überzeugung bestimmte Dinge vermeidet. In einer der Großküchen im Keller lässt sich ein erwachsener Koch vom Härebierg in die vegetarische Küche einführen. Denn auch in der Armee nimmt die Zahl der Soldaten zu, die kein Fleisch essen.

Die Öffnung gegenüber Neues ist Prinzip. „Küchen und Kochstile waren schon immer von anderen Ländern und Kulturen beeinflusst“, sagt Marc Hostert. Mit der Globalisierung und dem Wissen über Nahrung erweitere sich der kulinarische Horizont ständig. „Es gibt gegenläufige Trends, wie das nachhaltige Kochen, das die regionale Küche und Lebensmittel aus der Region betont.“ Hostert hat die Leidenschaft fürs Kochen von seiner Mutter geerbt und war früher selbst Schüler an der Hotelschoul. Heute ist er Lehrer und leitet in seiner Freizeit die europäische Sektion der Kochvereinigung – ein Berufsverband, der weltweit über zehn Millionen Köche repräsentiert. Um die Schüler mit neuen kulinarischen Trends in Kontakt zu bringen, veranstaltet die EHTL themenbezogene Kochabende oder lässt Gerichte von zuhause nachkochen: Die Schülerinnen und Schüler stammen aus über 60 Nationen.

Gastfreundlichkeit prägt Alltag und Räumlichkeiten der Schule: Restaurant und Empfang wurden frisch gestrichen und neu eingerichtet. Dadurch wirkt alles größer, freundlicher, heller. Die Korridore zieren aufgestapelte Koffer und schön arrangierte Kochutensilien. Einige Schüler sind im Gebäude im Anzug unterwegs: „Das sind unsere Examensschüler“, erklärt Michel Lanners, Direktor der einzigen Hotelschule im Land. Dass die Schüler sich adrett kleiden, ist vorgeschrieben „Wir bringen ihnen Gastfreundschaft, Haltung und, ja, auch Benehmen bei“, sagt Lanners.

Was altmodisch klingt, erlebt derzeit eine Renaissance: Firmen mit Kundschaft in aller Welt verlangen Höflichkeitsformen, mit der sich heutige Generationen schwerer tun. „Namhafte Unternehmen stellen unsere Schüler als Servicepersonal ein. Das heißt, wir liegen richtig“, sagt Lanners nicht ohne Stolz. Der ehemalige Ministerialbeamte aus dem Erziehungsministerium würde, neben Hotelfach und Tourismus, gerne eine Ausbildung ins Programm aufnehmen, die deren Tugenden in sich vereint: den Butler. „Bedarf dafür gibt es“, ist Lanners überzeugt: Nicht wie früher beim Adel; auf Kreuzfahrtschiffen, in Hotels, in Botschaften und Haushalten werden sie eingesetzt. Ein anderer Beruf, den Lanners sich wünscht, sei der Sommelier. „Das würde den Luxemburger Wein aufwerten“, ist er überzeugt.

Seit Monaten ist der Direktor unterwegs, um dafür die Werbetrommel zu rühren, bei Winzern, bei Gemeinden und Politikern. Aber um eine eigene Ausbildung auf die Beine zu stellen, braucht es kritische Masse, also ausreichend Jungen und Mädchen, die sich einschreiben würden. Es dauert, die Lobby, die Finanzierung und schließlich das Knowhow, Lehrpersonal und die Programme, zusammenzutragen.

Für die Schule wäre eine solche neue Ausbildung ein wichtiges Zeichen, denn zum einen könnte sie sich weiterhin als feste Größe für Innovation und Fortschritt im Hotel- und Gaststättengewerbe verankern. Luxemburg ist ein Weinland. Zum anderen ist es nicht lange her, dass Gerüchte um eine Schließung der 350 Schüler zählenden Einrichtung für viel Verunsicherung sorgten. Lanners hatte vor wenigen Jahren, als Ministerialbeamter, sogar selbst für eine Schließung plädiert, im Glauben, verschiedene Ausbildungen seien besser zentral anzubieten. Erst als er den Sektor für eine Bestandsaufnahme genauer unter die Lupe nahm, erkannte er das Potenzial und wie wichtig die EHTL für die Region und das Land ist: „Es ist die einzige Schule dieser Art in ganz Luxemburg“, sagt er. Sein Bericht, der die Wachstumspotenziale und den Nachwuchs in der Branche untersucht, hat das Ministerium noch immer nicht veröffentlicht, zum Unmut des Verbands des Hotel- und Gaststättengewerbes Horesca. Die Schule steht trotzdem nicht still. Sie hat binnen kurzer Zeit Bemerkenswertes geleistet. Das Land war vor zwei Jahren zu Besuch: Da hing noch der 1980-er Jahre Mief im Foyer und das Gebäude war mangels Beschilderung nur mit Ortskenntnis auffindbar. Die Atmosphäre wirkte angespannt, manche Lehrer eingeschüchtert.

Das ist Vergangenheit. Die heutige EHTL zeigt sich modern und offen, auch wenn die Architektur der Modernisierung gewisse Grenzen setzt. „Wir haben uns geschaut, was wir mit nicht allzu großer Investition zügig verbessern konnten“, erzählt Hostert. Das Ergebnis kann sich zeigen: Eine moderne Caféteria mit frischen Croissants, gutem Kaffee und selbstgemachten Sandwichs lädt zum Verweilen ein, die Klassen sind größtenteils mit I-Pad ausgerüstet, auch wenn das W-Lan noch nicht überall optimal funktioniert und nicht bis in den letzten Winkel des Gebäudes reicht. In den neuen Kühlräumen der hauseigenen Schlachterei lagern Grundsoßen, mit Kräutern zubereitete Räucherbeine und andere Schlemmereien.

In der Patisserie demonstriert der Chefpatissier derweil den Einsatz digitaler Technologien: Auf den Bildschirm getippt und ein Film läuft an, in dem ein angehender Bäcker dabei ist, einen Teig vorzubereiten und die einzelnen Schritte zu erklären. „Wir haben Tutorials selbst aufgenommen. Die können Schüler nachhause nehmen und nachkochen.“ Bei den Jugendlichen sind die Tutorials beliebt: Hier kann nachgekocht, bei Bedarf der Film angehalten, auf den digitalen Arbeitsseiten kommentiert werden. Die Schüler müssen weniger Bücher schleppen und nicht mehr jedes Rezept notieren.

Was vielleicht fehlt, sind mehr Projektarbeiten. Es gibt sie, aber im Unterrichtsalltag dominieren noch klassische Lernansätze, wenngleich digital unterstützt. Die eigene Kreativität der Schüler spielt vor allem bei kulinarischen Soirees oder wenn sich zusammen auf eine Reise vorbereitet wird, wie die zur Weltausstellung in Dubai, zu der 25 Millionen Besucher erwartet werden und wo Schüler der Hotelschoul neben anderen für die Verköstigung im Luxemburger Pavillon zuständig sein und auf Kollegen aus der Schweiz und den Emiraten treffen werden. Die Vorfreude und das Lampenfieber sind groß.

Ines Kurschat
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