Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Drei historische Strategien

d'Lëtzebuerger Land du 27.03.2020

„C’est impossible, tout le monde sait qu’elle a disparu de l’Occident“, heißt es in La Peste. „Oui, tout le monde le savait, sauf les morts.“ Seuchen waren im öffentlichen Bewusstsein etwas, das im Mittelalter oder in Afrika Schrecken verbreitete, was für viele dasselbe ist. Lux-Development und Luxembourg Air Rescue sind das Ablassgeld für die Sünde, dem fremden Unglück aus der sicheren Distanz jenseits des Mittelmeers zuzusehen.

In einem Land, das keine militaristische Tradition besitzt, um die ganze Kriegsmetaphorik der Immunologie weiterzuspinnen, gibt es historisch drei Strategien, um auf die Corona-Seuche zu antworten. Etwa das liberale Vertrauen, dass der Markt, gewerbliche Unternehmen, selbstständige Ärzte, Privatlabors, Zusatzversicherungen und die App eines Start-ups die Seuche am besten bekämpfen, weil der Staat nun einmal schwerfällig und unproduktiv sei. Davon hört man nicht einmal mehr bei Handelskammer, AMMD und Aca.

Der OGBL, der seit Jahrzehnten gegen modische Angriffe auf die allgemeine öffentliche Gesundheitsversorgung kämpft und nun recht behält, hatte kurz für die sozialdemokratische Strategie plädiert und eine Tripartite verlangt. Aber der Pre-
mierminister bedeutete ihm, dass die Regierung in der Krise keine Zeit habe, um mit Gewerkschaftsfunktionären und Lobbyisten herumzusitzen.

Die altbekannte christlich-soziale Variante setzt auf den Paternalismus: Das Volk soll ruhig schlafen, der schwarze Domherr als Verkörperung von „Papa Staat“ kümmert sich. Diese Strategie hat soeben eine bis vor wenigen Tagen unvorstellbare Radikalisierung erreicht: Die Regierung befiehlt der Bevölkerung: „Bleift doheem!“, die Polizei leert die Straßen, das Parlament tritt einstimmig seine Vollmachten ab.

Dass der Paternalismus nun Maternalismus geworden ist und von einer sozialdemokratischen Ministerin verkörpert wird, tut wenig zur Sache. Für Gesundheitsministerin Paulette Lenert ist die Seuche keine Metapher wie für Susan Sonntag, „to express a sense of what was wrong socially“, keine Rache von Gott Vater oder Mutter Natur, was wiederum dasselbe ist. Für sie ist das Coronavirus eine logistische Herausforderung, um medizinisches Personal und Material sowie medizinisches Ersatzpersonal und Ersatzmaterial zu beschaffen, Geld spielt keine Rolle.

Während der Premierminister wieder den Mummentréischter gibt und der Wirtschaftsminister stottert, verbreitet die Gesundheitsministerin freundlich resolut technokratischen Optimismus. Die ehemalige Anwältin und Richterin glaubt an die Notwendigkeit, Regeln zu setzen und Regeln zu befolgen; die ehemalige Erste Regierungsrätin im Ministerium des öffentlichen Dienstes weiß, dass nur ein starker Staat uns retten kann.

So wird am Ende vielleicht Arbeitsminister Dan Kersch uns gerettet haben. Weil er kurz vor Ausbruch der Seuche half, den lustlosen Gesundheitsminister Etienne Schneider zum Ausgang zu drängen, und statt einer ehemaligen Weinkönigin eine erfahrene Beamtin zur Ministerin machte.

Romain Hilgert
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