Der „Vertrauensmann“ des Premiers, Laurent Loschetter, löst beim 100,7 eine Reform aus, die weder er noch Xavier Bettel wollte

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Rundtischgespräch zum 25. Jubiläum
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d'Lëtzebuerger Land vom 05.10.2018

Sozio – Bettel 1:0 Staats- und Medienminister Xavier Bettel (DP) versuchte am Mittwoch den geordneten Rückzug. Anstatt sich dem Risiko direkter Interviews auszusetzen, verschickte er nachmittags eine zweieinhalb Seiten lange schriftliche Stellungnahme, um auf eine morgens ausgestrahlte Medienchronik der 100,7-Chefredaktion zu reagieren. Darin zog er die Reform des Reglements, durch das der Sender vor 25 Jahren gegründet wurde, die eigentlich am heutigen Freitag durch den Regierungsrat sollte – ohne dass sie zuvor innerhalb des Verwaltungsrates des öffentlichen Senders diskutierte worden wäre – von der Tagesordnung zurück. „Le ministre des Communications et des Médias a par ailleurs décidé que l’adoption du réglement (...) ne se fera qu’après une consultation dans un cadre élargi, avec les responsables de la radio socioculturelle ainsi qu’avec la Chambre des Députés, permettant d’explorer des pistes en ce qui concerne la composition du conseil d’administration en vue de garantir une indépendance et une transparence encore plus poussées.“

Dass Bettel nun eingestehen muss, was er am Sonntag noch vehement bestritt, nämlich dass die aktuellen Besetzungsmodalitäten des Verwaltungsrats – der Medienminister entscheidet darüber allein nach Gutdünken – ein Risiko für die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Radiosenders darstellen, dafür hat er dem 100,7-Verwaltungsratspräsidenten Laurent Loschetter zu danken. Obwohl es mittlerweile Zweifel daran geben darf, ob Loschetter strictly speaking überhaupt Verwaltungsratspräsident von 100,7 ist. Aber der Reihe nach.

Erste Detonation Am vergangenen Donnerstagabend, knapp zwei Tage vor den Feierlichkeiten zum Jubiläum, gab 100,7-Direktor Jean-Paul Hoffmann, seit 2013 im Amt, seinen Rücktritt bekannt. Er überraschte damit wahrscheinlich in unterschiedlichem Ausmaß seinen Verwaltungsrat und seine Belegschaft, die beim Verlesen der Nachrichten am Freitagmorgen ratlos schien. Hoffmann, ein diskreter Mensch, der in der Öffentlichkeit kaum Emotionen zeigt, ließ sich am Sonntag noch beim Rundtischgespräch mit Bettel und Editpress-Chef Jean-Lou Siweck, vom Moderator Maurice Molitor keine schlüssige Aussage über sein Motiv entlocken. Es sei nun ein guter Zeitpunkt, so Hoffmann.

Diese Haltung ließ viel Spielraum für Spekulationen, und so mutmaßte das Tageblatt am Wochenende, er sei gegangen, weil er sich bei der Nachfolge von Programmchef Claude Mangen nicht habe durchsetzen können, der durch den ehemaligen RTL-Wettermoderator Yann Logelin ersetzt wird. Das stimmt nicht, denn aller Vorurteile zum Trotz ging Logelin, der auf Vorschlag Laurent Loschetters spät ins Rennen um den Posten einstieg, als Favorit aus den Gesprächen mit den letzten drei Kandidaten hervor. Darüber herrschte laut Land-Informationen zwischen Jean-Paul Hoffmann, Chefredakteur Jean-Claude Franck und Musikchef Yves Stephany Einstimmigkeit, bevor der Verwaltungsrat am 7. September seine Zustimmung zur Einstellung Logelins gab. Doch diese Theorie schien manchen sehr plausibel, weil es in den Hoffmann-Jahren beim Sender viele Personalwechsel gab. Über ein Dutzend Mitarbeiter verließen das Haus, was durchaus den Eindruck erweckte, der neue Direktor habe die Belegschaft verschreckt. Aber nach Jahrzehnten unter Fernand Weides musste jeder neue Radio-Chef mit neuen Ideen und Projekten die Mitarbeiter erschrecken. Unter Hoffmann wandelte sich der Radiosender zum Radiosender mit digitalem Auftritt, was von den Mitarbeitern ein Umdenken und andere Arbeitsmethoden verlangte. Das verweigerten einige wenige und gingen. Andere gingen schlicht in Rente, beziehungsweise zurück an die Uni.

Ich so: völlig unabhängig, er so: Treueschwur, Blutsbrüder Warum also kündigte Hoffmann? Das Festtagsprogramm am Sonntag gab darüber durchaus Aufschluss. Laurent Loschetter, vor etwas mehr als einem Jahr von Bettel als Verwaltungsratspräsident nominiert, gab aufgrund eines Bandscheibenvorfalls sein Jubiläumsinterview am Krankenbett. Ob es die Schmerzen waren oder die Schmerzmittel – er brüstete sich so schamlos des Nepotismus, dass einem beim Zuhören das Frühstücksbrot im Halse stecken blieb. Loschetter gestand geradezu stolz, keinerlei Kompetenzen für das Mandat mitgebracht zu haben, erklärte, er sei seit über 30 Jahren mit Bettel befreundet und der habe ihn als „Vertrauensmann“ für den Posten nominiert. Er erläuterte, sein Verständnis vom Verwaltungsrat weiche von der Wörterbuchdefinition ab, gab damit offen zu, dass er sich gerne ins Geschäft einmischt. „Er [Bettel, Anmerkung der Redaktion] weiß, wenn ich etwas anfange, bringe ich es zu Ende. [...] So wie im Mudam.“

Firwat spillt dir net méi Lëtzebuerger Musek? Spätestens beim Stichwort „Mudam“ musste es dämmern, dass Hoffmanns Verhältnis zum Verwaltungrat und dem Minister schwierig war und er es möglicherweise vorzog, aus eigenen Stücken zu kündigen. Denn als RTL-Télé vor zwei Jahren Mudam-Direktor Enrico Lunghi fragte, warum er nicht mehr Luxemburger Künstler ausstelle, er mit der Reporterin stritt, daraufhin öffentlich „gelyncht“ und von Bettel direkt kaltgestellt wurde, übernahm Mudam-Verwaltungsratsmitglied Laurent Loschetter nicht nur interimistisch die Museumsleitung, sondern durfte sogar Prinzessin sein, als er statt der Verwaltungsvorsitzenden, Erbgroßherzogin Stéphanie, Lunghis Nachfolgerin vorstellte.

RTL erhielt wenig später einen neuen Konzessionsvertrag, der vorsieht, dass der Staat das Luxemburger RTL-Fernsehprogramm ab 2021 mit zehn Millionen Euro jährlich bezuschusst. Parallel zu diesen Geschehnissen verhandelte Hoffmann die mehrjährige Konvention zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Radiosenders 100,7 mit dem Staatsministe­rium, die zwar auf eine Erhöhung der Mittel hinauslief auf 6,85 Millionen Euro 2023, aber weniger großzügig ausfiel.

Expresszug nach Ankara, via Warschau und Budapest? Xavier Bettel hatte Loschetters Aussagen am Sonntag offensichtlich nicht gehört, bevor er zum Rundtischgespräch beim 100,7 erschien. Denn als dort Jean-Paul Hoffmann neutral erklärte, dass der Sender nicht gebührenfinanziert sei, sondern aus dem Staatshaushalt, und daher regelmäßig beim Medienminister um Geld fragen müsse, dieser außerdem allein über die Besetzung des Verwaltungsrats entscheide und dies das Risiko der politischen Einflussnahme berge, gab sich Bettel unschuldig. Er könne sich eine Entwicklung wie in Polen oder Ungarn „in Luxemburg nicht vorstellen“, so der Premier, aber eine Garantie hätte er nicht. Dann stieg seine Stimmlage ein paar Oktaven, als er sich gegen den nicht geäußerten Vorwurf wehrte, Mandate an Mitglieder seiner Partei zu verschachern. „’t ass witzech. Sobald ich jemanden nominiert habe, erhielt er einen DP-Stempel. Laurent Loschetter hat mit meiner Partei nichts am Hut.“ Das war natürlich alles andere als witzig, vielmehr blanker Hohn, weil Loschetters persönlicher Treueeid Bettel gegenüber eine DP-Mitgliedschaft völlig überflüssig macht und ihn als Verwaltungspräsidenten einer öffentlichen Sendeanstalt disqualifiziert. Dass Bettel am Mittwoch sein neues 100,7-Reglement in Erwartung einer (bisher verweigerten) breiten Diskussion über die Besetzungsmodalitäten zurückzog, belegt, dass er das ähnlich sieht.

Spielt ein bisschen Radio Jean-Paul Hoffmanns zweites großes Anliegen, neben dem Risiko der politischen Einflussnahme via Mandats- und Budgetvergabe, ist der Umstand, dass das öffentlich-rechtliche Radio mit seinen Sendungen und Veröffentlichungen in luxemburgischer Sprache bald die Hälfte der multikulturellen Bevölkerung des Landes gar nicht erst erreicht. Auf beide Probleme weisen auch die Experten anderer europäischer Sendeanstalten explizit hin, die 100,7 kürzlich einer Peer Review unterzogen.

Am Sonntagmorgen kokettierte Xavier Bettel anfangs noch damit, dass seine Partei dem Sender in seinen Anfängen nicht so freundlich gesinnt war (die DP versuchte, ihn 1996 via Gesetzesvorschlag abzuschaffen). Dann erklärte er, Schritt für Schritt, zum Mitschreiben, wie er als Medienminister 100,7 an die Leine nimmt und ganz konkret verhindert, dass der Sender seinen öffentlichen Auftrag ausführen kann. Denn er bestätigte nicht nur, dass ihm die 100,7-Direktion während der Verhandlungen zur Finanzierungskonvention ein konkretes Projekt unterbreitet hatte, um zusätzliches Personal und Finanzmittel zu beantragen, um Programm in einer Fremdsprache anbieten zu können. Er erklärte auch klar und deutlich, dass er dies abgelehnt hat, um dem Privatsender L’essentiel Radio der Editpress-Gruppe, an dem sich RTL durch die Hintertür beteiligt hat, den Vortritt zu lassen. Gerade „einen Monat“ nachdem er L’essentiel Radio eine Frequenz für einen französischsprachigen Sender gegeben hatte, so Bettel, sei der Antrag von 100,7 gekommen. Da sei es „nicht opportun“ und „nicht Fair-Play“ gewesen, das Business-Modell des Privatsenders durch ein öffentliches französischsprachiges Angebot in Frage zu stellen, aber „keine politische Entscheidung“, wie er hinzufügte. Dabei musste Bettel und seinen Mitarbeitern in der Medienabteilung lange vor der Lizenzvergabe an L’essentiel klar gewesen sein, dass man beim 100,7 das Programmangebot um andere Sprachen ausbauen wollte, um die gesamte Bevölkerung informieren zu können. Denn diese Pläne hatte Jean-Paul Hoffmann bereits bei seiner Amtsübernahme und auch ein Jahr später im Land (08.08.2014), sehr deutlich und konkret geäußert.

Zweite Detonation Weil auch sie ratlos waren, warum Jean-Paul Hoffmann kündigte, begannen Chefredakteur Jean-Claude Franck und seine beigeordnete Chefredakteurin Pia Oppel eigene Recherchen, die am Mittwochmorgen in der Veröffentlichung einer geharnischten Medienchronik gipfelten. Darin stellten sie klar, dass sich bisher niemand direkt in die Berichterstattung eingemischt hatte. Doch sie berichteten von den Reformplänen Bettels, die darauf abzielten, die Amtszeit des 100,7-Direktors zeitlich auf eine Legislaturperiode zu begrenzen, während die Befugnis, Verwaltungsratsmitglieder zu benennen, weiterhin ohne einschränkende Kriterien beim Medienminister bleiben sollte. Zum Vorentwurf des Reglements hatte Hoffmann im Juli Kritik geäußert, weil das Gleichgewicht zwischen Direktor auf der einen Seite, und dem Medienminister und dem von ihm eingesetzten Verwaltungsrat auf der anderen Seite, riskiere verloren zu gehen. Bedenken, die erst nach den Eklats der vergangenen Tage im Staatsministerium Gehör fanden. Und so erklärte Hoffmann am Mittwoch schließlich seinen Rücktritt gegenüber dem Land: „Ich hatte das Vertrauen meines Hauptaktionärs nicht mehr.“

Franck und Oppel warfen in ihrer Chronik außerdem Bettels Kabinettchefs Paul Konsbruck einen Interessenkonflikt vor, weil er an den Verhandlungen über die 100,7-Finanzierungskonvention beteiligt und gleichzeitig Regierungskommissar bei RTL war. Gegenüber dem Land wehrt sich Konsbruck, der in den Nachrichtenredaktionen von Eldoradio und RTL Radio Karriere machte, bevor ihn Bettel ins Staatsministerium holte, gegen diese Vorwürfe. Er habe das Staatsexamen und den Eid als Beamter abgelegt, Medien seien eines der Dossiers, das er betreue und er vertrete in allen Positionen die Interessen des Staates. So hatte auch die ehemalige Kabinettschefin von Finanzminister Luc Frieden (CSV), Sarah Khabirpour, argumentiert, als man ihr als Staatsvertreterin in den Verwaltungsräten von CSSF und Bil Interessenkonflikte vorwarf. DP-Finanzminister Pierre Gramegna komplimentierte sie bei seinem Einzug ins Ministerium vor die Tür.

Effiziente Geschäftsleute Franck und Oppel meldeten darüber hinaus, im Verwaltungsrat gebe es Chaos, Nico Helmingers und Michèle Vallenthinis Mandate seien Anfang August abgelaufen, wobei letztere dennoch am 7. September an der Abstimmung über die Nominierung Yann Logelins als Programmchef teilgenommen hatte.

Dabei geht das Chaos im Verwaltungsrat darüber weit hinaus. Denn während das 100,7-Reglement vorschreibt, die Verwaltungsratsmitglieder des Senders würden per großherzogliche Verordnung nominiert, wurde ein solches Arrêté zur Nominierung Laurent Loschetters und Michèle Vallenthinis niemals im offiziellen Journal veröffentlicht. Lediglich im Firmenregister wurde ihr Eintritt in den Verwaltungsrat des Établissement de radiodiffusion socioculturelle eingetragen. Dort sind aber nicht nur Vallenthinis und Helmingers Mandate abgelaufen, sondern auch die von Nancy Braun, Charles Muller und Jean-Marie Haensel. Auf die Fragen, ob Laurent Loschetter und Michèle Vallenthini demnach Mitglieder im Verwaltungsrat seien, ob es überhaupt einen gültigen Verwaltungsrat gebe, wer an der Abstimmung am 7. September teilgenommen habe und ob es ein Quorum gab, erhielt das Land vom Staatsministerium bis Redaktionsschluss keine vollständigen, beziehungsweise äußerst widersprüchliche Antworten.

Zwar stellte Bettel in seiner Stellungnahme am Mittwoch bereits klar, das Mandat Vallenthinis würde nachträglich verlängert und Nico Helminger mit Verspätung ersetzt. Um zu erklären, Charles Mullers, Nancy Brauns und Gilles Reckerts Mandate würden noch laufen, bezog sich das Staatsministerium in seiner Antwort ans Land auf das Datum der Veröffentlichung ihrer jeweiligen Nominierungen im Mémorial B und fügte hinzu, die fehlerhaften Angaben im Firmenregister würden korrigiert.

Fakultativ? Oubli? Obwohl sich das Staatsministerium also in diesem Fall selbst auf das Journal officiel bezieht, behauptet es im Bezug auf die fehlende Veröffentlichung der großherzoglichen Verordnungen zur Nominierung Loschetters im Mémorial B, diese sei „fakultativ“. Das kann durchaus bezweifelt werden. Alle Nominierungen vor ihm und auch die Nominierung Jean-Lou Siwecks, sowie seine Ablösung durch Jacques Thill, die ein halbes Jahr nach der von Loschetter erfolgte, wurden jeweils fein säuberlich via Arrêté grand-ducal statuiert und im Mémorial B veröffentlicht. Wieso wären Siwecks und Thills Nominierungen in den Verwaltungsrat ein veröffentlichtes Arrêté wert, nicht aber die Nominierung eines neuen Präsidenten? Auf mehrere Nachfragen vom Land hieß es aus der Medienabteilung des Staatsministeriums schließlich, falls ein „Oubli“ im Falle Loschetter vorgelegen haben sollte, ändere das juristisch nichts. Denn die Entscheidung sei im Firmenregister nachzulesen und auf der 100,7-Webseite veröffentlicht worden. Laurent Loschetter reagierte nicht auf eine Land-Anfrage.

Ob der „Vertrauensmann“ von Xavier Bettel nun eigentlich 100,7-Verwaltungsratspräsident ist oder nicht, läuft deshalb auf die Frage heraus, ob eine großherzogliche Verordnung ein Gesetzesakt ist, der laut Gesetz vom 23. Dezember 2016 „Concernant le Journal officiel du Grand-Duché du Luxembourg“ entweder im Mémorial A oder im Mémorial B veröffentlicht werden muss (Artikel 2. besagt: „Le Mémorial B contient les textes qui ne concernent pas la généralité du public.“) oder wie das Staatsministerium meint, lediglich eine „individuelle Entscheidung“. Abgesehen davon, dass die großherzogliche Verordnung in der Verfassung als „Akt des Staatschefs“ bezeichnet wird, verdeutlicht diese Ausdruckswahl, noch einmal, warum die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder für den öffentlich-rechtlichen Sender nicht alleine dem Medienminister überlassen bleiben sollte. Hätte sein „Vertrauensmann“ ebenso vornehm geschwiegen wie der zukünftige Ex-Direktor, wäre niemandem aufgefallen, dass er die Entwicklung des öffentlichen Senders für nicht opportun hält.

Michèle Sinner
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