Die bisherige CSV/LSAP-Regierung wollte keinen Haushaltsentwurf mehr einbringen. Wieso eigentlich?

No government shutdown

d'Lëtzebuerger Land vom 22.11.2013

In den nächsten 14 Tagen soll das Land eine neue Regierung erhalten. Aber dann wird es noch immer keinen Staatshaushalt haben. Denn in der Regierungskrise während des Sommers hatte die CSV/LSAP-Regierung die Arbeiten am Haushaltsentwurf für 2014 plötzlich abgebrochen. Da das Parlament erst am 7. Oktober aufgelöst wurde und die Regierung erst am 21. Oktober zurücktrat, stellt sich die Frage, wieso die bis dahin amtierende und nicht einmal bloß geschäftsführende Regierung nicht am 2. Oktober einen Haushaltsentwurfe im Parlament einbrachte. Um so mehr als er laut europäischem Stabilitätspakt bis zum 15. Oktober der Europäischen Kommission hätte vorgelegt werden müssen.

Schließlich finden hierzulande alle paar Jahre Legislativwahlen statt. Bisher hatten die Regierungen am Ende einer Legislaturperiode den Haushaltsentwurf vor den Wahlen vorbereitet, der dann von der Nachfolgemehrheit verabschiedet wurde. Oft war ein Kredit für Änderungsanträge vorgesehen, damit die aus den Wahlen hervorgegangenen neuen Mehrheiten etwas politische Gestaltungsfreiheit üben konnten. Aber in der Regel trösteten die neuen Mehrheiten sich und ihre Wähler mit dem Hinweis, dass erst der folgende Staatshaushalt die unverwechselbare Handschrift der neuen Regierung tragen werde – und bereiteten am Ende der Legislaturperiode schon den Haushaltsentwurf der folgenden Koalition vor. Das tat Budgetminister Luc Frieden vor den Wahlen 2009, ohne dass ihm Zweifel an der demokratischen Prozedur gekommen wären. Solche Zweifel kamen ihm erst im Juli dieses Jahres, als er nach dem misslungenen Rücktritt der Regierung ankündigte, aus „Rücksicht auf die demokratischen Prozeduren“ diesmal keinen Haushaltsentwurf vorlegen zu wollen.

Im Unterschied zu anderen Legislaturperioden fanden die Wahlen dieses Jahr nicht am zweiten Sonntag im Juni, sondern erst am 20. Oktober statt. Aber 2012 war der Haushaltsentwurf am 2. Oktober im Parlament hinterlegt worden. So dass sich bis zu den Wahlen vom 20. Oktober nichts für die Regierung am Kalender geändert hätte. Es sei denn, der Finanz- und die anderen Minister hätten einander in ihren „Beichtstuhlgesprächen“ nicht mehr ertragen können oder im Sommer lieber Wahlkampf gemacht, als einen Haushalt vorzubereiten.

Hätte die Regierung Anfang Oktober einen ohnehin weitgehend von den Verwaltungen vorbereiteten Haushaltsentwurf deponiert, hätten die Berufskammern, der Staatsrat, der Rechnungshof und die Zentralbank unabhängig von den Wahlen die Zeit nutzen können, um ihre Gutachten zu verfassen. So dass nur die Arbeit des parlamentarischen Berichterstatters verzögert worden wäre. Denn durch die vorgezogenen Wahlen beginnt die ordentliche Session des Parlaments nun mit zwei Monaten Verspätung.

Die offizielle Begründung, weshalb die CSV/LSAP-Regierung keinen Haushaltsentwurfs vorlegte, ist das Bemühen, die politische Gestaltungsfreiheit der nächsten Regierung nicht einzuengen und ihr keine vollendeten Tatsachen schaffen zu wollen. Doch das Parlament ratifizierte bereits im März den neuen europäischen Stabilitätspakt, dessen Ziel es gerade ist, selbst im Fall eines Regierungswechsels jede politische Gestaltungsfreiheit in der Haushaltspolitik zu vereiteln.

Nun soll die neue Mehrheit die Vorbereitungen am Haushaltsentwurf in den kommenden Monaten abschließen, so dass das Parlament den Haushalt für 2014 in den ersten Monaten 2014 zum Gesetz machen kann. Obwohl in den vergangenen Jahren die parlamentarischen Haushaltsprozeduren so verknappt wurden, dass sich die Haushaltsdebatten auf wenige Tage im Dezember beschränken.

Um ein Government shutdown bis zum neuen Budget zu verhindern und dem Staat zu erlauben, weiter Steuern zu erheben, Lehrer zu bezahlen und öffentliche Gebäude zu heizen, brachte Luc Frieden als geschäftsführender Finanzminister am Montag einen Gesetzentwurf ein, der den Staat bis Ende April provisorisch weiter haushalten lassen soll – wenn die provisorische Regelung vor Ende nächstens Monats Gesetz wird.

Artikel 100 der Verfassung verfügt, dass alle Steuern jedes Jahr neu beschlossen werden müssen. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass die derzeit bestehenden direkten und indirekten Steuern über das Jahresende hinaus mit unveränderten Steuersätzen und Bemessungsgrundlagen erhoben werden.

Der Staat muss aber auch seinen Verpflichtungen nachkommen. Deshalb soll das Parlament der Regierung und den Verwaltungen einen provisorischen Kredit in Bruchteilen, zu einem Zwölftel pro Monat, gewähren. Das System der vorläufigen Zwölftel war während Jahrzehnten üblich, doch sind es diesmal nicht, wie früher, Zwölftel des hinterlegten, aber noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs – weil CSV und LSAP keinen eingebracht hatten. Für nächstes Jahr sollen vielmehr Zwölftel des Staatshaushalts von 2013 gewährt werden, für die Zeit von Januar bis April vier Zwölftel.

Allerdings gibt es einige Ausnahmen. Dies gilt vor allem für den wichtigen Posten der Löhne und Gehälter. Weil diese Ausgaben 2013 die Auszahlung eines 13. Monatsgehalts umfassten, das in den Anfangsmonaten 2014 nicht fällig wird, sehen die Kredite für Personalkosten lediglich vier Dreizehntel vor. Andererseits sollen sie um 2,50 Prozent an den Index angepasst und um 1,58 Prozent für Beförderungen und Biennalen erhöht werden. Nach dieser Regel werden auch die Personalkredite für konventionierte Vereine berechnet.

Andere indizierte Ausgabenposten bekommen ihre Zwölftel um 2,5 Prozent erhöht. Zu den wenigen Posten, die neu aufgenommen werden sollen, gehört die Wahlkampfkostenrückerstattung, obwohl das Wahlgesetz nur vorschreibt, dass der entsprechende Kredit bei vorgezogenen Wahlen in den Haushalt des Folgejahrs eingeschrieben werden soll. Der Kredit für die Studienbörsen wurde auf 133 Millionen Euro erhöht, um der überstürzten Gesetzesreform vom Juli Rechnung zu tragen.

Das Prinzip der vorläufigen Zwölftel ist heute eine Ausnahmeregelung. Doch nach dem Krieg war sie ein Viertel Jahrhundert lang ein fester Bestandteil der Haushaltspolitik. Bis Ende der Sechzigerjahre brachte die Regierung ihren Haushaltsentwurf in der Regel vor der Jahreswende ein, aber das Parlament debattierte das Budget bis ins neue Jahr hinein. Damals waren die Haushaltsdebatten der Höhepunkt der Kammersession, bei dem selbst jeder sonst ein Jahr lang schweigender Hinterbänkler stolz das Wort ergriff – und sei es nur, um für die Wähler in seinem Bezirk einen neuen Belag der Kantonalstraße zu fordern. Bis die Debatten abgeschlossen waren, erlaubten es die vorläufigen Zwölftel dem Staat, weiter zu haushalten, Zeit für parlamentarische Debatten zu kaufen. Heute beschränken sich die Haushaltsdebatten dagegen auf streng chronometrierte Stellungnahmen der Fraktionspräsidenten zu einem vom europäischen Stabilitätspakt vorgegebenen Budget. Da erscheinen die vorläufigen Zwölftel wie Sand im Getriebe einer gut geölten Maschinerie, in der demokratische Prozeduren wie lästige Relikte vergangener Zeiten sind.

Romain Hilgert
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