Museums-Design

The Museum is the message?

d'Lëtzebuerger Land du 22.03.2001

Game over?

"Von dem Augenblick an, als die öffentlichen Museen zu existieren begannen, wollten alle Künstler ihre Werke dort unterbringen. Heute, 200 Jahre später, quellen die Lagerräume über und das Ganze macht so keinen Sinn mehr." Diese Sätze stammen von einem der Direktoren des Pariser Centre Beaubourg. Der Direktor des Westfälischen Landesmuseums sagte mir in einem Gespräch, sein Traum für Münster sei ein Museum ohne Museum.

Könnte die Tatsache, dass selbst Museumsdirektoren den Sinn von Museen als Lagerplätze für Kunstwerke in Frage stellen, nicht bedeuten, dass die Institution sich überlebt hat? Die Tatsache, "dass im Jahr 2000 mehr große Museen gebaut werden als große Kathedralen im Jahr 1000" (Charles Jenks), besagt nichts über ihre Unabkömmlichkeit für die Kunst von heute und morgen.  Dazu eine Metapher aus dem Bereich der Botanik: Agonisierende Fichten produzieren aus einer Art Überlebensreflex  eine große Menge von Zapfen.

They will come

Statt einer kunstimmanenten Notwendigkeit, könnten die Beweggründe für den Bauboom der Museen politischer, mondäner, wirtschaftlicher Natur sein. Lisa Dennison, Chefkuratorin des Guggenheim Museum in New York schrieb dazu: "Es handelt sich um das 'build it and they will come'-Phänomen. Das bedeutet: Nicht nur das Publikum wird kommen. 'Build it', und die Sammlungen werden kommen, die Künstler werden kommen, die Programmierung wird kommen, das Geld wird kommen." Die Chancen, dass ein Museum leer bleibt, stehen also schlecht, die kleingeistigen Ängste vor einer solchen Situation sind unbegründet, und die sublime ästhetische Erfahrung eines leeren Museums wird uns leider vorenthalten bleiben.

Bilbaoism

Das neue Guggenheim in Bilbao hat seit 1997 über drei Millionen Besucher angezogen. Als  unmittelbares Resultat sind die Ausgaben der Touristen in der Stadt in zwei Jahren um 400 Millionen Dollar gestiegen. Das bedeutet für die Stadt 70 Millionen Dollar zusätzliche Steuereinnahmen pro Jahr. Die Kosten des Baus waren 95 Millionen Dollar, das ist weniger als die Hälfte der Kosten für die Tate Modern in London. Unter dem Strich also ein enormer Profit. Der Architekturtheoretiker Charles Jenks sieht Parallelen zur BSE. Der "Bilbaoism" ist in seinen Augen eine gefährliche, ansteckende Krankheit, die die Gehirne der Museumsleute verwirrt.1) Bleiben die wesentlichen Fragen: Für welche Kunst eignet sich die geniale Architektur von Frank Gehry? Welche Kunst wird in diesem Typ von Museen gezeigt? Wer entscheidet nach welchen Kriterien, was die Masse der Kulturtouristen zu sehen bekommt?

Shopping Mall

Mit der Praxis von Museen und Kunstinstitutionen, die Produktion von Kunstwerken einzuleiten und zu finanzieren, haben sie ihre Autorität als Qualitätsrichter untergraben. Nach dem Kunstwerk hat auch das Museum seine Aura verloren. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Ernüchterung ist die jüngste Möglichkeit für Modedesigner, Juweliere, Motorrad- und Autohersteller, sich per Scheck Ausstellungen in den amerikanischen Museen organisieren zu lassen: Armani und BMW im Guggenheim, Ferrari im MoMA, Cartier im Metropolitan. 

In Paris macht das Centre Beaubourg erste zaghafte Schritte in die gleiche Richtung. Am 28. November stellte es seine Räumlichkeiten der Firma Philips für eine Publicity-Aktion zur Verfügung. Lisa Dennison beschreibt in einem Vogue-Interview das Museum als "Shopping Mall der Zukunft": "Wenn unsere Besucher zwölf Dollar Eintritt bezahlen, wollen sie unterhalten und gefüttert werden wie auf einem Jahrmarkt." Unterhaltung, Fütterung, Jahrmarkt - Begriffe die mehr mit Freizeitindustrie als mit Kunst zu tun haben. Alan Kaprows philosophisch motivierte Fragen nach den Grenzen der Kunst - zum Beispiel, ob und unter welchen Umständen Zähneputzen Kunst sein kann - werden zur Zeit ausgeklammert.

Too much

Jahrmarktstimmung und Fütterung der Massen als Problematik einer Kunstinstitution wurden in Europa erstmals in den Siebziger- und Achtzigerjahren diskutiert, im Zusammenhang mit dem Centre Beaubourg in Paris. Der Philosoph Jean Baudrillard bemerkte damals: "L'idéologie même de 'production culturelle' est antithétique de toute culture, tout comme celle de visibilité et d'espace polyvalent : la culture est un lieu du secret, de la séduction, de l'initiation, d'un échange symbolique restreint et hautement ritualisé. Nul n'y peut rien. Tant pis pour les masses, tant pis pour Beaubourg.(...) L'adhésion, la curiosité (des masses) anéantit les contenus mêmes de cette culture d'animation."2 

Der Künstler Rémy Zaugg  hingegen stellte fest: "Das Dauerfest der Feuerschlucker, Jongleure und Gaukler auf dem Platz vor dem Gebäude und die fieberhafte Unruhe der riesigen technologischen, durch den modernen Flughafenmythos benebelten Eingangshalle mussten sich in der einen oder anderen Weise auf das Museum auswirken.(...) Von vorhergehenden Eindrücken übersättigt, erreicht der Besucher das Werk. Völlig verwirrt tritt er ihm gegenüber. (...) Er ist müde und unfähig zur Konzentration. Der Gang durch das Centre, um bis zum Werk zu gelangen, erschwert den Dialog mit diesem. Das Werk wird somit beinahe unnütz. Überflüssig."3 

Konsequenterweise schlägt er in einem Brief vor, die Werke aus dem Centre zu entfernen. Baudrillard geht einen Schritt weiter und gibt die Parole aus: "Faites plier Beaubourg! (...) Inutile de l'incendier, inutile de le contester. Allez-y ! C'est la meilleure façon de le détruire."

 

Interpretation

 

In seinem Buch Experience or Interpretation: The Dilemma of Museums of Modern Art spricht Nicholas Serota, der Direktor der Tate Modern in London, von einem unterschwelligen Konflikt zwischen Künstlern und Ausstellungsmachern in den Museen, den er als Konflikt zwischen Erlebnis, "Experience", und Deutung, "Interpretation", bezeichnet. Die Gestaltung einer Ausstellung ist zweifellos eine kreative Aufgabe. Die Frage stellt- sich, ob es sich nicht um eine künstlerische Tätigkeit handelt, wie dies zum Beispiel die spanische Kuratorin Rosa Martinez jüngst in einer Podiumsdiskussion in Madrid  für sich beanspruchte. 

Diese Haltung kann dazu führen, dass Kuratoren glauben, besser über das Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers Bescheid zu wissen ("Interpretation"), als die Künstler selbst. Die scherzhafte Maxime einiger Ausstellungsmacher, der beste Künstler sei ein toter Künstler, hat anscheinend in diesem Tatbestand ihren Ursprung.

 

Display

 

Man kann davon ausgehen, dass der Anspruch eines Museums darin besteht, seinem Publikum Wissen zu vermitteln. Dass dieser Anspruch von Anbeginn kritisch zu überprüfen war, zeigt das Beispiel des Natural History Museum in London. Sein Erbauer Alfred Waterhouse konzipierte es 1873 als Instrument christlicher Propaganda gegen die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Darwinismus. Folgerichtig wählte er die Architektur einer romanischen Kathedrale, dekorierte die Decke mit realexistierenden nebst engelhaften Tieren und setzte als Krönung einen triumphierenden Christus über das Reich der Natur. Welche unterschwellige Ideologie vermitteln uns die heutigen Museen mit ihrer technologischen Aufrüstung, ihren riesigen Verglasungen und ihrem penetranten Architekturdesign?

 

Pixel

 

Unter den vielen ausgestopften Tieren im Naturhistorischen Museum im Stadtgrund fällt ein Schimpanse als Sonderling auf. An der Hand hat man ihm einen Pinsel befestigt. Neben ihn hat man ein abstraktes Bild an die Wand gehängt. Pixel weisen das Bild als Reproduktion aus.

Was sagt diese Installation aus? Dass Schimpansen fähig sind, mit einem fünf Zentimeter breiten Pinsel akurate Pixel auf Papier zu bannen? Oder hat der Schimpanse nachdem er das Bild gemalt hat, eine Reproduktion davon anfertigen lassen? (Womöglich nachdem er Walter Benjamin gelesen hat.) 

Hat er vorher Pinsel, Farbe und Papier gekauft, um seinen Schaffensdrang zu befriedigen oder seine Krea-tivität unter Beweis zu stellen? Ist er Opfer eines leidenschaftlichen Kunstsammlers oder Museumsdirektors geworden, der sich nicht mit dem Werk begnügen wollte, sondern auch dessen Schöpfer besitzen wollte?

Oder soll hier die hartnäckige These illustriert werden, dass abstrakte Malerei eine Schmiererei ist, die sogar ein Affe zustandebringt? Wenn das beabsichtigt ist, dann gibt es für die Zukunft noch unausgeschöpfte Möglichkeiten: Man könnte nach der Bärenausstellung, die zur Zeit zu sehen ist, zum Beispiel in der Eingangshalle einen ausgestopften thailändischen Elefanten aufstellen, der die Kunstakademie der russischen Künstler Komar und Melamid besucht hat. 

Wie der russische Pavillion in Venedig vor zwei Jahren zeigte, sind auch Dick-häuter fähig, mit Pinsel und einem Eimer Farbe abstrakte Bilder zu malen, wenn auch ohne Pixel. 

Die große Gemeinde der abstrakten Expressionisten steht jetzt vor einem Dilemma: Soll sie gegen das Ausklammern der Tatsache protestieren, dass abstrakte Malerei das Resultat und eine Etappe der tausendjährigen Kunstgeschichte ist, oder soll sie fordern, dass das Naturhistorische Museum auch ihre Werke ausstellt... womöglich ohne ausgestopfte Künstler?

1 Charles Jenks, The Spectacular Museum - The Museum between Cathedral and Shopping Center, Facing the Contradictions, auf Italienisch publiziert in Giornale dell'Arte 195, Januar 2001

2 Jean Baudrillard, L'effet Beaubourg, Editions Galilé 1977

3 Rémy Zaugg, Brief an Dominique Bozo 1986, in: Vom Bild zur Welt, Verlag Walther König 1993

Bert Theis
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