Gibt es in Luxemburg-Stadt eine Wohnungsbaupolitik?

Die erstrangige Priorität

Lydie Polfer, Bürgermeisterin von Luxemburg-Stadt, im Januar 2020 bei der Vorstellung urbanistischer Projekte
Photo: VDL Photothèque / Charles Soubry
d'Lëtzebuerger Land du 14.02.2020

Die Schöffenratserklärung der DP-CSV-Koalition, die in Luxemburg-Stadt nach den Gemeindewahlen vom 8. Oktober 2017 gebildet wurde, ist eigentlich unmissverständlich: „En effet, le logement est une toute première priorité que le collège échevinal entend prendre en main pour permettre aux gens et plus particulièrement aux jeunes familles de trouver une assise définitive en ville“, heißt es da. Erleichtert würden deshalb „l’accession à la propriété et la location à un prix abordable. Le logement social constitue un volet tout aussi important et dans lequel la Ville investira“.

Natürlich: Während in der zweiten Runde staatlich-kommunaler Wohnungsbaupakte, die ab 2021 abgeschlossen werden sollen, den Gemeinden planerische und logistische Unterstützung beim Wohnungsbau in Aussicht gestellt wird, falls sie es alleine nicht packen, sollte man annehmen, dass Luxemburg-Stadt es alleine packt. Wer, wenn nicht die Hauptstadt – die größte Gemeinde des Landes, Wohnsitz von 122 273 Einwohnern zum Jahresende 2019, ausgestattet mit einer Gemeindeverwaltung mit mehr als 4 000 Mitarbeitern und mit Finanzreserven von über 700 Millionen Euro in der Rückhand.

Doch wie sich das konkret verhält mit der so prioritären Wohnungsbaupolitik, welche Schwerpunkte gesetzt werden und welche Grenzen es vielleicht selbst für die politisch einflussreiche Hauptstadtführung gibt, war vom Schöffenrat nicht zu erfahren. Nicht auf schriftliche Anfrage beim Pressedienst der Stadt hin, nicht auf telefonisches Nachhaken ein paar Tage später und nach alles in allem zehn Tagen Geduld. Gibt es am Ende gar keine Wohnungsbaupolitik in Luxemburg-Stadt?

Äußert der Schöffenrat sich nicht dazu, bleibt die Nachfrage bei der Opposition. LSAP-Gemeinderat Tom Krieps holt erst einmal tief Luft und sagt dann: „Ich weiß nicht, ob es eine Wohnungsbaupolitik des Schöffenrats gibt. Wir bekommen das nicht mit. Der Schöffenrat erzählt davon nichts.“ Serge Wilmes aber, der Erste Schöffe, habe 2017 als CSV-Spitzenkandidat „genau damit Wahlkampf gemacht: dass die Stadt mehr Wohnungen kaufen oder bauen lassen muss“, erinnert sich Krieps. Und sagt: „Ich denke, allen ist mittlerweile klar, dass es so nicht weitergehen kann.“ Aber ob der Wohnungsbau prioritär ist? „Das war er in der Stadt nie.“ Deshalb sei der Bestand an gemeindeeigenen Wohnungen so klein: „Das sind rund 640 Wohnungen derzeit. Unsere Fraktion hatte sich mal laut beschwert, als es 550 waren, aber das ist schon viele Jahre her.“ Die Zahl von 550 sei übrigens „jahrzehntelang gleichgeblieben, das heißt, so lange tat sich nichts!“

Alles laufen lassen – diesen Eindruck macht der Punkt „Logement“ im Koalitionsvertrag von DP und CSV nicht gerade. Denn darin wird angekündigt, anhand des Inventars der gemeindeeigenen Wohnungen eine Bewertung des Immobilienparks vorzunehmen und die geeignetste Lösung zur Schaffung neuer Wohnungen zu finden. Mehr „Sozialwohnungen“ werden versprochen und mehr „kostengünstige Mietwohnungen“; betreute Wohnungen für „Jugendliche in Schwierigkeiten“, für „Menschen in Übergangssituationen“, für „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ und für „Schüler und Studenten“. Die Stadt werde auch weiterhin „erschwingliche“ Wohnungen aus privat realisierten Projekten aufkaufen, wenn der Promotor sie nicht selber loswird. Ein Miet-Kauf-System soll geschaffen werden, um auch Beziehern kleinerer Einkommen zu einem Eigenheim zu verhelfen. Baulücken in kommunalem Besitz würden bebaut, die Wohnungen anschließend in Erbpacht verkauft. Die Zusammenarbeit mit Wohnungsbaufonds und SNHBM gehe weiter.

Für den Gemeinderat David Wagner von déi Lénk allerdings sind diese Ankündigungen „das gewerkschaftliche Minimum“ und für Rat François Benoy von den Grünen kein Ausdruck einer „Strategie“. Benoy rechnet vor: Von insgesamt 334 Hektar Bauland im Perimeter der Hauptstadt seien 250 Hektar schnell bebaubar und 100 bis 150 Hektar „ganz schnell“. Teils seien das kommunale Flächen, teils private. „Da müsste der Schöffenrat sagen, wie die Grundstücke bebaut werden sollen, wie man private mobilisieren will, was die Gemeinde überhaupt selber im Wohnungsbau zu tun gedenkt, und so weiter.“ Solche Überlegungen hat Benoy aber noch nicht vernommen, und er fragt sich, was aus Projekten geworden ist, die während der DP-Grüne-Koalition zwischen 2005 und 2017 initiiert wurden: Porte de Hollerich und Villeroy et Boch zum Beispiel. „Die Grundstücke im Villeroy-et-Boch-Viertel gehören zur Hälfte der Gemeinde, wie geht es da weiter, wie prioritär ist das?“

Alle Oppositions-Räte, mit denen d’Land Kontakt hatte, kritisieren einen Punkt, den DP und CSV als ein positives Versprechen in ihr Koalitionsprogramm geschrieben haben, ganz besonders: den Aufkauf erschwinglicher Wohnungen aus privat realisierten Projekten und ihre Weiterveräußerung.

Laut Kommunalplanungsgesetz müssen in Privatprojekten von mehr als 25 Wohneinheiten zehn Prozent davon „erschwinglich“ abgegeben werden. Die Rolle einer Gemeinde besteht zunächst darin, mit dem Promotor des Projekts abzumachen, welcher Preis als erschwinglich gelten soll. Zu diesem Preis versucht der Promotor die Wohnungen dann abzusetzen, Grundstück inklusive. „Doch als Käufer kommt nur infrage, wer staatliche Eigenheim-Beilhilfen bekommen kann“, sagt David Wagner. „Das sind nicht die wohlhabendsten Leute, und oft wird ein Promotor an sie eine erschwingliche Wohnung nicht los, wenn er sie 20 Prozent unter dem Marktpreis anbietet. Dazu sind die Preise hier einfach zu hoch.“ In dem Fall springe die Stadt ein, kaufe die Wohnung, verkaufe sie zunächst ohne Grundstück weiter und halte das Grundstück zwölf Jahre. Wer die Wohnung kauft, erhalte die Option, nach den zwölf Jahren auch das Grundstück zu erwerben. Damit aber, sagt Wagner, nehme die Gemeinde immer wieder Möglichkeiten, ihren Bestand an kommunalen Wohnungen zu vergrößern.

Tom Krieps erinnert diese Vorgehensweise an Margaret Thatcher: „Unter ihr wurden in Großbritannien kommunale Wohnungen den Bürgern zum Kauf angeboten. Die Preise waren durchaus korrekt, und viele, die zuvor immer Labour gewählt hatten, jubelten. Aber danach waren die kommunalen Wohnungen fort.“ Wohnungen fortzugeben, habe Tradition in der Stadt, sagt Krieps’ Fraktionskollegin Cathy Fayot: „Immer wieder hat die Stadt öffentliche Wohnungen gebaut und sie dann en pleine propriété verkauft.“ In Hamm etwa seien 1983 für die Stadt 15 Einfamilienhäuser entstanden. Anschließend hätten sie zu Preisen zwischen – damals – 81 342 und 91 708 Euro den Besitzer gewechselt, mit Grundstück. „Und das ist nur ein Beispiel unter vielen.“

Öffentlicher Wohnraum müsse öffentlicher Wohnraum bleiben, insistiert David Wagner, beziehungsweise Grundstücke im öffentlichen Besitz sollten auf keinen Fall privatisiert werden. Das will auch die Regierung, dem Koalitionsvertrag von DP, LSAP und Grünen zufolge. François Benoy erinnert in dem Zusammenhang daran, dass die Stadt in letzter Zeit stark das Vorkaufsrecht nutzt, das laut dem Gesetz über den ersten Pacte logement die Gemeinden und der Wohnungsbaufonds haben. Laut Finanzbericht zum Stater Gemeindebudget 2020 sind für Grundstückskäufe 20 Millionen Euro eingeplant; zunächst sollten es nur fünf Millionen sein. „Umso wichtiger wäre“, sagt Benoy, „dass der Schöffenrat sich eine Strategie dafür gibt, was mit den Grundstücken geschehen soll.“ Der Anteil öffentlicher Wohnungen am Gesamtbestand sei in Luxemburg-Stadt nicht vorbildlich. „In Rümelingen, Esch, Monnerich oder Grevenmacher ist er höher. Was also ist das Ziel, wenn man Grundstücke erwirbt?“

Die Stadt müsse aus eigener Hand bauen, findet David Wagner. „Genug Geld hat sie, und Gemeindedienste zur Verwaltung der Wohnungen hat sie auch.“ François Benoy wundert, dass DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer vor drei Wochen bei der Präsentation der sieben Vorschläge zur Neubebauung des Areals rund um das Josy-Barthel-Stadion erklärt hat, dort würden nur „erschwingliche“ und „soziale Mietwohnungen“ gebaut: Das sei, als fiele man von einem Extrem ins andere; wieso werde nicht an Eigenheime in Erbpacht gedacht und diese Opion Wohnungsbaugenossenschaften oder Baugruppen angeboten? „Solche neuen Wohnformen könnten das Quartier bereichern und für eine bessere „soziale Mischung“ sorgen. Gibt es etwa auch für dieses Wohnviertel, in dem die Gemeinde 83 Prozent der insgesamt zehn Hektar Fläche besitzt, keine Strategie?

David Wagner würde gerne wissen, wie die Mietkommission der Stadt funktioniert, an die sich wenden kann, wer eine Mieterhöhung für ungerechtfertigt hält. Informationen dazu seien rar: „Der Jahresbericht des Service Logement der Gemeinde enthält nur einen kleinen Abschnitt zur Mietkommission, in dem steht, wie viele Beschwerden bei ihr eingingen. Pro Jahr sind das 15 bis 20.“ Genaugenommen könnten die Beschwerden auch von Vermietern kommen, „aber das erfahren wir nicht. Wir wissen auch nicht, wie die Mietkommission arbeitet und nach welchen Kriterien sie entscheidet“. Dabei müsste eine Gemeinde solche Informationen eigentlich nicht nur Gemeinderäten zugänglich machen, sondern der Öffentlichkeit. „Die Bürger müssen doch erfahren, dass es eine Mietkommission gibt, wozu sie da ist und wie man sich an sie wendet.“

Wagner zieht ein düsteres Fazit: „Ich bezweifle, dass dieser Schöffenrat ein Interesse an öffentlichem Wohnungsbau hat. Er behauptet das natürlich, denn das Gegenteil zu erklären, wäre heutzutage politisch unklug. Aber die Politik in der Stadt war schon immer eine für Besitzer, und ich meine, man wünscht sich eine Bevölkerung aus der gehobenen Mittelschicht und alle anderen sollen raus. Ein paar Sozialwohnungen leistet man sich als Feigenblatt.“

Peter Feist
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