Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Das braune Virus

d'Lëtzebuerger Land vom 13.03.2020

Gefährlicher als das Coronavirus sei das braune Virus, warnte Arbeitsminister Dan Kersch am Sonntag auf dem Parteitag der LSAP. Er diagnostizierte einen akuten Befall der ADR. Statt die in der Valissen-Affär so erfolgreiche Quarantäne zu empfehlen, rief der Minister die anständigen unter den ADR-Mitgliedern auf, ihre Partei zu verlassen und der LSAP beizutreten. Die Kongressdelegierten runzelten die Stirn. Sie befürchteten, dass das Virus so in die LSAP geschleppt würde.

Die ADR ist eine kleine nationalkonservative Partei, die sich nach der Zucht und Ordnung des CSV-Staats der Fünfzigerjahre zurücksehnt. Im Land der Bankpaläste und BMW-Fahrer hat sie es nicht leicht, sich Gehör zu verschaffen. Deshalb steigert sie einmal im Jahr ihre

Stammtischparolen zu unappetitlichen Provokationen, bald als lustvolles Spiel mit dem Feuer, bald aus Hass, bald aus schierer Dummheit. Darauf folgt ein Ritual trotziger Rechtfertigungen und halbherziger Entschuldigungen. Vollblutnazis finden die ADR deshalb lau.

Die schönste Zeit des ehemaligen Aktiounskomitee 5/6-Pensioun fir jiddereen liegt 20 Jahre zurück. 1999 hatte es sieben Parlamentsmandate, heute sind es vier. Seit dem Rententisch sucht die Rentenpartei neue Namen, neue Wähler und neue Feindbilder. Bald bemüht sie sich um die sauertöpfischen Spießer am rechten Rand der CSV, bald um die im Konkurrenzkampf um Einkommen, Arbeit und Bildung Unterlegenen, bald versucht sie sich als Saubermänner, Skandaljäger, Wachstumskritiker oder Sprachschützer.

Wenn nicht einmal die ADR weiß, was sie ist, wie sollen es dann die anderen wissen? Die Leitartikler rätseln, wie sie den Pudding ADR an die Wand nageln können: als Rechtsextreme, Souveränisten, Populisten, Chauvinisten, Rechtsradikale, Natio-nalisten... Am liebsten schreiben sie „Rechtspopulisten“. Das klingt gebildet und verpfeift implizit „Linkspopulisten“.

Der einstige Erfolg der 5/6 und der nachlassende Erfolg der ADR haben damit zu tun, dass die Gründerväter eine soziale Basis mit in die Partei brachten: Gast Gibéryen die Handwerker der NGL, Robert Mehlen die Bauern des FLB. Nun macht sich in der Partei eine neue Generation von Anwälten und hohen Beamten breit, denen es nur um die eigene Person geht. Sie können ihre Verachtung für die Versager an der Parteibasis schlecht verbergen. Diese merken das.

Zuletzt bekam die ADR Konkurrenz von der Piratenpartei. Sie tritt ebenfalls im Namen der armen Hunde auf, ob zwei- oder vierbeinig. Dass der Volkstribun Gast Gibéryen sein Parlamentsmandat einem Facebook-Bot aus der Referendumskampagne überlassen will, bringt die Partei auch nicht weiter.

ADR und Piraten kamen bei den Kammerwahlen 2018 zusammen auf 15 Prozent der Wählerstimmen. Sie wurden mehrheitlich von Menschen gewählt, die von Fintech, Elektromobilität und Spacemining gar nichts zu erwarten haben, von DP und Grünen bloß Geringschätzung, von CSV und LSAP Mitleid. Natürlich wissen ihre Wähler, dass sie auch nichts von Leuten wie Fernand Kartheiser, Roy Reding und Sven Clement erwarten können. Aber wie sollen sie sonst in die Suppe spucken, die nicht für sie angerichtet ist?

Romain Hilgert
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