Genderforschung

Aufbruchstimmung

d'Lëtzebuerger Land du 29.09.2005

Wer dieser Tage bei www.uni.lu vorbeisurft, könnte meinen, es gäbe sie nicht: Frauen an der Universität Luxemburg. Zwischen drei Kategorien können Besucherinnen und Besucher auf der akademischen Website wählen: zukünftiger Student, Forscher und Journalist. Alles nur in der männlichen Form, wohlgemerkt. Der Sprachgebrauch sei nicht die erste Priorität gewesen, heißt es von der Uni zum einseitigen Sprachgebrauch. Die Internetseite geschlechtergerecht - für Frauen und Männer  zu formulieren, hieße, sämtliche Dokumente zu sichten und jeweils die weibliche Form hinzuzufügen. Angesichts knapper Ressourcen habe man sich entscheiden müssen: vorerst dagegen. Adelheid Ehmke, Vizerektorin der Universität, warnt überdies, die Debatte um die adäquate Formulierung werde häufig als "Scheindiskussionsgebiet" benutzt: "Wenn sich nur der Sprachgebrauch ändert und sonst nichts, ist wenig gewonnen." Tatsächlich zeigt die Realität, dass es in punkto Chancengleichheit an Luxemburgs Uni noch etliches zu tun gibt. Der akademische Lehrkörper bestand Ende Oktober 2004 aus 127 Personen, davon waren 23 Frauen. Und wie an den meisten Universitäten in Europa und anderswo gilt auch hier die Regel: Mit steigendem Qualifikationsniveau nimmt der weibliche Anteil an den wissenschaftlichen Mitarbeitern drastisch ab; lediglich vier von insgesamt 55 Professuren sind von Professorinnen besetzt. Von den zehn "axes de recherche", die die Uni definiert hat, werden zwei von Frauen geleitet, die Forschungsgruppe "Cellular communication in health and diseases" und die "Dynamics of Luxembourgish". Das soll aber nicht so bleiben. "Die Universität Luxemburg gewährleistet ... die Beachtung der Chancengleichheit" steht neuerdings in universitären Jobangeboten. Auch damit folgt die Universität einem - positiven - internationalen Trend, bei Stellenausschreibungen nicht nur beide Geschlechter anzusprechen, sondern bei gleicher Eignung und Qualifikation gezielt Frauen zu fördern. Ganz allmählich soll so die Frauenquote in der Männerbastion Uni steigen - ein Ziel, zu dem sich die EU-Staaten im Rahmen der Lissabon-Strategie bekannt haben. Ohne mehr Frauen in Forschung und Entwicklung lässt sich das ehrgeizige Ziel der EU, zur führenden Wissensregion der Welt zu werden, erst recht nicht erreichen. Damit auch Forscherinnen und Forscher, die Kinder haben, von Stellenangeboten Gebrauch machen können, haben sich die Uni-Verantwortlichen gemeinsam mit der Genderbeauftragten Christel Baltes-Löhr noch etwas einfallen lassen: Wissenschaftler können ab 2006 in Absprache mit der Universitätsleitung für die Erziehung der Kinder ihr Lehrpensum reduzieren, ohne dabei in der Forschung kürzer treten zu müssen. Bisher war es meist so, dass wissenschaftliche Mitarbeiter mit Kindern eher bei der Forschung Zeit "einsparten", um wenigstens die Verpflichtungen in der Lehre einhalten zu können. Häufig mit der Folge, dass die wissenschaftliche Karriere ins Stocken geriet.  Um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleisten zu können, plant das Rektorat ein weiteres Novum: Mittelfristig sollen Studierende und Mitarbeiter ihre Kinder in einer universitätseigenen Kindestagesstätte abgeben können. Für viele Mütter und Väter ist Ganztagsbetreuung die einzige Möglichkeit, um die Zeitanforderungen von Familie, Vorlesungen, Forschung und/oder Beruf miteinander vereinbaren zu können. Eine aktuelle Umfrage unter Studierenden und Mitarbeitern der Uni zeigt, dass an einem solchen Angebot durchaus Bedarf besteht. Das Kita-Projekt befindet sich derzeit in der Vorbereitungsphase; wenn alles klappt, wollen die Verantwortlichen schon zum Wintersemester 2006/2007 ein erstes Angebot machen. Dass die Begriffe Chancengerechtigkeit und Gender zumindest für die Uni-Leitung und Genderbeauftragte keine Fremdwörter mehr sind, sondern zunehmend integral mitgedacht werden, zeigt zudem ein internes Arbeitspapier mit dem Titel Genderforschung. Demnach sind in Zukunft drei Säulen vorgesehen. Infrastrukturelle Maßnahmen sollen helfen, ein "neues Gender-Bewusstsein" zu schaffen und eine "Gender-Kultur" zu etablieren. Dazu zählt ganz allgemein, den Frauenanteil im akademischen Lehrkörper zu erhöhen - auch auf den höheren Ebenen. Die erwähnten Maßnahmen zur Vereinbarkeitsproblematik und Instrumente, mit denen die Attraktivität von Naturwissenschaften insbesondere bei Schülerinnen und Studentinnen gesteigert werden sollen, fallen ebenfalls darunter. Seit 1999 besteht das Projekt Ada Lovelace, das junge Frauen für naturwissenschaftliche und technische Studiengänge gewinnen will (d’Land, 2. Mai 2003). Die für den 23. Oktober in der Abtei Neumünster geplante Veranstaltung Forsche forschende Frauen dient demselben Ziel: An diesem Tag werden Schülerinnen ab 15 Jahren mit Wissenschaftlerinnen aus der Industrie zusammentreffen, um mit ihnen über ihre Berufswahl zu diskutieren und erste Kontakte für Praktika zu knüpfen. Im Gegenzug sollen verstärkt männliche Studierende für soziale Wissenschaften wie etwa Geriatrie gewonnen werden. Auch Überlegungen für eine Zusammenarbeit zwischen dem Initiator des luxemburgischen Girls’ day, dem Cid-femmes, und der Uni gibt es. Als zweite Säule sollen Genderaspekte gezielt an den verschiedenen Fakultäten beziehungsweise Instituten erforscht werden. Einige Untersuchungen stehen kurz davor abgeschlossen zu werden: etwa die zum Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit bei Luxemburgs angehenden Primärschullehrern und Erziehern vom vergangenen Jahr oder die über Bilder von Mädchen und Jungen in der Forschung. Eine weitere internationale Vergleichsstudie über Gender-Stereotypen in Uni-Lehrplänen wird offiziell zwar erst Anfang 2006 fertig gestellt, ein erstes Resümee soll jedoch schon am 22. Oktober auf dem Campus Walferdingen, im Rahmen der internationalen Konferenz Rollen und Stereotypen von Frauen und Männern in Erziehung und Ausbildung präsentiert werden. Und noch zwei große Forschungsprojekte sind in Planung: eines zur Bedeutung des Genderaspektes für die berufliche und persönlichen Entwicklung/Biografie von Erziehern und Lehrenden, und eines über den Wandel von Genderbeziehungen in europäischen Gesellschaften. So viel Aufbruchstimmung und Innovation bei der Geschlechterthematik kommt nicht von ungefähr. In Luxemburg besteht ein riesiger Nachholbedarf in punkto Ge-schlechterforschung. Noch bis vor kurzem war es üblich, bei Untersuchungen den Genderaspekt un-berück¬sichtigt zu lassen. Auch wenn es um Themen wie etwa Gewalt unter Jugendlichen, Lernschwierigkeiten in der Schule oder die Integration ging, und internationale Expertinnen und Experten schon längst die Bedeutung des Ge-schlechteraspektes erkannt haben. Studien, die sich konsequent der Geschlechterfrage widmeten, wurden entweder von Frauenorganisationen oder dem Gleichstellungsministerium in Auftrag gegeben, und wohl auch deshalb oft eher nur am Rande wahrgenommen. Wie spannend - und wichtig für Politik und Gesellschaft - profunde Analysen der Geschlechterverhältnisse und der Lebensbedingungen von Frauen und Männern gerade auch in Luxemburg sein könnten, zeigt der Hinweis auf Luxemburg als Einwanderungsland: Dass sich mit den Immigrationswellen und neuen Le-bensentwürfen die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern gewandelt haben, dass es für Einwandererkinder der zweiten und dritten Generation andere Bedingungen geben mag und sie vielleicht andere Schwierigkeiten bei der (Geschlechter-)Identitätsfindung und/oder Berufswahl haben als ihre Eltern, ist sehr wahrscheinlich. Das Phänomen ist hier zu Lande wissenschaftlich allerdings noch nicht erforscht. "Luxemburg ist wie ein sehr interessantes Labor", sagte Adelheid Ehmke. Die Vize-Rektorin betont die Chancen, die sich aus der Größe und der Heterogenität der luxemburgischen Gesellschaft für die (Sozial-)Wissenschaften ergeben. Und nicht nur sie. Die Hand voll Forscherinnen und Forscher, unter ihnen auch Christel Baltes-Löhr, die sich an der sozialwissenschaftlichen Fakultät in Walferdingen mit Genderthemen beschäftigen, träumen vom "großen Wurf": eines Tages als dritte Säule einen Master-Studiengang Gender Studies anbieten zu können. Entsprechende Kontakte und grobe Planungsskizzen gibt es schon. Dabei sollen Netzwerke wie die europäische Helsinki-Arbeitsgruppe "Women and Science", an der auch Luxemburg teilnimmt, helfen, aber auch persönliche Kontakte. Adelheid Ehmke hat beispielsweise während ihrer Zeit als Präsidentin der Fachhochschule Trier und Vizepräsidentin der deutschen Hochschulrektorenkonferenz zahlreiche Kontakte ins Ausland knüpfen können. Auch der internationale Workshop zur Frauen- und Gender-Forschung vom Dezember 2004, der renommierte Wissenschaftlerinnen nach Luxemburg brachte und dieses Jahr wiederholt wird, trägt mit dazu bei, dass Luxemburgs Genderforschung ganz allmählich Konturen erhält. Und wer weiß, vielleicht können Luxemburgs Studierende irgendwann tatsächlich an einem Europäischen Zentrum für Genderforschung ihren Abschluss in "Gender Studies" machen - Studentinnen und Studenten, wohlgemerkt.

Ines Kurschat
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