DP, LSAP und Grüne haben ein großes Ziel: bis Ende der Legislaturperiode ausgeglichene Staatsfinanzen und weniger Schulden

Ober, die Rechnung, bitte!

d'Lëtzebuerger Land du 15.11.2013

Während des Wahlkampfs hatte der Zentrumsspitzenkandidat der DP, Xavier Bettel, geklagt, dass er außerstande sei, sich ein verlässliches Bild zu machen, in welcher Lage sich die Staatsfinanzen befänden. Denn zwischen den Unternehmerverbänden, die vor einer Katastrophe warnten, der Regierung, die beschwichtige, dass sie alles im Griff habe, und der Beamtengewerkschaft CGFP, die nirgends ein Problem entdecke, lägen Welten.

Doch seit vergangener Woche scheinen alle Zweifel ausgeräumt. Die als Comité de prévision vereinten Verwaltungsdirektoren hatten dem inzwischen mit der Regierungsbildung beauftragten Xavier Bettel noch einmal ihre zuvor der CSV/LSAP-Regierung zusammengestellten und nun Note au formateur überschriebenen Prognosen über die Entwicklung der Staatsfinanzen bis 2016 ausgedruckt. Und schon wusste der künftige Premierminister im Anschluss an die Verhandlungsrunde vom Freitag: „Bei unveränderter Politik rennen wir in die Mauer.“ Schuld daran, dass nach der Rentenmauer nun anscheinend eine Mauer der Staatsfinanzen droht, trägt für Bettel die vorige Koalition: Sie habe die Sanierung der Staatsfinanzen nicht konsequent genug in Angriff genommen.

Auf jeden Fall setzten die Haushaltsregeln und die Vorbeugemaßnahmen des europäischen Stabilitätspakts den engen Rahmen des künftigen Koalitionsprogramms. Denn ohne Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen könnte das Defizit des Zentralstaats bis 2016 auf anderthalb Milliarden Euro jährlich steigen. Nur durch einen Überschuss der Rentenversicherung von mehr als einer halben Milliarde beliefe sich das nach Brüssel geschickte Defizit des Gesamtstaats dann auf immerhin noch eine Milliarde Euro.

Laut europäischem Stabilitätspakt müssen aber nicht nur die Staatsschuld und das Staatsdefizit niedrig sein. Luxemburg muss auch ein mittelfristiges Haushaltsziel erreichen, das im April auf einen Überschuss von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festgelegt worden war. Ohne einschneidende Sparmaßnahmen droht das „strukturelle Saldo“ aber 2015 auf -1,5 Prozent und 2016 auf -2,2 Prozent zu sinken, so dass die Regierung von der EU zu Anpassungsmaßnahmen gezwungen würde.

Zu den unter anderem konjunkturbedingten Fehlbeträgen kommt nämlich das, was der mögliche nächste Finanzminister, Claude Meisch, am Freitag „die große Katastrophe“ nannte: der Ausfall ab 2015 von 688 Millionen Euro Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel. Dadurch würden alle „Sanierungsmaßnahmen, die bis dahin unternommen werden, wieder hinfällig“, so Meisch.

Ein Trost für die drei Parteien ist allerdings, dass sie zu Beginn eines Konjunkturaufschwungs die Regierungsgeschäfte übernehmen können. Der Conjoncture Flash des Statec hatte vergangenen Monat noch ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent für das laufende Jahr vorausgesagt. Rechtzeitig für die Koalitionsverhandlungen konnte die Rate nun auf zwei Prozent erhöht werden. In den Jahren danach soll die Wirtschaft um etwa drei Prozent wachsen. Eine eher buchhalterische Abschwächung fände 2015 statt, wenn die Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel um zwei Drittel zurückgingen, ohne dass zum Ausgleich der Mehrwertsteuerregelsatz erhöht würde.

Doch „wir wollen in dieser Legislaturperiode das Gleichgewicht“ der Staatsfinanzen erreichen, kündigte Etienne Schneider am Freitag entschlossen das finanzpolitische Ziel von DP, LSAP und Grünen an, das die Legislaturperiode dominieren dürfte.

Verglichen mit den entrüsteten Kritiken der DP an der Haushaltspolitik der vorigen Regierung hört sich das bescheiden an. Denn schon der Haushaltsentwurf für 2010 hatte einen ausgeglichenen Haushalt für alle Abteilungen des Gesamtstaats, also auch für den Haushalt des Zentralstaats, bis 2014 versprochen. Vor drei Jahren hatte Jean-Claude Juncker dann in seiner Erklärung zur Lage der Na­tion vorsichtig gemahnt, dass „wir die Gesamtstaatsfinanzen so ins Gleichgewicht bringen müssen, dass wir im Jahr 2014, gesamtstaatlich betrachtet, ein Defizit von null Prozent erhalten. Selbst wenn es gelingt – und das muss uns gelingen – das gesamtstaatliche Defizit, also der Zentralverwaltung, der Gemeinden und der Sozialversicherung, auf null Prozent im Jahr 2014 zu senken, selbst dann bleibt im eigentlichen Staatshaushalt ein Loch, das wir auch nach dem Jahr 2014 durch weitere Schuldenaufnahmen finanzieren müssen.“ Nun will die Dreierkoalition das einst von der CSV für 2014 versprochene Ende des Defizits des Gesamtstaats bloß auf 2018 aufschieben.

Beinahe noch wichtiger als die Beseitigung des Staatsdefizits ist der neuen Koalition aber die Senkung der Staatsverschuldung. Da sei „die neue Regierung enorm gefordert“, meinte Claude Meisch, der bedauerte, dass der Staat derzeit 800 Millionen Euro im Jahr borgen müsse. Ohne zusätzliche Einnahmen und Einsparungen würde die Staatsschuld von elf Milliarden dieses Jahr auf 15 Mil­liarden 2016 steigen. Trotz Niedrigstzinssätzen drohte die Zinslast dann 280 Millionen Euro zu betragen. Das machte dann 29,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, und Etienne Schneider erklärte, dass man sich vorgenommen habe, dass die Schuld unter 30 Prozent bleiben müsse. Der europäische Stabilitätspakt erlaubt zwar 60 Prozent, aber um den Beschluss zu rechtfertigen, behauptete Schneider, dass bei über 30 Prozent Staatsschuld die amerikanischen Rating-Firmen das Risiko Luxemburger Schuldverschreibungen nicht mehr mit AAA bewerteten.

Der geschäftsführende Wirtschaftsminister Schneider hatte aber auch schon eine Idee, wie die Schuld verringert werden kann: Er kündigte an, dass die Beteiligung an der Banque générale verkauft werden soll. Mit diesen schätzungsweise zwei Milliarden Euro könne die Staatsverschuldung um etwa vier Prozentpunkte gesenkt werden. Gegenüber solchen Ideen war Claude Meisch noch im April während der Debatte zur Lage der Na­tion misstrauisch. Bei der „Ankündigung, möglicherweise die Beteiligung an der BGL wieder zu verkaufen“ habe er „ein wenig zwischen den Zeilen herausgehört“, dass die damalige CSV/LSAP-Regierung „sich einen neuen Spielraum und wieder ein wenig Luft verschaffen will, um auf anderen Gebieten wieder zu intervenieren“. Er dachte dabei vor allem an eine Kapital­erhöhung der Cargolux.

Der Verkauf der BGL-Beteiligung bedeutet für Etienne Schneider aber nicht, dass alle staatlichen Beteiligungen versilbert werden sollen. Dadurch könnten die Staatseinnahmen zwar kurzfristig erhöht werden, aber langfristig fielen die jährlichen Dividendeneinnahmen aus. Der Staat verdient rund 200 Millionen Euro jährlich an der BGL, mehr als ihn der Schuldendienst für die Beteiligung kostet.

Langer Rede kurzer Sinn: Die Verwaltungsdirektoren des Comité de prévision legten am Freitag die Rechnung vor: Ein Staatshaushalt, wie er im Stabilitätsprogramm steht, kostet 2015 eine Milliarde Euro und 2016 sogar 1,4 Milliarden Euro. Bei einem Jahreshaushalt des Zentralstaats von einem Dutzend Milliarden. Die Koalitionsverhandlungen zwischen einer wirtschaftsliberalen Partei der Selbständigen und leitenden Angestellten, einer linksliberalen Arbeiterpartei und einer ökoliberalen Partei der Sozialarbeiter und Lehrerinnen laufen also auf die Frage heraus, wessen Wählerschaft die Milliarde bis anderthalb Milliarden jährlich mit Steuererhölhungen und Leistungskürzungen zahlen soll. Dass die Antwort nicht so einfach wird, zeigten die chaotischen Sparpläne der alten CSV/LSAP-Koalition, die es alleine voriges Jahr auf deren drei gebracht hatte.

Wie während der vorigen Legislaturperiode dürften sich am Ende die rechtsliberalen Mehrheitspolitiker bei ihren Wählern dafür brüsten, dass Ausgaben gekürzt wurden, und die linksliberalen bei ihren Wählern, dass Steuern erhöht wurden. Wie weit diese Sanierungsbestrebungen zum Anlass genommen werden, um das ganze Wirtschafts- und Sozialmodell umzukrempeln, wird sich erst zeigen. Sicher ist aber schon, dass die Parteitage, die das Koalitionsabkommen am 3. Dezember ratifizieren sollen, wenigstens mit gesellschaftspolitischen Reformen bei Laune gehalten werden sollen.

Die drei Parteien warten nun auf Vorschläge ihrer Arbeitsgruppen, wo im Einzelnen gespart und welche Steuern erhöht werden sollen, so Xavier Bettel. Abgemacht ist bereits eine auch von der CSV befürwortete Erhöhung des Mehrwertsteuerregelsatzes auf möglicherweise 17 Prozent, die in eine größere Steuerreform eingekleidet werden soll. Doch am Freitag klagte der Grüne Félix Braz, dass die Steuerverwaltungen Änderungen der Besteuerungen gar nicht zuverlässig berechnen könnten.

Glück hat die Koalition wenigstens, weil sie sich ein Jahr Zeit nehmen kann, um ihre Finanzpolitik festzulegen. Das Comité de prévision sagte ihr voraus, dass es nicht schlimm sei, die Haushaltspolitik von CSV und LSAP nächstes Jahr unverändert fortzusetzen. Denn dadurch steige der Fehlbetrag des Gesamtstaats unwesentlich von 96 auf 179 Millionen Euro. Wobei die Verlängerung des Staatshaushalts von 2013 bis Ende 2014 mit provisorischen Zwölfteln auch ihre Sparwirkung hat. So bleibt beispielsweise der Numerus clausus für Neueinstellungen beim Staat unverändert, und wer weiß, ob die DP sich mit ihrer Forderung durchsetzt, das Gehälterabkommen beim Staat noch einmal aufzuschieben. Dann sparte der Staat die für Mitte 2014 fällige einmalige Prämie von 0,9 Prozent.

Laut Félix Braz will die Koalition „bis spätestens 2015 ein Paket“ ausgehandelt haben, um die Verschuldung zu bremsen. Doch wenn die Koalition durch die Fortsetzung der bisherigen Haushaltspolitik ein Jahr Zeit gewinnt, hat dies den unschönen Nebeneffekt, dass sie nächstes Jahr um die 700 Millionen Euro zusätzlich leihen muss, um das Haushaltsloch zu stopfen. Obwohl sie gerade der Staatsverschuldung feierlich den Kampf ansagte.

Romain Hilgert
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