Undurchsichtige Parteienfinanzierung in und aus der Schweiz

Folge dem Geld

d'Lëtzebuerger Land vom 18.10.2019

Im Herbst 2018 wurde in Deutschland publik, dass die AFD mutmaßlich Spendengelder aus der Schweiz erhalten hatte. Wie ein Recherche-Kollektiv der Fernsehsender NDR und WDR, der Süddeutschen Zeitung sowie des Schweizer Tamedia-Verlags aufdeckte, erhielt der Kreisverband von Alice Weidel, der heutigen Ko-Vorsitzenden der AFD-Bundestagsfraktion, für den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 Spenden von einem Schweizer Unternehmen. Der Betrag soll sich in mehreren Tranchen auf insgesamt 130 000 Euro belaufen haben. Jörg Meuthen, AFD-Parteivorsitzender, sowie Guido Reil, seit diesem Jahr EU-Abgeordneter der AFD, sollen ebenfalls finanzielle Unterstützung aus der Schweiz erhalten haben. Die Werbeagentur Goal, die der rechtsnationalistischen Schweizer Volkspartei SVP nahesteht, hat Meuthen mit 89 800 Euro und Reil mit 44 500 Euro unterstützt.

Dabei dürfen Parteien in Deutschland keine größeren finanziellen Zuwendungen von Nicht-EU-Bürgern annehmen. Im April 2019 verhängte die Bundesverwaltung in der Affäre um Meuthen und Reil gegen die AFD wegen illegaler Parteispenden eine Strafzahlung in Höhe von 402 900 Euro. In der Spendenaffäre um Alice Weidel ermittelt die Staatsanwaltschaft Konstanz. Sie hat ein Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft Zürich gestellt, da die Gelder über die Zürcher Pharmafirma PWS geflossen sein sollen.

Valentin Landmann, der Anwalt von zwei in den Fall verwickelten Personen – deren Identität nicht abschließend geklärt ist –, ficht das Rechtshilfeersuchen mit der Begründung an, es handle sich bei den Spenden nicht um ein in beiden Ländern strafrechtlich relevantes Delikt. „Denn die Schweiz kennt keine Offenlegungspflicht für die Parteifinanzen“, erklärt Landmann, der bei den am 20. Oktober anstehenden eidgenössischen Gesamterneuerungswahlen als Nationalratskandidat für die SVP kandidiert. Die Affäre wirft somit auch ein Schlaglicht auf das politische System der Schweiz.

Laut Martin Hilti von Transparency International Schweiz ist die Eidgenossenschaft „bei der Parteienfinanzierung mittlerweile in ganz Europa das einzige Land ohne nationale Regulierung“. Zudem gibt es – zumindest im Prinzip – keine staatliche Unterstützung für die Parteien. Tatsächlich erhalten diese durchaus Zuschüsse aus der Staatskasse, etwa über Fraktionsbeiträge. Nichtsdestotrotz ist unbestritten, dass alle Parteien in erster Linie von den finanziellen Zuwendungen ihrer Mitglieder oder externen Spendern abhängig sind. Und diesbezüglich steht es den einzelnen Parteien frei, ihre Finanzierungsquellen offenzulegen. Dafür wurde die Schweiz schon mehrfach von interna-
tionalen Gremien, wie der Staatengruppe gegen Korruption Greco des Europarats oder NGOs wie Transparency International, gerügt.

Die SVP und die liberale FDP legen weder ihre Wahlkampfbudgets noch ihre Spendengelder offen – dabei investieren die beiden Parteien am meisten in ihre Kampagnen. Von den großen Parteien machen lediglich die sozialdemokratische SP und die Grünen die Herkunft ihrer Finanzen sowie ihre Ausgaben für Wahlkampagnen vollständig transparent. Während die Grünen für die diesjährige Wahlkampagne einen Betrag von 1,9 Millionen Franken und die Sozialdemokraten 6,4 Millionen budgetieren, spricht die FDP von 7,5 Millionen.

Bei letzterem Betrag handelt es sich aber nicht um eine faktische, transparente Offenlegung der Finanzen, denn es fehlen die Budgets von fünf kantonalen Sektionen. Im föderalen Schweizer System verfügen die Kantonalparteien über eine große Autonomie. Zudem können die einzelnen Kandidaten eigenständig finanzielle Mittel für ihren individuellen Wahlkampf erschließen. So wird dem Lobbyismus Tür und Tor geöffnet.

Die SVP wiederum verweigert auch nur eine unverbindliche Aussage zu ihrem Budget. Der Politikwissenschaftler Michael Hermann hat allerdings in einer Studie aufgezeigt, dass die Partei in der vorletzten Legislaturperiode etwa 21 Millionen Franken in Werbemaßnahmen investiert hat.

Zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie Transparency International haben Vertreter der SP und der Grünen eine Initiative eingereicht, bei deren Annahme alle Parteien zur Offenlegung von Spenden ab einer Summe von 10 000 Schweizer Franken Pflicht verspflichtet würden. Zudem würden auch Zuwendungen von 100 000 Franken, die Personen oder Komitees an Kampagnen spenden, der Offenlegungspflicht unterworfen. Die Initiative hat gute Chancen, in einer Volksabstimmung angenommen zu werden. Sogar im Kanton Schwyz, der SVP-Hochburg schlechthin, wurde eine ähnliche Vorlage überraschend angenommen. Als Reaktion auf dieses Ergebnis hat der Bundesrat bereits eine in abgeschwächter Form an die Initiative angelehnte Vorlage zur Besprechung ins Parlament geschickt, wo sie insbesondere von SVP und FDP bekämpft wird. Ideologisch sehen beide Parteien sich als Verfechter einer liberalen Wirtschaft und eines schlanken Staates, der den Anspruch seiner Bürger auf ihre Privatsphäre in finanziellen Angelegenheiten wahre.

Somit stehen FDP und SVP der Wirtschaft und ihren Interessenverbänden nahe und vertreten im Parlament deren Anliegen. Während diese Nähe zur Wirtschaft bei der FDP eine lange Tradition hat, ist sie bei der SVP jüngerer Natur und geht auf die 1980er Jahre zurück, als die Partei sich neu strukturierte. Seitdem hat unter Führung des Partei-Patriarchen und Multimillionärs Christoph Blocher eine neue Elite die Geschicke der Partei übernommen. Aktuell ist mit Thomas Aeschi, Unternehmensberater bei der Strategieberatungsfirma Strategy&, ein Vertreter der Finanzindustrie Fraktionspräsident. Parteipräsident Albert Rösti sitzt dem Interessenverband der Ölindustrie, Swissoil, vor.

Die Vereinnahmung durch wirtschaftliche Eliten ist eng mit den Erfolgen verbunden, die die SVP seit den 1990er Jahren verbuchen konnte. Sie beruhen nicht zuletzt auf den aufwändigen und kostspieligen Wahl- und Abstimmungskampagnen, die von vermögenden Parteigrößen und ihrer einflussreichen Klientel finanziert wurden. Das widerspricht zwar dem Image der Partei „des kleinen Mannes“, das die SVP pflegt. Doch über ihre Stammthemen Einwanderung, Sicherheit und EU ist es der ihr gelungen, eine stabile Basis aufzubauen, die sich mit der Partei identifiziert.

Und so ist nicht damit zu rechnen, dass ihre Stammwählerschaft sich von der Partei abwendet, wenn die Parteienfinanzierung offengelegt wird. Auch der AFD hat die oben erwähnte Affäre bei den Europawahlen im Mai sowie den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen Anfang September nicht im Geringsten geschadet. Aber eine transparente Parteienfinanzierung wäre ein wichtiger Schritt, um das politische System der Schweiz zu reformieren und das ideologische Konstrukt der rechten Parteien herauszufordern.

Charles Wey
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