Europäische Außenpolitik

Die Zukunft bittet zum Tanz

d'Lëtzebuerger Land du 02.12.2010

Außenpolitik steht hoch im Kurs. Seitdem WikiLeaks diese Woche tonnenweise Memos der amerikanischen Diplomatie auf den globalen Markt geworfen hat, darf auch jeder Nicht-Historiker lesen, was er schon immer über Botschaftsaktivitäten wissen wollte. Catherine Ashton ist wahrscheinlich neidisch auf die Amerikaner. Nicht, weil die so schöne Memos schreiben können, sondern weil deren außenpolitische Möglichkeiten die europäischen um ein Vielfaches überschreiten. Die europäische Außenministerin, die sich „Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ nennen muss, kann seit dem 1. Dezember endlich ihre Behörde aufbauen, die den dynamischen Titel „European External Action Service“ trägt.

Im November verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat die noch fehlenden Verordnungen über die finanzielle Aufsicht und die Personalrichtlinien, nachdem der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) als solcher bereits im Sommer ins Leben gerufen worden war. In den nächsten Jahren wird der EAD auf eine Personalstärke von circa 7 000 Mitarbeitern wachsen, die in Brüssel und in den über 130 Delegationen tätig werden, die die EU in aller Welt schon jetzt unterhält. Dem EP war es wichtig, dass der EAD voll dem parlamentarischen Haushaltrecht unterstellt wird, dem Ministerrat, dass mindestens 30 Prozent aller Mitarbeiter aus seinen Reihen kommen und der Kommission, dass der Anteil ihrer Mitarbeiter mindestens 60 Prozent beträgt.

Wie heiß der Tanz werden kann, den die neue Truppe mit den mehr oder weniger Mächtigen dieser Welt demnächst auf’s diplomatische Parkett legen muss, hat kein geringer als der libysche Diktator Gaddafi zur Eröffnung des dritten EU-Afrika-Gipfels diese Woche in Tripolis klargemacht. Entweder ihr gebt mir fünf Milliarden Euro oder ich öffne meine Grenze für Migranten und Europa wird schwarz, drohte er. Wer das nur für leeres Gerede hält, weiß nicht, welches Migrationspotential in Schwarzafrika steckt.

Die EU wird auf diesem Gipfel von Ratspräsident Van Rompuy und Kommissionspräsident Barroso vertreten. Das sind die beiden Herren, denen Catherine Ashton dienen muss. Sie habe zwar, wie ihre Sprecherin auf Nachfrage mitteilte, das Recht, jederzeit zu Gipfeln dazuzukommen, hatte dazu diese Woche aber keine Zeit. Am 1. Dezember stellte Ashton die neue Führungsmannschaft des EAD in Brüssel vor. Außerdem muss sie sich auf Gespräche über das iranische Atomprogramm mit dem iranischen Chefunterhändler Said Daschalili vorbereiten. Iran hat sich nach langer Zeit wieder zu Verhandlungen mit der so genannten Sechser-Gruppe (die fünf UN-Vetomächte plus Deutschland) bereit erklärt, deren Vorsitz Catherine Ashton führt.

Die Herausforderungen an die europäische Außenpolitik wachsen schnell. Bisher steht die EU vor allem für „Soft Power“. Die EU ist nicht als globale Militärmacht anerkannt, noch hat sie diesen Status je für sich in Anspruch nehmen wollen. Konsequenterweise ist eines der großen legislativen Vorhaben der neuen EU-Kommission in der Außenpolitik die Verbesserung der Kriseninterventionsfähigkeit der EU. Das Erdbeben in Haiti und die verheerenden Überflutungen in Pakistan haben 2010 die Dimensionen deutlich gemacht, denen sich die EU stellen muss. Wegen Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung und Terrorismus rechnet die Kommission mit schweren Katastrophen in immer kürzeren Abständen. Darauf will sie sich mit einem Katastrophenschutz vorbereiten, dessen Kapazitäten ständig vorgehalten werden und Planungsstrukturen einrichten, die eine vorausschauende Politik erleichtern sollen. Der militärische Schutz ziviler Katastrophenhilfe wird immer mitgedacht. Die EU-Gesetzesmaschine dazu wird Mitte 2011 anlaufen.

Für die USA ist Europa immer noch zuerst die Nato oder Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere. Das hat der Nato-Gipfel im November augenfällig demonstriert. Unmittelbar im Anschluss daran fand ein EU-US-Gipfel statt. Die EU hatte zuvor nach einem Termin suchen müssen, der Obama eine extra Anreise ersparte. Das Treffen zwischen EU und USA dauerte dann immerhin volle 120 Minuten. Die EU und Amerika seien sich in allen Punkten einig, hieß es nachher aus dem Weißen Haus. Eine Einschätzung, die einer herablassenden Beleidigung gleichkommt. Die englische Zeitschrift The Economist zieht die Schlussfolgerung, die Amerikaner sähen die EU lediglich als ökonomische Erweiterung der Nato.

Es ist Aufgabe des EAD, diese Einstellung der USA zu ändern. Schon heute beteiligt sich die EU an über 20 zivilen und militärischen Einsätzen in Europa, Afrika und Asien. Zukünftig werden Memos aus allen Kontinenten Catherine Ashton zeigen, wie die Außenpolitik der EU weltweit wahrgenommen wird und verbessert werden kann.

Christoph Nick
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