Die Regierungsbildung folgte alten Mustern, aber enthielt ein paar Überraschungen

Männer machen Politik

Fast wie Synchron- schwimmen: Luc Frieden und Xavier Bettel vor der Unterzeich- nung des Koalitions- vertrags
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 17.11.2023

Einen „historischen Moment“ nannte Luc Frieden am Mittwochabend die CSV-DP-Koalition, weil die letzte zwanzig Jahre her ist. Die Beschwörung, dass nun etwas Neues käme, passte nicht gut zu der Biedermeier-Tapete im Separee des Hôtel Parc Belle-Vue, wo Frieden die CSV-Regierungsmitglieder der Presse vorstellte.

Die Zusammensetzung des neuen Kabinetts ist nicht historisch. Unter den 15 Minister/innen sind nur fünf Frauen. Die scheidende DP-LSAP-Grüne-Regierung ist mit fünf auf 17 von Parität zwar noch weiter entfernt und sah nur ein wenig besser aus, als Corinne Cahen (DP) ihr noch angehörte. Doch schon weil die CSV im Südbezirk und im Osten mit einer männlichen Doppelspitze angetreten war, die DP im Süden und im Norden, kam, was kommen musste: Die Postenbesetzung der Regierung sollte die Bestgewählten der Bezirke bedienen, dabei den Proporz zwischen den Bezirken beachten, das Kräfteverhältnis in der Koalition sowieso. Also fanden vor allem Männer einen neuen Job.

Nach Sitzen ist die CSV der stärkere Partner im Bündnis, mag ihr Wahlresultat vom 8. Oktober auch nicht besser sein als das von 2018, die DP dagegen zwei Mandate hinzugewonnen haben. Und so bekleidet die CSV, wie von früher gewohnt, abgesehen vom Staatsministerium die nächsten fünf Jahre auch Königsämter wie Finanzen (Gilles Roth), Justiz (Elisabeth Margue) und das wegen seiner Zuständigkeit für die Gemeinden politisch interessante Innenministerium. Dass dessen neuer Chef Léon Gloden obendrein für die Polizei zuständig wird, macht ihn zum Minister für Law and Order in den Gemeinden. Als Verfassungsrechtsexperte seiner Fraktion, der er in der vorigen Legislaturperiode war, wird er die Frage nach dem Sinn einer Gemeindepolizei beantworten müssen. Mit Elisabeth Margue die nach „einem richtigen Platzverweis“ und ob Luxemburg sich die Einführung einer comparution immédiate wirklich leisten kann, während Frankreich dabei ist, sie wieder abzuschaffen.

Ins Außenministeramt, das die CSV traditionell dem Koalitionspartner zugesteht, wurde wieder der Außenhandel eingegliedert. Xavier Bettel, der in seiner Partei besonders viele Vorbehalte gegenüber einer Koalition mit der CSV unter Luc Frieden hegte, wird sich nicht nur viel im Ausland aufhalten können, seine Mission wird auch noch klarer die sein, den Finanzplatz als einen mit menschenfreundlichem Antlitz zu verkaufen. Dass Lex Delles ein so großes Wirtschaftsressort übertragen wird wie Etienne Schneider (LSAP) zwischen 2013 und 2018, inklusive Mittelstand, Energie und Tourismus (Letzteren delegiert an Eric Thill), ist ein Prestige-Pluspunkt für Delles und die DP und sorgt wahrscheinlich für Synergien. An anderen Stellen könnte die Ämtervergabe eher das Gegenteil bewirken.

Zum Beispiel wird Serge Wilmes beweisen müssen, ob er sich als neuer Umweltminister gegen seine Parteikollegin Martine Hansen wird durchsetzen können, die neue Landwirtschaftsministerin. Der „vernünftige Naturschutz“, den sowohl die CSV wie auch die DP im Wahlkampf versprochen hatten, bedeuet nicht viel angesichts der vielen EU-Regeln auf diesem Gebiet. Auf nationaler Ebene aber bietet sich genug Konfliktpotenzial zwischen Naturschutznormen und den Interessen der für die CSV als Wählerschaft wichtigen Landwirte, dass Wilmes und Hansen nicht nur aneinandergeraten, sondern daraus Kämpfe entstehen könnten, wen von beiden die Partei mehr unterstützt. Wilmes’ Stand in der CSV ist schon heute kein ganz einfacher. Ein geschwächter Umweltminister aber wäre nicht gut für eine Regierung, die den Klimaschutz ernst nimmt.

Dass Martine Hansen nicht Schulministerin wurde, sondern Claude Meisch von der DP das bleibt, obwohl Hansen dieses Amt angestrebt und die CSV im Wahlkampf verkündet hatte, alles anders machen zu wollen als die DP, ist für die Liberalen und für Meisch ein Erfolg. Für Martine Hansen kommt es einer kleinen Demütigung gleich. Meisch wiederum erhält obendrein die Zuständigkeit für Wohnungsbau, Landesplanung und die Großregion. Die beiden letzteren Ressorts in eine Hand zu geben, ist sicherlich sinnvoll – Raumplanung sollte grenzüberschreitend betrieben werden. Genauso aber lassen sich Argumente dafür finden, sie am besten mit dem Innenministerium zu verknüpfen, damit ein politischer Ausgleich mit der Gemeindeautonomie gefunden werden kann. Den wird Meisch über Léon Gloden suchen müssen. Sofern ihm das Schulressort dafür Zeit lässt und Gloden diese Zusammenarbeit wirklich interessiert. Ob Luc Frieden recht behält mit seiner Erklärung, er habe verschiedene Ressorts absichtlich auseinander gelassen, damit die Minister/innen zusammenarbeiten, könnte gut daran abzulesen sein, ob Meisch und Gloden das gelingt. Im Wohnungsbau auch: Die Rolle des für die Gemeinden und die Kommunalplanung zuständigen Innenministers ist groß im Wohnungsbau, vielleicht noch größer als die des Wohnungsbauministers, der nicht viel mehr als das öffentliche Segment unter sich hat und Beihilfen vergibt. Lösen CSV und DP ihre Versprechen für mehr Wohnungsbau nicht ein, fällt das auf Claude Meisch zurück wie zuletzt auf den Grünen Henri Kox.

Dass Gilles Roth (CSV) neuer Finanzminister würde, war abzusehen. Dass Vorgängerin Yuriko Backes sämtliche Ressorts von François Bausch (Grüne) übernehmen würde und zusätzlich die Gleichstellung, dagegen nicht. Die Ämterhäufung für sie ist auf jeden Fall groß, in Mobilität und Bauten (wozu auch Ponts et Chaussées gehört) wird sie sich einarbeiten müssen. Eine Diplomatin für das Verteidigungsressort zu ernennen, mag klug sein, um Luxemburgs Verhältnis zur Nato und der EU-Verteidigung zu gestalten. Doch schon daheim warten auf Backes eine ganze Reihe schwieriger Entscheidungen zu Verteidigung und Armee (siehe S. 13).

Überraschend ist die Besetzung des Arbeitsminister-Amtes mit Georges Mischo. Sportminister wollte er unbedingt werden und wird es nun auch, dass er das andere Amt mitübernehmen muss und zum neuen Georges Engel wird, ist vielleicht der Preis dafür. Und deutet darauf hin, dass sonst niemand viel Lust hatte, sich mit Gewerkschaften und Unternehmerverbänden über Arbeitsrecht, Kollektivvertragsrecht und Arbeitszeitflexibilisierung auseinanderzusetzen. Ebenfalls überraschend ist der Kulturministerposten für den 29-jährigen Schierener Bürgermeister Eric Thill (DP), der auch delegierter Tourismusminister wird. Weil Fernand Etgen und André Bauler, die beiden Erstgewählten auf der DP-Nordliste, für ein Regierungsamt nicht in Frage kamen, musste eines für den nächsten auf der Liste gefunden werden. In der Kulturszene ist Eric Thill bislang unbekannt (siehe auch S. 17).

Gegen die „sozialistische Planwirtschaft“ im Gesundheitsbereich hatten sowohl die CSV als auch die DP gestänkert und das Thema im Wahlkampf groß gemacht. Die Besetzung der Posten von Gesundheit und Sozialversicherung mit Martine Deprez ist interessant: Deprez sitzt für die CSV im Staatsrat und arbeitet in dessen Kommission Soziales, sie wurde schon als nächste Staatsratspräsidentin gehandelt. Ihr Regierungamt stärkt die CSV im Südbezirk. Deprez arbeitete als Mathematikerin in der Generalinspektion der Sozialversicherung eng mit deren früherem Direktor Georges Schroeder zusammen. Sie kennt das System von Santé und Sécu und ist wahrscheinlich ziemlich unbeeinflusst von Lobbyinteressen. Ein Hinweis darauf kann sein, dass manche Stimmen aus dem Ärzteverband AMMD sich über die sozialen Netzwerke schon beschweren.

Im Gegenzug kann es verwundern, dass die Ärztin Stéphanie Obertin nicht Gesundheitsministerin wurde, wenn sie als Elftgewählte auf der DP-Zentrumsliste immerhin für ein Regierungsamt in Frage kam. Die Ressorts Hochschule, Forschung und Digitalisierung für sie scheinen willkürlich gewählt. Zwei oder wenigstens eine Frau wollte die DP unbedingt in der Regierung haben, neben Yuriko Backes. Das wäre nicht so einfach geworden, ohne den Bezirksproporz zu verletzen und die Bestgewählten-Vorrechte. Und vielleicht bestand die CSV am Ende darauf, dass die politische Verantwortung für den Bereich Gesundheit an sie überginge.

Peter Feist
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