Die kleine Zeitzeugin

Immer besser in Corona

d'Lëtzebuerger Land vom 31.07.2020

In Japan darf auf Achterbahnen vorbeugend nicht gekreischt werden, und die Brit/innen sollen vorbeugend abnehmen. Kein Wunder, dass die Nerven weltweit blank liegen. Andererseits wird uns grad der Lernprozess gemacht, jeden Tag lernen wir alles Unmögliche dazu.

In Baden-Württemberg steht ein Hotel unter Rassismus-Verdacht, weil es derzeit keine Luxemburger/innen reinlässt. Vielleicht wird jetzt endlich #LuxembourgishLivesMatter gegründet? Natürlich würde dann #Baden-WurttembergishLivesMatter nicht auf sich warten lassen, es käme vermutlich zu gesellschaftlichen Unruhen, zu einem weiteren Krisenherd in Europa, und unser Außenminister müsste dazu erneut Bewegendes auf ausländischen Fernsehkanälen von sich geben. Gott sei Dank hat das Hotelmanagement eingelenkt und beteuert, dass es Luxemburger/innen keinesfalls aus „rassistischen Motiven“ nicht rein lasse. Versichert wird, dass auch sie nur Menschen sind. Offensichtlich hat das glaubwürdig gewirkt – im letzten Moment kam es zu einer Deeskalation.

Ob sich die Baden-Württemberger/innen rassistisch diskriminiert fühlten, als Mecklenburg- Vorpommern sie des Landes verwies, ist nicht überliefert. Vorbildlich und gar nicht rassistisch geht es jedenfalls innerhalb Luxemburgs zu. Nicht mal der corona-cleane Kanton Redingen mit seinem hippen Wallfahrtsort Rindschleiden grenzt zum Beispiel die aus dem Kanton Esch aus, in dem laut Tageblatt die Seuche grassiert. Zeit, die gute alte Burka wieder aus der Kla-Mottenkiste auszugraben, sicher wird Mensch heutzutage darin freudig empfangen. Ist ja noch nicht lange her, da wurden Vermummte nicht mal eingeladen. Höchstens vorgeladen. Sie hatten das schlechteste Image überhaupt. Nirgends waren sie willkommen, nicht auf der Party und nicht in der Bank und nicht bei der Demo, man unterstellte ihnen, Bestandteil eines rabenschwarzen Blocks zu sein oder wenigstens das Abendland in die Luft jagen zu wollen. Alle waren fixiert auf das Antlitz, wollten per Antlitz direkt in die Tiefe einer Seele schauen. So obszön waren wir damals! Damals waren Terroristen keine Tröpfchen.

Jetzt werden wir immer talibanischer. Nur kein Singen! Weder Tuten noch Blasen! Nicht im Bierzelt, das vorbeugend gar nicht erst aufgeschlagen wird, nicht im Heimatchor und schon gar nicht beim Gottesdienst. Diskos gehen in manchen europäischen Ländern schon, aber bitte ohne Tanzen. Und ohne Stehen. Stehen geht gar nicht. Disko mit Sitzen auf Abstand. Vielleicht auf Barhockern hocken auch, aber auf Abstand. Und ohne Bar.

So verändern sich unsere Sitten und Gebräuche. Nicht allmählich, sondern ruckizucki. Damit wir das auf die Reihe kriegen, denn unsere katastrophal entschleunigte DNA führt das Programm nicht mal, kriegen wir zahlreiche neue Anleitungen und Anweisungen, in sämtlichen Landessprachen. Wahrlich knifflig, was für echte Tüftler/innen, wir müssen alle unsere I-Kühe mobilisieren.

Die Sache mit den Stühlen ist zum Beispiel so eine Sache. Wenn ich richtig verstehe, sollte, wer gern zuhause empfängt, viele Stühle im Haus haben. Er oder sie sollte auch viel Haus haben. Zumindest wenn er oder sie mehr als zehn Gäste zum Feste lädt. Die müssen ja strategisch raffiniert positioniert werden, zwei Meter voneinander entfernt mindestens. Mit Megaphonen vielleicht, was sagen die Virolog/innen? Am besten, auf jeden Fall, in einer Ritterburg, alle tragen Visier, am allerbesten eine Rüstung. Sich bitte nicht entrüsten, weil das tröpfelt! Orale Inkontinenz ist ganz schlimm, vielleicht das Allerschlimmste, da zumindest sind sich die Forscher/innen einig.

Manche Leute jammern Gott sei Dank nicht nur, sie tun was. Ein volksnaher luxemburgischer Arzt, der die Apero-Nöte seiner Kompatriot/innen kennt, bittet zum Online-Coronabasteln. Mit einem hundsgewöhnlichen altehrwürdigen Locher durchlöchert er eine Maske, durchbohrt sie elegant mit Strohhalm, süffelt uns lässig was vor.

Mutig in die neuen Zeiten, wo ist das Problem? Ist doch alles kein Problem, haben wir schon gelernt, Herr/in Lehrer/in, zeigen Sie die auf, die gut in Corona sind.

Die andern müssen halt noch üben.

Michèle Thoma
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