Steueroasen-Diskussion

Unter karibischen Kameraden

d'Lëtzebuerger Land du 09.04.2009

Die Welt ist nicht schwarz und weiß, heißt es, sondern aus einer Vielfalt von Grautönen gemacht. Als Beleg für diese These könnte man die vergangenen Donnerstag von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD vorgelegte Liste der Steuerparadiese betrachten. Die war zwar in die Bereiche weiß, grau und schwarz unterteilt, doch die Einordnung der aufgezählten Länder in die verschiedenen Kategorien sorgte nicht nur im grau eingestuften Luxemburg für Polemik. 

Das mag zu allererst einmal daran liegen, dass dem Steuerlaien Costa Rica – eines der vier Länder, das neben Malaysia, den Philippinen und Uruguay auf dem schwarzen Teil der Liste stand – besser wegen der alljährlichen Wanderung der Meeresschildkröten an seine Pazifikstrände bekannt ist als wegen der paradiesischen Steuerumgebung. Und im Gegenzug diverse Inseln mit sehr günstigen Steuerregimes explizit im weißen Teil der Liste genannt wurden, darunter die Kanalinseln, die Isle of Man oder die „tugendhaften“ amerikanischen Jungferninseln. Die G-20-Staaten stützen sich in ihrer Abschlusserklärung am Donnerstag auf eben diese Liste, um zu erklären: „the era of banking secrecy is over.“ Vor allem der französische Präsident Nicolas Sarkozy hatte darauf gedrängt, drohte verschiedenen Medienberichten zufolge, ohne Steuerparadies-Liste oder zumindest einen expliziten Verweis darauf, könne es keine Abschlusserklärung geben.

Dementsprechend sauer zeigte sich der Luxemburger Staats- und Finanzminister Jean-Claude Juncker am Tag nach der Veröffentlichung der Liste beim Treffen der EU-Finanzminister in Prag. Die OECD habe die Liste erstellt und veröffentlicht, ohne die betroffenen Länder zu kontaktieren, die Art und Weise, wie mit verschiedenen Ländern verfahren werde, sei unfassbar. Budgetminister Luc Frieden hingegen versuchte die Fassung zu wahren und das Ganze ins Positive zu drehen, in dem er erklärte, Ziel sei es gewesen, nicht auf einer schwarzen Liste genannt zu werden. Das habe man erreicht. Allerdings entsteht der Eindruck, als ob Frieden und Juncker nicht damit gerechnet hatten, dass außer der schwarzen auch noch eine graue Liste veröffentlicht würde und somit Luxemburg dennoch „aufgelistet“  und an den Pranger gestellt würde.  

Denn OECD-Generalsekretär Angel Gurría hatte Frieden am 12. März, also am Tag bevor Luxemburg den Informationsaustausch nach OECD-Standards akzeptierte, in einem Brief bestätigt, dies bedeute keinesfalls die Abschaffung des Bankgeheimnisses, und am 16. März nochmals schriftlich bestätigt, Luxemburg werde nicht als Steuerparadies geführt. Der Eindruck, dass Luxemburgs Regierung schmollt, wird durch die Weigerung, der OECD ihre Budgetverlängerung zwecks vertiefter Zusammenarbeit mit den G-20 zu bewilligen, nur verstärkt. Ob da jemand für die Trickserei mit der grauen Liste abgestraft werden soll?

Dass hier überhaupt jemand an den Pranger gestellt werden sollte, bestritt Gurría am Dienstag in Paris während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit EU-Kommissar Lázsló Kovács mit der Begründung, die Spielregeln seien nicht neu. Bei der Liste handele es sich um einen Fortschrittsbericht über die Umsetzung der international anerkannten Steuerstandards, und solche Fortschrittsberichte würden regelmäßig erstellt, ob mit oder ohne G-20-Gipfel, verteidigte sich Gurría. 

Und verteidigen musste er sich. Während der Pressekonferenz zeigte sich einmal mehr, wie gut Jean-Claude Juncker die internationalen, vor allem die deutschen Medien beherrscht, deren Vertreter sich mehrmals auf ihn beriefen, um die Gültigkeit der Liste in Frage zu stellen. Denn wenngleich der Generalsekretär der OECD mit dem Missverständnis aufräumte, die Liste stelle eine Aufzählung von Steuerparadiesen dar, das Dokument liefere lediglich faktuelle Informationen darüber, welche Länder nach den international festgelegten Steuerstandards Informationen austauschen oder nicht; er hatte viel Mühe zu erklären, weshalb Hongkong und Macau nicht im grauen Teil der Liste genannt wurden. Dort, wo sie nach Meinung der Journalisten hingehörten und wo sie in der Mitte März durchgesichkerten provisorischen Fassung des Berichtes auch noch gestanden hatten. Anstatt auf die Frage einzugehen, ob China politischen Druck ausgeübt habe, damit seine Dependancen nicht auf der grauen Liste genannt würden, verwies Gurría auf die Fußnoten, die erläutern, dass, obwohl die OECD China die Einhaltung der Regeln bescheinigt, die special administrative regions von dieser Weißwaschung ausgeschlossen sind. 

Das führt grundsätzlich zu der Frage, welche Bedingungen ein Land erfüllen muss, um auf den weißen Teil der Liste zu gelangen. Zwölf Informationsaustauschabkommen müssen unterschrieben sein, erklärte Jeffrey Owens von der OECD-Steuerabteilung. Dann sei erwiesen, dass man die Standards tatsächlich einhalte und man nicht nur Lippenbekenntnisse abgelegt habe. Außerdem werde man die Qualität der Abkommen überprüfen, so Owens. Man werde nicht akzeptieren, dass ein Steuerparadies lediglich mit zwölf Gleichgesinnten Abkommen unterzeichne. Budgetminister Luc Frieden erklärte bereits am Montag, er und seine Beamten würden innerhalb der nächsten fünf bis sechs Monate die Verhandlungen für mindestens zwölf solcher Abkommen abschließen. Mit den USA, Deutschland, Frankreich laufen die Verhandlungen bereits. Gespäche mit der Schweiz und Österreich sollen in Kürze beginnen, so Frieden. Die Bedingung der zwölf Abkommen habe jedoch keine rechtliche Grundlage, bemerkte Frieden, die Zahl sei willkürlich gewählt. 

Dem widersprach Pascal Saint-Amans, Sprecher der OECD gegenüber dem Land. Zwar seien diese Informationen der Öffentlichkeit noch nicht zugänglich, doch innerhalb des Global Forum on Taxation, dem außer den OECD-Mitgliedstaaten noch weitere Länder angehören, habe man sich auf diese Messlatte geeinigt. Auch er bekräftigt: „Ein karibisches Steuerparadies kann nicht mit seinen anderen karibischen Kameraden Abkommen abschließen“ und dadurch auf die weiße Liste gelangen. Die Verträge müssten mit „seriösen“ Ländern abgeschlossen werden. Dazu zählt er auch Luxemburg und die Schweiz – das könne man gewissermaßen aus dem Kleingedruckten der grauen Liste herauslesen. Die ist nämlich in zwei Abschnitte unterteilt, mit der Absicht zu zeigen, welche Amtsbezirke sich eigentlich schon vor Jahren engagiert haben, die Standards einzuhalten, seitdem aber untätig blieben und welche, wie Luxemburg, die Schweiz, Österreich und Singapur, die Standards erst kürzlich akzeptiert haben. Demnach stützen sich die G-20-Staaten in ihrer Suche nach mehr Transparenz auf ein Dokument, das ohne Hinweis auf die graphischen Spitzfindigkeiten nur schwer zu verstehen ist und das glaubt, den politischen Machtverhältnissen zwischen der Volksrepublik und ihren Spezialgebieten mit einer Fußnote gerecht zu werden. 

Auch wer in der Folge wo und wie entscheidet, welche Länder das Gütesiegel als qualitativ hochwertige Vertragspartner bekommen, konnte Saint-Amans nicht sagen. Die Qualität der Umsetzung der Standards werde im Rahmen eines „intelligenten Prozesses“ ausgewertet werden. Alles andere sei Paragraphenreiterei. Jetzt, da sich erstmals alle der Amtsbezirke, die beim Gobal Forum unter Beobachtung stehen, zu den Standards bekannt haben, müsse man sich die nötigen Kontrollinstrumente erst geben, um die Umsetzung zu überwachen. Das heißt, in der ersten Phase bis zwölf zählen, um die Zahl der Abkommen zu prüfen. Logisch sei, dass diese später auch ratifiziert werden müssen, so Saint-Amans, was derzeit keine Bedingung ist. 

Saint-Amans hat gut reden. Das Ratifizieren von unterschriebenen Abkommen ist durchwegs keine übertriebene Forderung, und der OECD-Generalsekretär bekräftigte am Dienstag, es sei nicht die OECD, welche über eventuelle Sanktionen gegen die Länder entscheide, die auf der Liste stehen. Das liege in der Hand jedes einzelnen Staates selbst. Die Frage nach klaren Regeln, an die, wer sich der Bedrohung von Sanktionen nicht aussetzen will, halten muss, ist dennoch so berechtigt wie die Bedrohung real ist. Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück scharrt seit Wochen mit den Füßen, versucht ein Gesetz über Sanktionen gegen Steueroasen im Bundestag einzubringen, wobei ihn allerdings der eigene Koalitionspartner sabotiert. Dabei ist nicht gesagt, dass alle Länder, die Sanktionen einführen, sich in ihrer Einschätzung, wer ein Steuerparadies ist, dabei der OECD anschließen würden – es ist jedoch höchstwahrscheinlich. Damit wird die Frage nach eindeutigen Regeln von der Paragraphenreiterei vielmehr zu einer grundlegenden Frage der Rechtssicherheit, auf die in der bisher bekannten internationalen Staatenordnung gemeinhin sogar Steuerparadiese einen berechtigten Anspruch haben. Wie sonst sollen die neuen alten moralischen Ansprüche – die Standards gibt es seit fünf Jahren, nur interessierte ihre Umsetzung bisher die wenigsten –, die beim G-20-Gipfel formuliert wurden, in Taten umgesetzt werden?

En sichtlich zufriedener Steuerkommissar Kovács ließ am Dienstag durchblicken, wie er sich das vorstellt. Beim Treffen der EU-Finanzminister im Mai will er die Reform der Zinsbesteuerungsrichtlinie diskutieren. Die Richtlinie soll auf Lebensversicherungen und andere Finanzprodukte ausgeweitet werden, sowie auf trusts und Stiftungen. Ihm habe in der G-20 Erklärung nämlich genau die Aussage, dass die Ära des Bankgeheimnisses vorbei sei, am besten gefallen. Großmütig-gnädig meinte er, die Kommission werde jetzt ihr Bestes geben, den Übergang zur Nach-Bankgeheimniszeit so einfach wie möglich zu gestalten. Jetzt, wo alle den Standards zugestimmt hätten, sei er bereit, Verhandlungen mit Singapur und anderen über das Abschließen von Informationsaustauschabkommen aufzunehmen.

Deutlicher hätte das Signal an Luxemburg und Österreich eigentlich nicht sein können, denn damit beschrieb er die erste Etappe des in Artikel 10 der Zinsbesteuerungsdirektive präzis festgelegten Prozess für die Abschaffung der Quellensteuer. Vergnügt stellte er fest, Norwegen und Barbados hätten bereits angekündigt, sich freiwillig den europäischen Regeln anschließen zu wollen. Um auch wirklich die letzten Zweifel auszuräumen, legte er noch einmal mit einem Hinweis auf einen weiteren Richtlinienvorschlag nach, dem über die administrative Zusammenarbeit. „In diesem Zusammenhang ist unsere Interpretation, dass die Mitgliedstaaten ein Bankgeheimnis für die eigenen Einwohner haben können, nicht aber was die Einwohner von anderen Mitgliedstaaten betrifft.“ Womit er auch das letzte Argument der Luxemburger Regierung, das Bankgeheimnis dienein einem kleinen Land wie Luxemburg nicht zuletzt dem Schutz der Privatsphäre der eigenen Bürger, ausgehebelt hat.  

Michèle Sinner
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