LEITARTIKEL

„Heimschicken“

d'Lëtzebuerger Land vom 07.05.2021

Am Mittwoch war Hauptstadtbürgermeisterin Lydie Polfer „Invitée vun der Redaktioun“ von RTL Radio Lëtzebuerg. Wer ihr zuhörte, konnte meinen, sie habe einen politischen Präventivschlag geführt: Ehe die ADR sich der Sicherheitslage in der Hauptstadt annimmt, besetzt die Bürgermeisterin das Thema lieber selber. Und zwar in aller Konsequenz, und sogar wenn sie das zu Äußerungen veranlasst, die einer liberalen Politikerin schlecht zu Gesicht stehen.

Denn Lydie Polfer wiederholte nicht nur, was sie schon vergangene Woche beim City-Breakfast mit der Presse beklagt hatte: Dass in der Hauptstadt „kein Tag ohne brutale Diebstähle“ vergehe. Dass sie mehr Polizeipräsenz und verstärkte Patrouillen wünscht und dass sie sich von der Regierung – und insbesondere dem grünen Polizeiminister Henri Kox – „allein gelassen“ fühle. Am Mittwoch im Radio fügte sie dem eine neue Note hinzu: Es seien „ein paar Banden“, die seit zwei Monaten „am helllichten Tag“ und „mit Gewalt, mit Gewalt“ auf Raubzug gingen. „Meist sind das Leute, die illegal hier sind.“ Folglich müsse man sie „viel konsequenter wieder heimschicken“. Apropos heimschicken: Auch am Drogenabhängigen-Betreuungszentrum Abrigado in Bonneweg herrschten „unhaltbare Zustände“. Was unter anderem darauf zurückzuführen sei, dass „viele dort weder etwas mit der Stadt noch mit Luxemburg zu tun“ hätten.

All das hätte die ADR kaum prägnanter formulieren können. Aber der Gedanke, dass Lydie Polfer verbal taktiere, um vorbeugend ein Terrain zu besetzen, ehe die konservativen Populisten das tun, und selbst wenn das die DP einen politischen Preis kosten mag, ist wahrscheinlich falsch. Zutreffender dürfte sein, dass Lydie Polfer einfach als die spricht, die sie immer war: Eine Liberale zwar, aber eine von den Widersprüchen der freien kapitalistischen Gesellschaft Überforderte. Eine Liberale, für die Freiheit schon immer vor allem die der Stater Geschäftsleit und der ortsansässigen Finanzinstitute und Immobilienbesitzer war. Eine Bürgermeisterin, unter deren Führung bis 1999 Luxemburg-Stadt reicher wurde, aber auch immer langweiliger, und die stetig an Einwohner/innen verlor. Denn es war beinahe egal, ob man in der Stadt wohnen blieb oder ein preiswerteres Einfamilienhaus im ländlichen Raum bezog. Die Polfer-Jahre waren Jahre erstickender Fürsorge einer Experimenten abgeneigten Gemeindemutter. Von dort ist der Weg zum kleinbürgerlichen ADR-Konservatismus gar nicht so weit.

Seit Lydie Polfer erneut amtiert, gilt das wieder. Mit dem Unterschied, dass die Stadt seit 1999 um mehr als 40 000 Einwohner/innen zugelegt hat und werktags zwischen acht und 19 Uhr zur 300 000-Menschen-Stadt wird. Das schafft eine kritische Masse für Entwicklungen, denen die Bürgermeisterin sich schwer entziehen kann.

Wie schwer sie sich dabei tut, zeigt, dass sie seit einem halben Jahr in ihren Einlassungen zur „Sicherheit“ ausgerechnet die sozial und kulturell dynamischsten Quartiers der Stadt – das Bahnhofsviertel und Bonneweg – schlechtredet. Gefahr für Leib und Leben ab 18 Uhr? Stattdessen werden beide Viertel gentrifiziert-saniert, werden immer begehrter und Wohnen wird dort immer teurer. Auch für Einzelhandel und Gastronomie werden sie immer interessanter. Die Bürgermeisterin dagegen scheint Anti-Marketing zu betreiben. Wer es hört, muss glauben, Luxemburg-Stadt sei von den jahrelang vorderen Plätzen in den Rankings besonders lebenswerter Städte zu einem Problemfall abgestürzt.

Damit scheint Lydie Polfer nicht nur die bügerlich-liberalen, sondern sogar die wirtschaftsliberalen Axiome ihrer Partei zu verraten und ohne Not die Reputation des Finanzplatzes zu gefährden. Aber vielleicht erscheinen ihr das Schüren von Angst und Aussagen nahe der Fremdenfeindlichkeit politisch einträglich. Auf Probleme hinzuweisen, auch in der öffentlichen Sicherheit, ist das eine. Wie das geschieht und mit welchen Worten, ist etwas anderes.

Doch es nicht unbedingt so, dass eine Dosis Panikmache und Fremdenfeindlichkeit das Kapital, das „scheue Reh“, sofort abschreckt. Bisher war noch nicht zu vernehmen, dass Lydie Polfers Kolleg/innen im Stater Schöffenrat die Aussagen der Bürgermeisterin zur Ordnung in der Stadt unangebracht fänden. Demnach steht zu vermuten, dass Lydie Polfer ausspricht, was in DP und CSV weitgehend geteilt wird. Luxemburg-Stadt soll möglichst viele Bürger/innen ab der Mittelschicht aufwärts zählen. Soziale Mischung steht bei DP und CSV nicht wirklich hoch im Kurs, und wen die hohen Wohnungspreise nicht zum Gehen veranlassen, der ist vielleicht aufnahmefähig für Panikmache vor Taschendieben auf der Plëss. Womit natürlich, man muss es sagen, die Stadt nicht gerade ein Experimentierlabor für die Politik der liberalen Regierung ist.

Peter Feist
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