Expressis-Verbis ist nur eine Plattform von vielen, auf der sich Luxemburgs Querdenkerszenen tummeln

Down the Rabbit Hole

d'Lëtzebuerger Land du 07.05.2021

Sie habe sich von Expressis-verbis zurückgezogen, so Pallcenter-Chefin Christianne Wickler am Dienstag im Paperjam. Damit hofft die frisch gebackene Cargolux-Verwaltungsratspräsidentin der scharfen Kritik an ihrer Ernennung, die zu einer gemeinsamen Motion von CSV, déi Lénk und Piratepartei führte samt Auffforderung, die umstrittene Personalie zu widerrufen, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Ob das gelingt, ist jedoch fraglich. Der Schaden ist angerichtet. Und Wicklers Rückzug wirkt zu kalkuliert, als dass er rasch Ruhe bringen dürfte. Im Gespräch mit Expressis-Verbis-Mitgründerin Nathalie Meier-Hottua sagt sie, dass „die Luft am Rand“ wohl dünn sei, aber vom Rand sei „der Blick am schönsten“. Ihre Parteifreund/innen von Mobilitätsminister Fränz Bausch, der sie zur Cargolux berufen hat, bis zur EU-Abgeordneten Tilly Metz, heben ihre Qualitäten für den Verwaltungsratsvorsitz der viertgrößten Frachtfluglinie der Welt hervor. Die empörten Kommentare auf Twitter und Facebook zeigen indes: Die Berufung ist eine politische – und sie wurde verstanden. Dabei geht es nicht allein um die Tatsache, dass Christianne Wickler Mitglied der Grünen ist.

Widerspruch kommt auch von Menschen, die den Grünen nahestehen. Von Kris Hansen von déi jonk Gréng etwa: Expressis-verbis sei weder „zu legitimieren noch zu verharmlosen“, warnt er auf Metz’ Facebook-Seite. Die Informationen und die sogenannten „Experten“, auf die sich die Plattform berufe, seien dieselben, „auf die die Querdenkerszene zurückgreift“. Andere Zurufe sind voller Häme und Spott: „Nues am Wand an e Vakuum am Gehier“.

Da liegt der Hase im Pfeffer: Expressis-verbis ist nicht irgendein Blog von kritischen Freidenker/innen und die Gründung nicht ein harmloser Akt von Freund/innen der Meinungsfreiheit. Die Seite, die von Christianne Wickler, Pierre Obertin, Nathalie Meier-Hottua, Jean-Marie Azzolin (inzwischen zurückgetreten) und Peggy Schoujean-Hurst ins Leben gerufen wurde, und die behauptet, „pure Informationen zu liefern“, bietet alles mögliche, aber sicher keine reinen Informationen. Die Beiträge, die amtliche Statistiken hinterfragen und „alternative“ Gesundheitstipps fürs Leben während der Pandemie geben, stammen überwiegend von anonymen Autoren. Es ist unmöglich, die Kompetenz der Verfassenden einzuschätzen. Einige neuere Beiträge sind teils unterzeichnet.

Wickler sagte im Radio 100,7, die Autoren trauten sich nicht, mit Klarnamen zu unterschreiben, weil sie „Folgen“ fürchten. Damit greift Wickler tief in die Querdenker-Trickkiste, denn was sollten die Autoren in Luxemburg zu fürchten haben? Dass sie den Job verlieren oder gar ins Gefängnis wandern, kann sie kaum meinen. Mit der Selbstviktimisierung wird vielmehr das Bild bedient, dass man in diesem Land nicht mehr frei sagen darf, was man denkt. Dabei darf man (fast) alles sagen. Man muss aber das Echo aushalten. Die eigene Meinung kundzutun, heißt nicht, dies ohne Widerspruch zu tun. Ins selbe Horn stößt die Grüne Tilly Metz, wenn sie sich fürs „Feedback“ bedankt und gönnerhaft schreibt, sie werde sich dafür einsetzen, dass sich jeder frei äußern könne.

Doch die Gründung von Expressis-Verbis ist in einem größeren Kontext zu sehen. Seit Beginn der Pandemie gibt es Stimmen, unter anderem in dieser Zeitung, die sich kritisch mit dem Corona-Krisenmanagement der DP-LSAP-Grüne-Regierung auseinandersetzen. Sei es über die wackelige wissenschaftliche Basis für freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie die nächtliche Ausgangssperre, sei es über das zunächst willkürlich beschränkte Besuchsrecht in Alters- und Pflegeheimen, sogar bei Todkranken.

Aber seit Sommer 2020 tummeln sich mit BasTV, Nues am Wand, Corona Meenung a Fakten, Méi Elteren, manner Staat immer mehr Plattformen auf den sozialen Medien, die versuchen, alternative Corona-Nachrichten unter die Leute zu streuen, die von Pauschalkritik am Mund-Nasen-Schutz und sanitären Auflagen reichen bis zum Hinterfragen, ob der Virus überhaupt wirklich tödlich sei.

Bas Schagen, Lockenkopf mit Dauerlächeln und holländischen Vorfahren, holt in seinen Interviews Luxemburger B-Prominenz vors Mikro. Inzwischen ist sein Kanal auf Facebook, Youtube und auf Telegram präsent, seine Reichweite geht von hundert Zuschauer/innen bis zu einigen Tausend, wobei die Corona-skeptischen Beiträge die größere Resonanz finden. Waren zu Beginn bekannte Luxemburger/innen zu Gast, bietet Schagen inzwischen Querdenker-Prominenz aus dem Ausland eine Plattform. Beim „Sturm“ von Querdenkern und Rechtsextremen auf den Bundestag im August 2020 waren Luxemburger in die Bundeshauptstadt gefahren und hatten sich beim Berliner Anti-Corona-Marsch fotografiert, darunter der ehemalige Radprofi Benoît Joachim. Da war von Protestmärschen hierzulande noch nichts zu sehen.

Inzwischen vergeht bald kein Monat mehr, ohne dass eine kleine Gruppe von der Kinnekswiss bis vors Rathaus marschiert, um gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zu protestieren, abschließende Polonaise inklusive. Die jüngste Aktion war am 25. April. Als Organisatoren dabei: BasTV und der in Luxemburg lebende französische Allgemeinmediziner Benoît Ochs. Unterstützt war die Aktion vom Europäischen Forum for Vaccine Vigilance (EFVV), einem europaweiten Bündnis von Impfgegner/innen, zu dem auch Andrew Wakefield zählt. Der Arzt ist in England mit einem Berufsverbot belegt, weil er einen Zusammenhang zwischen Autismus und Masern-Mumps-Röteln-Impfung insinuierte, dies mit dubiosen Daten.

Meinungsfreiheit als Einbahnstraße Keine Frage, die Corona-Skepsis nimmt in Luxemburg an Fahrt auf. Die Plattformen zitieren sich gegenseitig, sie unterstützen sich in Foren, sharen und liken einander und verstärken so den Echoeffekt. Allzu lästige Kritiker/innen blockieren die selbsternannten Freunde der Meinungsfreiheit auch mal.

In Echtzeit ist zu beobachten, wie im Netz, zunehmend aber auch in der Öffentlichkeit Paralleldiskurse entstehen; langsam noch, doch ein Anfang ist gemacht. Die preisgekrönte Journalistin Maria Reessa zeichnete am Beispiel ihres Heimatlandes Philippinen minutiös nach, wie aus realexistierenden politischen Agitatoren, die gezielt über soziale Medien Desinformation und Fake News streuen und dafür falsche Konten und Bots nutzen, alternative Netzwerke entstehen, die durch gegenseitiges Zitieren und Teilen ihre Wirkkraft um ein Vielfaches multiplizieren und die in einem Propagandakrieg um Deutungshoheit als Waffen eingesetzt werden, die sogar Wahlen beeinflussen können.

Bas Schagen behauptete in einem Video über Pluralismus und Toleranz, das mehr als 30 000 Mal angeklickt wurde, dass die Presse „weltweit seit März dieselbe Message vehikuliert“. Und: „Dass die Presse einstimmig ist, das gibt es nur in einer Diktatur“. Pierre Obertin, Mitgründer von Expressis-verbis, teilt auf Facebook Diagramme, wonach deutsche Medien in einem Transatlantik-Netzwerk von Arte, Bild bis Süddeutsche Zeitung unter einer Decke steckten.

Das ist natürlich aus der Luft gegriffen, es bedient den Mythos einer medialen Weltverschwörung. Das Narrativ von einer gleichgeschalteten fremdgesteuerten Presse findet so weitere Verbreitung – mit tatkräftiger Unterstützung von Lehrer/innen, die Kinder auf diese komplexe Welt vorbereiten sollen, ohne sie weltanschaulich zu beeinflussen. In Deutschland machen Rechtsextreme und Querdenker/innen gezielt Stimmung gegen die sogenannte „Lügenpresse“, so dass Journalist/innen ihren Beruf zunehmend unter Polizeischutz ausüben und etliche von ihnen bereits auf Querdenker-Demonstrationen angegriffen wurden. Wer Hass sät...

Das ist aber nicht das einzige Problem: Ihre Bekanntheit nutzen die Moderatoren, um sich den Anschein von Seriösität zu geben. Viele der alternativen Plattformen wurden von Ex-RTL-Journalist/innen ins Leben gerufen, die den Sender verlassen haben: Guy Kaiser war Chefredakteur von RTL-Radio, Bas Schagen Moderator eines RTL-Reisemagazins. Auch Nathalie Meier-Hottua hat bereits Studioluft geschnuppert als Finanzexpertin in der RTL-Sendung Finanzwoch, anderen ist sie bekannt durch ihr Buch zur steinzeitlichen Paleo-Ernährung.

Dan Hardy, Ex-RTL-Journalist und Organisator esoterischer Schwitzhütten, bevor er für die ADR kandidierte, erklärt auf ADR-TV dem Publikum das vermeintlich durch Überfremdung oder Kriminalität bedrohte Luxemburg, angereichert mit rechtspopulistischen Zuspitzungen. Wenn jemand Angst schürt, dann die ADR. Dass Journalisten einen Kodex unterschrieben haben, der sie zu Wahrhaftigkeit und Sorgfalt verpflichtet, hat sich mit der Abgabe der Pressekarte wohl erledigt – mit dem beruflichen Ausstieg werden ethische Leitlinien mit über Bord geworfen.

Die Mediengeübten nutzen alle Tricks und Kniffe: Sie heben gezielt Menschen auf ihre Plattform, die ihre Weltsicht untermauern. Dan Hardy, mit Eis Schoul privat verbunden, war neben Bas Schagen einer der ersten, der den Lehrer und Ex-Präsidenten der Kirchberger Reformschule, Marc Hilger, vor die ADR-TV-Kamera holte. Heute organisiert Hilger gemeinsam mit der EFVV Samstagsmärsche „für die Freiheit“ und seine Schule schickt Eltern Briefe, in denen sich das Lehrpersonal dagegen stellt, in der Schule Covid-Schnelltests an Kindern vorzunehmen.

Hilger ist nicht alleine: Nathalie Kremer, eine Mutter, die sich gegen die Maskenpflicht wehrt, trat auf einer Demo auf der Place d’Armes neben Christian Isekin auf, Vizepräsident der PiD, eine Splittergruppe der ADR um dem homöopatischen Arzt Jean Colombera, die auf ihrer Seite ebenfalls corona-skeptische Beiträge postet. Und er ist Initiator der politischen Webseite Bierger fir Bierger: Ende Februar, Anfang März erhielten Escher Haushalte eine Wurfsendung von Isekin mit der Überschrift: Achtung, sehr wichtig, Fakten zu Covid-19, die der Staat und die Presse Ihnen nicht erzählen – unterschrieben von Bierger fir Bierger. Das Pamphlet endet mit dem Satz „Alle Informationen können recherchiert und bestätigt werden“, ohne aber auch nur eine einzige Quelle anzugeben.

Wer die Webseite von Bierger fir Bierger aufsucht, findet unter empfohlenen Links das Who is who der derzeit gängigen Verschwörungstheorien von Chemtrails über Deep State bis zu Links zu sogenannten „Israelkritikern“ mit deutlich antisemitisch-konnotierten Aussagen. Von da ist der Sprung zu den extremen Rechten (oder Linken) nicht mehr weit. Der offene Brief von Mario Dichter (Begründer der Querdenker-Seite Nues am Wand) an Gesundheitsministerin Paulette Lenert, worin er die wissenschaftlichen Grundlagen der Corona-Maßnahmen infrage stellt, war nicht nur von Christian Isekin unterzeichnet, sondern ebenso vom verurteilten Nationalisten Pierre Peters, oder von Steve Melmer, Ex-ADR-Mitglied und Gründer der Fräi ökologisch-Demokratischen Partei (dann Fräi Sozial Alternativ, heute Vereenegung gro’t Schëld). Melmer war wiederholt mit rassistischen Äußerungen aufgefallen. Wie sagte die Mitbegründerin von Expressis-verbis: Am Rand wird die Luft dünn.

Ines Kurschat
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