ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

De quoi Lenert est-elle le nom ?

d'Lëtzebuerger Land vom 20.01.2023

Die LSAP wollte es spannend. Sie wollte bis diese Woche warten, um den Namen ihrer Spitzenkandidatin zu nennen. Wer die Partei in den Wahlkampf und vielleicht wieder in die Regierung führt.

Als Favoritin galt Gesundheitsministerin Paulette Lenert. Die ehemalige Rechtsanwältin, Richterin und hohe Beamtin wurde nach den Wahlen 2018 Ministerin für Verbraucherschutz und Entwicklungshilfe. Um dem Bezirksproporz der Partei zu gehorchen. Und die Abgeordnete Tess Burton zu übergehen.

Paulette Lenert galt als Technokratin ohne Mandat. Im Oktober 2019 bescheinigte die Wählerschaft ihr die geringste Sympathie und Kompetenz aller Regierungsmitglieder. So eine „Politmonitor“-Umfrage von TNS-Ilres.

Am 4. Februar 2020 ersetzt Paulette Lenert Etienne Schneider als Gesundheitsministerin. Vier Wochen später wird der erste Covid-Infizierte gemeldet. Im Wochentakt beruhigt die Gesundheitsministerin die verängstigten Fernsehzuschauer: Wir müssen nicht alle sterben. Zumindest nicht an Covid. Zumindest nicht so lange sie sich um die Logistik kümmert. Die Alten erinnern sich an Großherzogin Charlotte auf BBC.

Im Juli 2020 folgt die nächste Umfrage: Plötzlich gilt Paulette Lenert als sympathischste und kompetenteste Politikerin des Landes. Binnen sechs Monaten hat sich ihre Zustimmungsrate von 28 auf 90 Prozent verdreifacht.

Die LSAP will dieses Sympathiekapital gewinnbringend anlegen. Sie macht Paulette Lenert zur stellvertretenden Premierministerin. Sie drängt sie zur Spitzenkandidatur für die Kammerwahlen. Nach zehn Jahren will sie den politischen Erfolg des Quereinsteigers Etienne Schneider wiederholen.

Sachkenntnis spielt keine Rolle: Die LSAP stellt sich seit 50 Jahren als unnachgiebige Garantin des automatischen Indexsystems dar. Am 4. Januar erklärt sich Lenert gegenüber RTL „oppe fir eng Diskussioun doriwwer, ob a wéi een d’Instrument vum Index iwwerdenke kann“. Die Partei verspricht eine bahnbrechende Steuerreform. Gegenüber RTL verwechselt Lenert die Steuerklassen mit den Einkommensstufen der Steuertabelle.

Die LSAP spekuliert auf die neunzigprozentige „Hingabe der Gehorchenden an das rein persönliche ‚Charisma‘ des ‚Führers‘“. So Max Weber 1919 (Politik als Beruf, S. 6). Die charismatische Führerin im Krieg gegen die Viren soll auf Wahlplakaten und in Fernsehdebatten lächeln. Damit die Wähler „sich nicht kraft Sitte oder Satzung fügen, sondern weil sie an [sie] glauben“.

Der liberale Draufgänger Etienne Schneider wollte den CSV-Staat modernisieren. Die zögerliche Paulette Lenert verspricht kein gesellschaftliches Projekt. Ihr Programm ist die „persönliche Gnadengabe“. Niemand fragt, für welche Politik sie steht.

Als Quereinsteigerin bekräftigt Paulette Lenert die Skepsis der Wählerschaft gegenüber den Parteien. In der LSAP zählt die Ministerin aus dem konservativsten Bezirk zu den bürgerlichen Notabeln: Sie hat keinen Bezug zur sozialdemokratischen Tradition, zur Arbeitswelt, zur Gewerkschaftsbewegung.

Der Parteiapparat sieht das nicht als Nachteil. Die herrschenden Klassen benutzen die LSAP, sie wählen sie nicht. In der Arbeiterklasse ist sie bloß die Partei der gelernten Arbeiter. Nicht der ungelernten Arbeiterinnen, des neuen Dienstleistungsproletariats.

Die LSAP wirbt um die Stimmen der Mittelschichten. Jenes Teils des Kleinbürgertums, der sich eine liberale und aufgeschlossene, individualistische und konsumeristische Gesinnung leistet. Doch nun bekommen die Mittelschichten Angst: vor dem Krieg in der Ukraine, der Inflation, dem Energiemangel, den Seuchen, der Klimakrise...

Der konservative Teil des Kleinbürgertums schwillt auf Kosten des liberalen und aufgeschlossenen an. Die LSAP sorgt sich um die Wählerinnenstimmen. Sie drängte die Heldin der Covid-Krise zur Spitzenkandidatur. Um konservative Reflexe zu bedienen: Um statt Selbstbestimmung mütterlichen Schutz zu versprechen.

Romain Hilgert
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